AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

Heitor Villa-Lobos

(1887-1959)

&

Revisionen nationalistischer Historiographie


Professor Dr. Antonio Alexandre Bispo


Universität Köln
Hauptseminar – SS 2006

Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS

80 Jahre Villa-Lobos beim 3. Kammermusikfestival der Internationale Gesellschaft für Zeitgenössischer Musik, Venedig September 1925

Im Anschluss an
Gemeinsame Sitzung der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS und der Academia Brasileira de Música an der Kulturstiftung Rui Barbosa/Nationalbibliothek Brasiliens unter Teilnahmen von Dozenten und Studenten der Universitäten Bonn und Köln. Rio de Janeiro 2004

Heitor Villa-Lobos (1887-1959) ist die bedeutendste Musikergestalt Brasiliens. Er ist einer der wichtigsten Komponisten nicht nur Gesamtamerikas, sondern auch weltweit einer der renommiertesten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Vor allen in den USA werden seine Kompositionen hoch geschätzt, sein Leben und Werk gewürdigt und studiert. Das Villa-Lobos-Museum in Rio de Janeiro, das seit den 1960er Jahren Materialien und Andenken sammelt, eine Schriftenreihe veröffentlicht, Wettbewerbe organisiert und Projekte zur Erforschung des Lebens und zur Verbreitung der Werke von Villa-Lobos unterstützt, ist das wichtigste Zentrum der Villa-Lobos-Studien in Brasilien. Die Beschäftigung mit Villa-Lobos ist allerdings älter als das Museum, und eine umfangreiche Literatur über ihn und seine Kompositionen ist seit langem vorhanden. Es entstand vielerorts gleichsam ein Villa-Lobos-Kult. Chöre und Konservatorien wurden nach ihm benannt, die von ihm gegründete Musikakademie Brasiliens in Rio de Janeirop erinnerte stets an ihn. Sein Andenken wurde in breiten Kreisen vor allem durch den von ihm geprägten Orpheonischen Gesang in den Schulen gewährleistet, der allerdings seit Ende der 1960er Jahren durch das Schulfach Musik bzw. Musikerziehung, danach durch die polyvalente Kunsterziehung ersetzt wurde. Villa-Lobos-Gesellschaften, Publikationen, Editionen, Tonaufnahmen, Studien und Projekte außerhalb Brasiliens zeugen für das Anliegen, die Präsenz seiner Werke im Musikleben lebendig zu halten und ihre Verbreitung zu fördern. Unten den Villa-Lobos gewidmeten Institutionen hebt sich die 1987 in New York gegründeten Villa-Lobos Music Society hervor, die unter dem Vorsitz von Alfred Heller eine rege Tätigkeit entfachte. Zu den bedeutenden Projekten der Gegenwart zählt die Digitalisierung der Sammlung des Villa-Lobos-Museums sowie das mit der McGill University in Montreal zusammenhängende Projekt über Villa-Lobos in der brasilianischen Popularmusik. Im Klavierunterricht und im Gitarrenrepertoire in Brasilien ist die Präsenz des Werkes von Villa-Lobos nach wie vor ausgeprägt. International werden seine Kompositionen für Gitarre von Gitarristen hochgeschätzt und auch in Studien und Fachzeitschriften behandelt.

Villa-Lobos. Aus L. Paulo Horta, Villa-Lobos, Edition des Zentenars

Dennoch ist die Sorge festzustellen, dass das Interesse für das Werk von Villa-Lobos im Konzertleben und in der Forschung nachlässt. Ein Grund dafür liegt darin, dass es allzusehr mit einer bestimmten Epoche der politischen Geschichte Brasiliens verbunden erscheint, nämlich mit dem autoritären Estado Novo der 1930er und 1940er Jahre und somit mit einem ästhetischen und politischen Nationalismus, der unter vielen Aspekten problematisch ist. Bilder von ihm als Führer in orpheonischen Massenveranstaltungen („Concentrações orfeônicas“) mit tausenden Sängern in Stadien rufen nach Vergleichen mit faschistischen Großversammlungen europäischer Staaten. Er komponierte mehrere patriotische Lieder und Hymnen, die hinsichtlich Text, Musik und visueller Aufmachung der Editionen Zeugnisse eines allzu emphatischen nationalen Pathos darstellen. Villa-Lobos als Leiter von Massenchören und der Volkserziehung ist durch diese Verbindung mit autokratischen, nationalistischen Regimen in Kreisen kritischer Musiker, Kultur- und Musikforscher zumindest seit den 1960er Jahren belastet. Eine eingehende Beschäftigung mit ihm in Studien verlangt nach unangenehmen Auseinandersetzungen mit politischen Fragen, was nicht immer in Publikationen geschieht. Ein weiterer Grund für ein nachlassendes Interesse für Villa-Lobos liegt darin, dass sein Werk eng mit einem Bild Brasiliens zusammenhängt, das durch den Reichtum seiner Urwälder, Flora und Fauna geprägt war, sich in tragischer Weise verändert und der Vergangenheit anzugehören droht. Die Musik von ihm erscheint durch ihr völkisch anmutendes Anliegen und ihre Musiksprache  politisch fragwürdig und hinsichtlich des Landes, das er besingt, veraltert.

H. Villa-Lobos, Brasil-Novo. ARchiv ISMPS

Ebenfalls problematisch und veraltert wurden bereits in den 1960er Jahren die historiographischen Gesamtdarstellungen der Musikgeschichte Brasiliens gesehen sowie ein großer Teil der Villa-Lobos-Literatur, die die nationalitischen Denk- und Sichtweisen ihrer Autoren, ihre Deutungen und Wertungen erkennen lassen. Diese Literatur muss im Kontext Brasiliens und der Welt seiner Zeit aufmerksam gelesen werden. Dies erfordert Analysen unter verschiedenen Gesichtspunkten, und je nach Positionierung werden seine Person, sein Schaffen und vor allem seine Leistungen als führende Gestalt der Musikerziehung und als Musikführer zu einer Zeit des autoritären Regimes immer wieder neu bewertet. Dadurch gewinnt Villa-Lobos Bedeutung für die Debatte über bewusste oder unbewusste Kriterien der Musikhistoriographie und der Volkskunde. Die Aufmerksamkeit der Forschung muss sich nicht nur seinem Leben und Werk im Kontext seiner Zeit widmen, sondern dieses Studium muss in engem Zusammenhang mit der Untersuchung der Forschung selbst, ihrer Autoren und Netzwerke erfolgen.

Diese Einsicht ist nicht neu, aber die Diskussion darüber ist nicht abgeschlossen. Sie ist im Gegenteil aktueller denn je, da es um die Beziehung von Musik und Nationalismus geht. Sie impliziert, die musikhistoriographische Literatur aufmerksamer nach ihr innewohnenden politischen Tendenzen, Überzeugungen und Perspektiven zu lesen, die Gewichtungen und Wertungen bedingen. Villa-Lobos wird zu einem exemplarischen Ausgangspunkt für eine Musikforschung, die internationale Prozesse fokussiert und dafür interne Fachbereiche überwindet und interdisziplinär vorgeht. Die Auseinandersetzung mit der nationalistischen Musikliteratur Brasiliens kann auch Anregungen für die ebenfalls aufmerksame Betrachtung der musikwissenschaftlichen Literatur der 1930er und 1940er Jahre in anderen Kontexten Europas und der Vereinigten Staaten geben. Die Untersuchung der Positionierung von Musikforschern und Publikationen der Zeit, das Erkennen der von ihrer Einstellung geprägten Deutungen und Wertungen, die sich vielfach durchsetzten und weiterleben, stellt eine wichtige Aufgabe für eine selbstkritische Musikwissenschaft dar.

Archiv ISMPS

Entwicklung der Studien

Die Auseinandersetzung mit Villa-Lobos setzte Mitte der 1960er Jahren im Rahmen der Bewegung zur Erneuerung der Kultur- und Musikstudien in São Paulo ein. Vor allem die Ausrichtung des Faches Orpheonischer Gesang in Konservatorien und Schulen, aber auch im allgemeinen die nationalistische Orientierung in Publikationen zur Musikgeschichte Brasiliens riefen die Notwendigkeit einer Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse, in die diese Literatur sich einfügte, ins Bewusstsein. Die in ihr vermittelten Überzeugungen widersprachen den Bestrebungen nach Überwindung von Zuständen, Strukturen und Institutionen aus einer Zeit des autoritären Militärregimes. Diese Debatte wurde im Rahmen der 1968 gegründeten Gesellschaft Nova Difusão mit dem Zentrum für musikwissenschaftliche Studien weitergeführt, die sich u.a. für die Verbreitung zeitgenössischer Musik einsetzte. Bei diesen Studien wurde jedoch erkennbar, dass Villa-Lobos bereits in den 1920er Jahren in Kreisen der Internationalen Gesellschaft für Zeitgenössische Musik neben Namen wie Ferruccio Busoni, Mauricio Ravel, Arnold Schönberg, Jan Sibelius, Richard Strauss, Igor Strawinski, Alfredo Casella, Zoltan Kodály und Egon Wellesz erscheint. Es wurde dabei die Notwendigkeit von aufmerksamen Differenzierungen erkannt, da diese Komponisten unterschiedliche musikästhetische und politische Tendenzen vertraten. Die nicht zu leugnende politische Gesinnung der Unternehmungen von Villa-Lobos in Brasilien nach seiner Rückkehr aus Europa in den 1930er Jahren darf nicht undifferenziert auch auf die davor liegende Zeit projeziert werden. Sie war auch Folge von Prozessen, die in Europa abliefen. Villa-Lobos darf nicht nur unter dem Aspekt des Nationalismus dieser Phase der politischen Geschichte Brasiliens bewertet werden. Gleichzeitig wurde aber auch ersichtlich, dass die Voraussetzungen dieser Entwicklung Ziel von Studien der Geschichte der Musik des 20. Jahrhunderts sein müssen, da auch andere Komponisten der Zeit, u.a. der italienischen Avantgarde mit ihren faschischtischen Ausprägungen, eine vergleichbare Entwicklung durchmachten. Diese Problematik wurde bei einem Konzert/Vortrag im Konservatorium Villa-Lobos von São Paulo im Rahmen des Herbstfestivals der Gesellschaft Nova Difusão mit Unterstützung des Kulturamtes von São Paulo bereits 1970 hervorgehoben.

Archiv ISMPS. Programm 3. Festival di Musica da Camera, Venezia 1927.

Diese Auseinandersetzung mit der Musikentwicklung in Europa in den 1920er und 1930er Jahren, die brasilianische Musikerpersönlichkeiten wie J. de Souza Lima (1898-1982) miterlebten, wurde im Rahmen des Programms zur Erneuerung von Ansätzen in Kultur- und Musikstudien ab 1975 in Deutschland weitergeführt. Zu den wichtigsten Momenten der weiteren Entwicklungen zählte die Villa-Lobos gewidmete Sitzung bei der Eröffnung des Internationalen Symposiums „Kirchenmusik und Brasilianischen Kultur“ in São Paulo 1981, als sein Magnificat-Alleluia im Gouverneurspalast von São Paulo aufgeführt wurde. Dabei wurde die zunächst sonderbar erscheinende Orientierung von Villa-Lobos nach Kriterien der kirchenmusikalischen Restauration in seinem kirchenmusikalischen Schaffen betont, was bei oberflächlicher Betrachtung dem nationalistischen Anliegen nicht entsprach. Es bestand jedoch eine Kohärenz in der zutiefst konservativen Ausrichtigung in beiden Fällen.  

Für die Realisierung des ersten Brasilianischen Kongresses für Musikwissenschaft wurde das Jahr gewählt, das als Zentenar von Villa-Lobos gefeiert wurde. In ihm sollte der Stand der Studien und Tendenzen in allen Aspekten der Musikforschung diskutiert werden. Die Veranstaltungsort des Kongresses in São Paulo war durch die Bedeutung der Stadt für die Karriere von Villa-Lobos zu Beginn der 1930er Jahre gewählt worden. Dort realisierte er das bahnbrechende Monumentalkonzert unter Mitwirkungen bedeutender Musikerpersönlichkeit der Stadt, das Orchester, Blaskapellen, Chöre und Hunderte von Sängern vereinte. Musiker, die dieses Ereignisses erlebt hatten, erläuterten seine Voraussetzungen und Folgen. Der Stand der Villa-Lobos-Studien und auf ihn bezogenen Aktivitäten wurde durch das Museum Villa-Lobos erörtert. Sein Musikschaffen wurde auch unter dem Aspekt der Synästhesie betrachtet. Die Kommemoration von Villa-Lobos in einer brisanten Zeit der Redemokratisierung Brasiliens richtete die Aufmerksamkeit auf kulturpolitische Fragen seiner Verwobenheit mit dem autoritären System der 1930er und 1940er Jahre. Vor allem die orpheonische Bewegung trat in der Mittelpunkt der Diskussionen, wobei Musikforscher wie Bruno Kiefer (1923-1987) dafür plädierten, eine Musikerziehung nach Prinzipien von Villa-Lobos wieder einzuführen.

In Deutschland wurde im Rahmen einer vom Außenministerium Brasiliens geförderten Konzertreise der Pianistin Eny da Roche zur Feier des Villa-Lobos-Jahr ein Vortrag zur Stellung von Villa-Lobos in der Musikwissenschaft und im Gesamtkontext der luso-brasilianischen Forschung vom Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes in Köln veranstaltet. Beim Internationalen Kongress „Musik und Visionen“, der in der Deutschen Welle von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschft/ISMPS am Vorabend der Feier zum 500. Jahr der Entdeckung Brasiliens veranstaltet wurde, wurde u.a. der Xangô von Villa-Lobos bei der Eröffnungssitzung vorgetragen, der nicht ohne symbolische Bedeutung gewählt wurde. In einem Kolloquium unter dem Titel „Johann Sebastian Bach und Heitor Villa-Lobos“ zum A. Schweitzer- und J.S. Bach-Jahr 2000 in Köln wurde in gemeinsamer Kooperation mit der Brasilianischen Musikakademie dafür plädiert, das Werk und die Wirkung des Komponisten der Bachianas Brasileiras verstärkt in der deutschen Musikwissenschaft zu würdigen, allerdings unter aktuellen theoretischen, kulturwissenschaftlich orientierten Ansätzen. In einem darauf folgenden Kolloquium im Jahr 2001 wurden Beziehungen zwischen Musik, Musikforschung und Politik im 20. Jahrhundert sowohl in Deutschland als auch in Brasilien diskutiert und dabei die Notwendigkeit hervorgehoben, der Frage nach den Auswirkungen des Nationalismus auf die Forschung und Musikgeschichtsschreibung nachzugehen. 2002 wurde bei der Sitzung zu Musik und Kulturdiplomatie zum Abschluss des Trienniums wissenschaftlicher Tagungen zum 500. Jahr der Entdeckung Brasiliens im Museum für Diplomatische Geschichte des Außenministeriums Brasiliens an Villa-Lobos in seinen Beziehungen zum Diplomaten und Literaten Ronaldo de Carvalho (1893-1935) erinnert.


Archiv ISMPS. Programm 3. Festival di Musica da Camera, Venezia 1927.

Vorangegangenes

2002. Internationaler Kongress Musik, Projekte und Perspektiven. Rio Grande do Sul, São Paulo und Rio de Janeiro

2002. Musik in der Kulturdiplomatie. Villa-Lobos und Ronaldo de Carvalho (1893-1935). Museum Diplomatischer Geschichte. Außenministerium Brasiliens. Rio de Janeiro

2001. Brasil 2001. Kolloquium der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

2000. J.S.Bach und Villa-Lobos. A. Schweitzer- und Bach-Jahr 2000. Vorträge u.a. zur Bachbewegung in Brasilien und A. Schweitzer. Bachianas Brasileiras. Kolloquium der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

1999. Villa-Lobos. Eröffnung des Internationalen Kongresses Musik und Visionen. Deutsche Welle und Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

1987. I. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft im Villa-Lobos-Zentenar-Jahr. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. Stand der Forschung und der Verbreitung der Werke von Villa-Lobos. Vorträge u.a. zu Villa-Lobos und Synästhesie, Villa-Lobos und Musikerziehung. São Paulo

1987. Besprechungen am Museum Villa-Lobos, Rio de Janeiro

1987. Vortrag zu H. Villa-Lobos. Programm des Außenministeriums zum Villa-Lobos-Jahr. Brasilianische Botschaft Bonn, ISMPS. Köln

1982. Villa-Lobos. Multilaterale Beziehungen. Deutsch-Brasilianisches Musikforum mit Musikschulwoche. Leichlingen

1981. Heitor Villa-Lobos und die Kirchenmusik. Mit Eleazar de Carvalho. Regierungssitz des Gouverneurs von São Paulo. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. São Paulo

1970. Villa-Lobos unter neuen Perspektiven. Herbstfestival der Gesellschaft Nova Difusão. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen und Kulturamt São Paulo am Villa-Lobos-Konservatorium. São Paulo

1969. Villa-Lobos in der Musikgeschichte. Zum Anlass der Anerkennung der Lehrbefähigung. Instituto Villa-Lobos, Rio de Janeiro. São Paulo

1968. Villa-Lobos in São Paulo. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen/Gesellschaft Nova Difusão. São Paulo

Archiv ISMPS

Zum Seminar

Im SS 2006 wurde das Seminar zu Villa-Lobos und zu Revisionen nationalistischer Musikforschung an der Universität Köln durchgeführt. Es wurde von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS initiiert und getragen. Damit wurde ein Desiderat erfüllt, das bei der gemeinsamen Sitzung in der von Villa-Lobos gegründeten Academia Brasileira de Música 2004 zum Abschluss des Internationalen Kolloquiums interkultureller Studien formuliert worden war. An ihm hatten mehrere Studenten der Universitäten Bonn und Köln teilgenommen.

Hauptanlass für die Debatten war die Erinnerung an das 3. Festival für Kammermusik der Internationalen Gesellschaft für Kammermusik in Venedig im September 1925, in dem Werke von Villa-Lobos aufgeführt wurden. Die Vorgeschichte dieses Ereignisses wurde näher betrachtet. Es wurde daran erinnert, dass im August 1922 eine Gruppe junger Komponisten aus Wien ein Festival moderner Musik unter Leitung von Rudolph Reti (1885-1957) in Salzburg organisierte und dabei deren Freunde aus London, Paris, Berlin und anderen Zentren zur Teilnahme einluden. Es war die erste Veranstaltung, bei der nach dem ersten Weltkrieg Musiker aus bis zuvor verfeindeten Ländern zusammenkamen. In der Folge wurde eine internationale Gesellschaft gegründet, die weitere Veranstaltungen zur Förderung neuer Musik veranstalten sollte. Sie entstand 1923 in London und hatte Sektionen in allen europäischen Ländern, in den Vereinigten Staaten und in Brasilien. 1923 folgte ein Festival für Kammermusik in Salzburg, ein weiteres für Orchestermusik in Prag und 1924 für Kammermusik wiederum in Salzburg. Die Gesellschaft wurde 1924 von der Corporazione delle nuove Musiche eingeladen, ein Festival für Kammermusik in Venedig 1925 zu veranstalten. Am 3. September 1925 wurden die „Epigrammas Ironicas e Sentimentais“ und „Historietas“ von Villa-Lobos von Eva Gauthier und Alfredo Casella aufgeführt. In dem Konzertprogramm erscheint Villa-Lobos neben Erwin Schulhoff, Gabriel Fauré, Hans Eisner, Henry Eichheim, Wilhelm Grosz und Paul Hindemith.

Das Seminar sollten den Teilnehmern nicht nur einen Gesamtüberblick über den Stand der Literatur zu Villa-Lobos, die ihn betreffenden Institutionen und Projekten sowie die Präsenz seiner Werke im Musikleben und in den Medien in verschiedenen Ländern der Welt, insbesondere in den Vereinigten Staaten, vermitteln. Es sollte vor allem Perspektiven, Zielsetzungen, Vorgehensweisen und Deutungen der verschiedenen Autoren besprechen. Zum anderen sollten sich die Studierenden – von Villa-Lobos als Fallstudie ausgehend – mit den Auswirkungen nationalistischer Positionierungen in der Musikhistoriographie im allgemeinen und in der Musikethnologie sowie in der Volkskunde im besonderen befassen.

Das Seminar hatte auch als Ziel, die Sensibilität für Probleme der Gegenwart angesichts neu aufkommender Bestrebungen nationalistischer, völkischer und populistischer Art zu schärfen. Sie hängen zusammen mit zunächst positiv belegten Begriffe wie dem der Identität und des Ethnopluralismus. Zugleich sollte die Aktualität von Villa-Lobos in dem Sinne ins Bewusstsein gerufen werden, dass er wie kaum ein anderer den brasilianischen Urwald besungen hat und somit in aktualisiertem Verständnis ein Bespiel für eine recht verstandene Liebe zur Natur setzt.


Einführende Gespräche nach Texten des Seminarleiters

Bispo, A.A. "No Ano Villa-Lobos: Necessidade da Pesquisa da Ciência". Vortrag am 22. Oktober 1987. Brasilianische Botschaft. Brasil-Europa & Musicologia: Aulas, Conferências e Discursos. Köln: ISMPS 1999, 216-219

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------------. "A canção brasileira e o retrato do Brasil. Algumas reflexões metodológicas". Vortrag zum Konhzert von S. Donato in der Akademie Brasil-Europa. Köln: ISMPS 1997. Internet
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Revista Brasil-Europa/Correspondência Euro-Brasileira 72 (2001:4).Internet
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- aus der Reihe des Museums Villa-Lobos:

Presença de Villa-Lobos: 2 (2a.ed. 1982); 7(1972); 9 1974); 10(1977);11(1980; 12(1981)

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