AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

WORLD MUSIC

MUSIKWISSENSCHAFTLICHE ASPEKTE DER GLOBALISIERUNG

Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo



Universität Bonn
Oberseminar – SS 2004



Im Anschluss an
World Music und Resignifikation tradierter Zeichensprache. Teatro São Pedro, São Paulo. Im Rahmen des internationalen Kongresses Eurobrasilianischer Studien - Musik, Projekte und Perspektiven. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, Universitäten Bonn, Köln, Rio Grande do Sul, São Paulo und Rio de Janeiro 2002


World Music lässt sich nur unpräzis mit Weltmusik übersetzen. Welt-Musik, Musik der Welt, Weltgeschichte der Musik, gar Universalgeschichte der Musik meinen Unterschiedliches. Sie beziehen sich auf Weltumfassendes, bezeichnen jedoch anderes, wurden in anderem Sinn verwendet und entsprechen anderen Sichtweisen. Gerade Musikhistoriker, die sich für J. Haydns Ausspruch „meine Musik versteht die Welt“ begeistern oder sich als Musikethnologe berufen fühlen, für die ganze Welt kompetent zu sein, stehen oft ablehnend dem gegenüber, was sich World Music bezeichnet.

Nicht alles ist auch World Music, das sich in Katalogen des Musikhandels verzeichnet ist. Darin finden sich Tonaufnahmen außereuropäischer Musik, die nicht unbedingt World Music ist. Denn eine World Music läßt sich nur aus einer Perspektive der Globalisierung annäheren. Seit Jahrhunderten schreiten Prozesse von Kontakten, wechselseitiger Beziehungen, Interferenzen und daraus entstandener Neuentwicklungen fort, sie intensivierten sich seit der Entdeckungszeit, der Entwicklung des Welthandels und der technischen Fortschritte der Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten.

Die für die World Musik gefordete Perspektive bezieht sich jedoch auf eine neue Qualität dieser Prozesse. Sie gehört zur rezenteren Phase zunehmender Vernetzung des Planeten, die ökonomisch durch übernationale Strukturen und durch die Medien ermöglicht wird. Sich mit ihr zu befassen bedeutet, sich mit aktuellen Globalisierungsprozessen theoretisch, analytisch in ihren vielen Aspekten, mit ihren zukunftsweisenden Möglichkeiten und auch Herausforderungen zu befassen. Sie hängt zwar sicherlich mit bedenklich Aspekten eines von Konsum und Ausbeutung geprägten globalen Zustands der Menschheitsgeschichte zusammen. Sich mit ihr zu befassen heißt aber auch, sich mit Demokratie, Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit, partizipativen Wechselbeziehungen, Teilnahme und Teilhabe – nicht nur ökonomisch – am internationalen Musikhandel, an der Preferenz des internationalen Publikums und an den Debatten über Gesellschaft, Kultur und Musik zu beschäftigen.

Die Wahrnehmung von Welt, Wirklichkeit und aktuellen Veränderungsprozessen in Ländern, die durch die Medien erleichterten Zugang zu Information erhalten, wird schöpferisch in der World Music verarbeitet. World Music zeugt nicht nur von blinder Assimilation, sondern sie ist vielfach in hohem Grad von Reflektivität bewegt. Sie darf nicht überheblich als eine MacDonaldisierung der Welt herabgewürdigt werden. Sie betrifft die Chancen eines offenen Prozesses, ist eines der eindrucksvollen Phänomene der Gegenwart, verlangt nach Änderungen von Perspektiven und Beachtung.

Kapstadt. Foto A.A.Bispo

Weltmusik und Musik der Welt werden zuweilen synonym als Bezeichnungen von Projekten, Publikationen, Festivals und sonstigen Veranstaltungen verwendet, die die Vielfalt von Musikkulturen ins Bewusstsein der europäischen Zuhörer zu heben beabsichtigen. Beide und andere ähnlich lautende Bezeichnungen müssten aber präzisiert werden.

Trotz aller gut gemeinter Absichten sind Sammlungen von Texten und Tonaufnahmen, die sich als Weltmusik und Musik der Welt bezeichnen, häufig Miszellaneen, die Verschiedenes unter verschiedenen Ansätzen umfassen. In ihnen finden sich Texte oder Beispiele der Kunst-, Volks- und Popularmusik sowie indigener Musik außereuropäischer Länder, die einen durchdachten, kohärenten Ansatz bei der Zusammenstellung und in ihren Kommentaren vermissen lassen.

Weltmusik/Musik der Welt kann auch der Werbung und Aufmerksamkeit erheischenden kommerziellen Zwecken dienen. Die veröffentlichten Texte und Tonbeispiele können nur als Anregung zu eingehenderen Untersuchungen und als Gegenstand für Analysen der ihnen zugrundeliegenden Sichtweisen dienen.


Kapstadt. Foto A.A.Bispo

Zur Entwicklung der Studien

Initiativen, Publikationen und Festivals der 1970er und 1980er Jahre, die die Arbeit von Kulturinstanzen, Verlagen und Instituten der vergleichenden Musikstudien bzw. Musikethnologie prägten, waren gut gemeint, entsprachen aber nicht dem bereits erreichten Grad theoretischer Überlegungen. Sie waren eine verjüngte, umgängliche Ausgabe enzyklopädischer Unternehmungen, die seit langem großangelegte Publikationen, Sammelwerke und Schallplattenreihen über die Musik der ganzen Welt umfassten. Zu ihnen gehörten Lexika und Enzyklopädien, die zuweilen durch Übersetzungen weltweit den Informationsstand und das Denken beeinflussten.

Zu den größten Unternehmungen dieser Art gehörten die Enciclopédie de la Pléiade, veröffentlicht unter Leitung von Rolland-Manuel, die in portugiesischer Sprache von Fernando Lopes Graça veröffentlichte wurde, und die Reihe Musikgeschichte in Bildern, begründet von Heinrich Besseler und Max Schneider, herausgegeben von Werner Bachmann (VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig). Auch kann an die Publikation Musikinstrumente der Völker von Alexander Buchner erinnert werden, die entstanden ist in einer Zeit, als vermehrt Volkskunstensembles durch die Welt reisten, um die Volksmusik ihrer Nation vorzuführen, ein Buch für Musikliebhaber, ob Fachleute oder Amateure, die auch durch die bildnerische Schönheit der Instrumente gewonnen werden sollten (dt. Übers. O. South, Hanau: Dausen 1968). Erwähnt werden sollten auch die Sammlungen von Tonaufnahmen, wie das Smithsonian Folkway Recording, gegründet 1948 von Moses Asch, oder die UNESCO-Sammlung traditionelle Musik, die seit den 1950er Jahren Musik in vielen Regionen der Welt aufnahm und zu einem wertvollen Archiv von Tondokumenten wurde.

Diese genannten Publikationen in Wort und Ton gehörten zu denjenigen, die Anlass zu Überlegungen über Kriterien, Perspektiven und Verfahrensweisen bei einer weltumfassenden Betrachtung der Musik gaben. Es wurde bereits in den 1960er Jahren festgestellt, dass die Auftritte außereuropäischer Musiker und Gruppen in Europa oder umgekehrt von Europäern in außereuropäischen Ländern nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der nationale Propaganda oder Repräsentation früherer Zeiten betrachtet werden können. Es waren auch und vor allem in der Popularmusik durch die Möglichkeiten, die die Medien eröffneten, denkerische und kreative Interaktionen entstanden, die neue Musikprozesse auf internationaler Ebene entfachen ließen. Die Forschung konnte sich – wie bei der Einführung der Musikethnologie auf Hochschulebene in São Paulo 1968 diskutiert wurde – nicht mehr auf enzyklopädische Zusammenfassungen traditioneller Musik und Musikinstrumente und auf das Archivalische beschränken. Sie musste sich öffnen für einen Dialog mit den Protagonisten dieser Entwicklung, für eine Mitwirkung an Denkprozessen auf der Suche nach Ansätzen zu einer Neuorientierung einer kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung. Mit der Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes (ISMPS) 1987, wurde die World music unter vielen Aspekt leitend. Musiker und Denker verschiedener Ländern, vornehmlich Afrika und Lateinamerikas, die international, schöpferisch, denkend und produzierend der World Music widmete, wirkten maßgeblich bei der Entwicklung des theoretischen Denkens und der Ansäzte zur Neuorientierung der Forschung mit.

Beim Kongress „Musik und Visionen“, der in der Deutschen Welle von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft zur Eröffnung eines Triennums von Tagungen zum 500. Jahr der Entdeckung Brasiliens veranstaltet wurde, wurde der World Musik eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Von ihm ausgehend fanden Vorträge und Konzerte beim Kolloquium Brasil 2001 sowie beim internationalen Abschlusskongress in Brasilien 2002 statt. Die Veranstaltung eines Universitätsseminars zu World Music 2004 sollte der Realisierung eines Kolloquiums in São Paulo und Rio de Janeiro im gleichen Jahr begleiten.


Alma Barroca SP 2004. Foto A.A.Bispo

Vorangegangenes

2001. Brasil 2001. Kolloquium. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, Köln

1999. Internationaler Kongress Musik und Visionen. Deutsche Welle. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

1998. World Music bei der Expo’98. Lissabon

1995. World Music luso-afrikanischer Gemeinden in Europa. Nelson Barbosa. Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes. Köln

1981. Zusammenarbeit mit Charles Chuck Cornish. Leichlinger Musikforum. Leichlingen

1981. Musik der Welt. Deutsch-brasilianisches Musikforum und Musikschulwoche. Leichlingen

1971. Blow Up. Show/Lehrstück für Werbung, Massenkommunikation und Konsum.Die Konstruktion eines Stars. Rogério Duprat u.a. São Paulo, Rio de Janeiro, Salvador, Belo Horizonte, Curitiba u.a.

Kapstadt. Foto A.A.Bispo

Zum Seminar Bonn 2004

In diesem Seminar wurden ausgehend von in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Studien Sänger, Instrumentalisten und Musikgruppen aus außereuropäischen Ländern betrachtet, die international wirkten und deren Musik in Konzerten, Tonaufnahmen, Katalogen und Kommentaren als Weltmusik bezeichnet wird. Die Betrachtungen wurden von Überlegungen über diesen Begriff begleitet, der vielfach Gegenstand von kritischen Anmerkungen und Präzisierungen gewesen ist.

Die Aufmerksamkeit richtete sich zunächst auf den Kontext, aus dem die Musiker stammen. Geschichte, sozial- und kulturgeschichtliche sowie kulturpolitische Entwicklungen in der Gegenwart des jeweiligen Landes wurden erörtert. Dabei wurden die jeweiligen Musiktraditionen, das Musikleben und die Musikerziehung sowie und vor allem die rezente Popularmusik berücksichtigt. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Rezeption und Wirkung regionale, nationale und kontinentale Grenzen überschreitender Musikstile und -praktiken, die durch die Medien verbreitet werden. Es wurde versucht, diesen Rezeptionsprozess bei den ausgewählten Tonbeispielen herauszuhören und zu bestimmen. Zugleich wurde versucht, die Interaktionen mit der lokalen bzw. regionalen Musik zu analysieren. In der Folge wurde versucht, den Weg der internationalen Verbreitung der so entstandenen Musik durch Tonträger sowie Reisen und Auftritte der Musiker im Ausland, insbesondere in Europa und Nordamerika, nachzuzeichnen. Die wichtigsten Stationen von Konzertreisen der Musiker im Ausland und deren Aufnahme und Erfolg in den verschiedenen Ländern sollten festgestellt werden. Vor allem sollten aber die Orte und Gruppen berücksichtigt werden, in denen die Musiker und ihre Musik besonders aufgenommen wurden. Diese verortete Rezeption wurde vor allem unter dem Aspekt der Immigration betrachtet. Es wurde versucht, die Rolle der Musik und der Musikproduktion in den Migrantenkreisen und in Städten und Stadtteilen, in denen sie stärker vertreten sind, aufzuzeigen. Dadurch sollte ein Überblick über die wichtigsten Zentren des Schaffens von Musik außerhalb des jeweiligen Landes gewonnen werden. Das 1968 gegründete Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen, das auf Prozesse gerichtet war und eine Auflösung von Grenzen, auch solche der Fachbereiche und internen Facheinteilungen beabsichtigte, war Ausgangspunkt für Debatten hinsichtlich einer Musikentwicklung in globalen Dimensionen, die sich über die folgenden Jahrzehnte erstreckte. Diese Entwicklung darf trotz aller Berührungspunkte nicht in die Geschichte der Popularmusikforschung eingereiht werden. Da sie aus einem Ansatz entstanden ist, der die Überschreitung und Auflösung von Grenzen, Sphären bzw. Kompartimenten anstrebte, betrifft sie eine Orientierung, die alle institutionalisierten Fachbereiche durchzieht. Die Untersuchung der World Music ist nicht nur Aufgabe einer Popularmusikforschung. Die World Music, die sich in verschiedenen Ländern der Welt entwickelte, darf nicht nach Kriterien der Einteilungen in Kunst-, Volks- und Popularmusik betrachtet werden. Sie ist nicht das exklusive Aufgabengebiet von Popularmusikforschern

Das Seminar knüpfte an Arbeiten an, die im Rahmen des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes seit 1985 durchgeführt werden. Ausgangspunkte der Beschäftigung mit Fragen der Weltmusik in den 1980er Jahren waren Studien in Zusammenarbeit mit afrikanischen Musikern und Kulturforschern, insbesondere aus S. Tomé und Príncipe, die internationale Durchsetzung von Musikern und Gruppen der verschiedenen Länder des lusophonen Afrikas und die Rolle, die dabei die Migrantengemeinden in Europa und in den USA spielten. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde Cesária Évora gewidmet, die herausragendste Musikerpersönlichkeit der Kapverden und zugleich eine der wichtigsten Gestalten der Weltmusik.

Bei den Studierenden sollte ein Interesse dafür geweckt werden, sich mit den Kapverden als einer wichtigen Inselgruppen in der Geschichte und Gegenwart globaler Beziehungen auch unter dem Aspekt der Musik zu beschäftigen. Von dort aus sollte dann die Aufmerksamkeit auf andere Länder Afrikas gelenkt werden, die sich ebenfalls durch eine Musikproduktion von internationaler Bedeutung und Popularität auszeichnen. Im Verlaufe der 1990er Jahren erweiterte sich die Beschäftigung mit der Weltmusik über den lusophonen Raum Afrikas hinaus. In verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas wurden Beobachtungen durchgeführt, deren Ergebnisse im Seminar diskutiert wurden. Darüberhinaus wurden den Studierenden die Ergebnisse von Gesprächen vermittelt, die in Musikabteilungen nordamerikanischer Universitäten stattfanden, insbesondere in Berkeley/Kalifornien, New York und Boston.


Kapstadt. Foto A.A.Bispo

Analyse eines Projekts der Expo’98 in Lissabon

Das Projekt "A viagem dos sons/The journay of sounds", das von José Moças mit Unterstützung der Nationalen Kommission für die Kommemorationen der portugiesischen Entdeckungen und unter Mitwirkung zahlreicher Mitarbeiter und Institutionen realisiert und bei der Expo'98 in Lissabon vorgestellt wurde, wurde eingehend in jeder Sitzung anhand folgender Tonaufnahmen besprochen:

Gavana. Goa

Cantigas do Ceilão. Sri Lanka

Baila Ceilão Cafrinha! Sri Lanka

Desta Barra Fora. Damão, Diu, Cochim, Korlai

Kantiga di Padri Sa Chang. Malaca

Kroncong Moritsko. Sumatra

Fála-vai Fála-Vem. Macau

Tata-Hateke Ba Dok. Timor

Makwayela. Moçambique

Tchiloli. S. Tomé

Dz Granzin di Tera. Cabo Verde

Cavalo Marinho da Paraíba. Brasil


Herausragende Seminararbeit

Moritz Detzer. Ein Beitrag zur Diskussion zwischen Musikpädagogik und Musiktheater - drei ganzheitliche, musikpädagogische Konzepte im Vergleich.