AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

TRANSATLANTISCHE MUSIKPROZESSE

Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Universität Köln
Vorlesung - SS 2005


Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS

im Anschluss an Gespräche im
The Graduate Center der City University of New York - CUNY - 2005


Musikproduktion und Musikdenken in den USA prägen seit Jahrzehnten maßgeblich das Musikleben und die Musikstudien in Europa. Ohne Jazz, Rock und andere Strömungen populärer Musikkultur aus Nordamerika ist der geschichtliche Weg der U-Musik in Europa nicht nachzuvollziehen. Auch das zeitgenössische Kunstmusikschaffen in Europa erhielt und erhält entscheidende Anregungen von nordamerikanischen Komponisten. Kunsttheoretische Tendenzen und wissenschaftliche Konzepte renommierter Stätten der Musikforschung der USA werden von der europäischen Musikwissenschaft rezipiert und bestimmen vielfach die Entwicklung des Faches. Die Musikethnologie war vielleicht am augenscheinlichsten diesen theoretischen und methodologischen Beeinflussungen unterworfen, sie sind aber auch in den historisch und systematisch ausgerichteten Fachbereichen aufzuspüren.

Wie postmoderne und poststrukturalistische Tendenzen zeigen, ermöglichte vielfach erst der Erfolg von Denkströmungen aus Europa in den USA deren Durchsetzung in der Alten Welt. Entwicklungen des Musikforschens und -schaffens in den USA sind selbst of Ergebnisse der Wirkung von Musikwissenschaftlern und Komponisten, die seit den dreißiger Jahren Europa verlassen mussten. Zahlreiche Musiker aus den USA haben seit dem 19. Jahrhundert in Europa studiert und die erfahrenen Impulse weitergetragen.

Rockefeller Center NY.Foto A.A.Bispo

Siedler aus verschiedenen Ländern Europas hatten zuvor die Grundlagen zur Entwicklung des Musiklebens und der Musiktraditionen gelegt. Die Geschichte wechselseitigen Austauschs ist von faszinierender Vielschichtigkeit, Verharrungen, Erneuerungen und Wandlungen geprägt. In der Gegenwart wird aber zunehmend deutlich, dass die Faszination für diese Wechselbeziehungen in einer gemeinsamen Musikgeschichte nicht mehr ausreicht. Neue Ansätze zur Analyse dieser kulturellen Prozesse sind nötig, um auch die bedenklichen Folgen einer vor über 500 Jahren in Gang gesetzten kolonialen und expansiven Entwicklung kritisch untersuchen zu können. Dabei sind die transatlantischen Beziehungen, die Europa, Afrika und Amerika erfassen, mit interamerikanischen Kulturprozessen in Verbindung zu bringen. Die Situation der Gegenwart ruft auch musikwissenschaftlich nach verstärkten kritischen Auseinandersetzungen.

Rockefeller Center NY.Foto A.A.Bispo

Vorangegangenes

2005. Besprechungen an der University of Puerto Rico. San Juan

2005. Besprechungen im Kulturzentrum von Aruba

2005. Museo de la Música Puertorriqueña. Ponce, Puerto Rico

2003. Vorlesung Musikgeschichte Amerikas. Universität Bonn

2003. Studien und Besprechungen in Jamaika, Santiago de Cuba, Dominikanische Republik

2001. Besprechungen an der Nationalbibliothek und dem Nationalkonservatorium Kubas. La Havanna

2001. Studien in Haiti und der Dominikanischen Republik

1992. Zusammenarbeiten mit Robert Stevenson, Univ.Santa Barbara/California. Kongress zum 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Amerikas. Rio de Janeiro

1987. Projekt Music in the Life of Man, International Music Council/UNESCO. Regionaltreffen für Lateinamerika und Karibik. São Paulo

1985. Projekt Music in the Life of Man, International Music Council/UNESCO. Regionaltreffen für Lateinamerika und Karibik. Mexico-City

1983. Internationales Symposion. Catholic University of America. Washington D.C.

1983. Deutsch-Amerikanisches Musikforum/Musikschulwoche. 300 Jahre deusche Auswanderung. Unterstützung US-Botschaft/American School Bonn. Leichlingen

1979-1987. Zusammenarbeit mit Gerard Behague. Nord-Texas University

1977-1992. Zusammenarbeiten mit Robert Skeris. Church Music Association. Institut für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach

1972-1974. Amerikanische Musikethnologen und die Musikethnologie an der Fakultät für Musik des Musikinstituts São Paulo

Rockefeller Center NY.Foto A.A.Bispo

Bei Gesprächen, die am The Graduate Center der City University of New York CUNY 2005 durchgeführt wurden, wie davor am Center of Latin American Studies, University of California, Berkeley, wurde als besonders opportun hervorgehoben, die Bedeutung der Musik in den transatlantischen Beziehungen im Rahmen einer Vorlesung an einer deutschen Universität angesichts der Aktualität des Themas zu behandeln. Es sollte im Sinne einer Musikkulturforschung abgehalten werden, die Prozesse fokussiert. Dabei sollte auch die Debatte wiederaufgegriffen werden, die bei dem deutsch-amerikanischen Musikforum diskutiert wurde, das 1983 mit Unterstützung der US-Botschaft stattfand und bei der die Interaktionen von transatlantischen und interamerikanischen Prozessen als wichtiges Ziel von Überlegungen und Studien hervorgehoben wurden. Die Vorlesung fand im SS 2005 im Rahmen der außerplanmäßigen Professur an der Universität Köln statt, die sich mit einer prozessorienten Musikwissenschaft – musikologische Kulturanalyse/kulturanalytische Musikforschung – befasst, und wurde von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft initiiert und getragen.


Rockefeller Center NY.Foto A.A.Bispo

Die transatlantische Debatte war 2005 durch den Europa-Besuch des amerikanischen Präsidenten G.W. Bush neu entfacht worden, da aus seinen Worten von vielen eine neue, vielversprechende Phase der Beziehungen vernommen wurde. Jahrelange hatten Beobachter den Bedeutungsverlust des transatlantischen Verhältnisses mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärt. Andere wiesen darauf hin, dass diese Erklärung unvollständig sei, da sie die Entwicklung allein aus der Sicht von politischen Interessen betrachte und nicht menschliche und kulturelle Beziehungen berücksichtige.

Denjenigen, die sich für Völkerverständigung auf Grund allgemeiner Werte und historisch gewachsener Bindungen einsetzten, standen antiamerikanisch eingestellte Intelektuelle entgegen, die die theoretische Debatte an den Universitäten prägten. Im allgemeinen wurde eine Entfremdung zwischen Europa und Amerika beklagt, die auf eine Verstärkung von bestehenden Differenzen hinsichtlich Mentalitäten, Anschauungen, Interessen und Vorgehensweisen zurückwies.  





Rockefeller Center NY.Foto A.A.Bispo

Ein Impuls zur Veranstaltung einer Vorlesung über die transatlantischen Beziehungen unter dem Aspekt der Musikforschung war der Vortrag von Karsten D. Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, an der Humboldt-Universität Berlin am 11. Februar 2004.

In diesem Vortrag wurde daran erinnert, dass der Anschlag vom 11. September als Angriff auf die gesamte westliche Welt empfunden wurde. Als Gründe für die Identifizierung der Europäer mit den Amerikanern nannte Voigt die traditionell engen Bindungen zwischen Europa und den USA, die stärker sind als zwischen anderen Regionen der Welt, da beide auf eine gemeinsame Kultur- und Geistesgeschichte zurückblicken und die gleichen Grundwerte hinsichtlich Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaat und Marktwirtschaft teilen.

Voigt erinnerte aber auch daran, dass eine religiös geprägte Terminologie amerikanischer Diskurse und der in ihnen der Religion zukommende Stellenwert eine Ursache von Befremden darstellt. Voraussetzung für eine Erneuerung der transatlantischen Beziehungen wäre nach Voigt eine tiefere Kenntnis der anderen Seite. Wenn die Unterschiede bewusst und deren Hintergründe analysiert würden, würde es leichter fallen, Positionen nachzuvollziehen. Es wäre demnach wünschenswert, wenn Institutionen dazu beitragen würden, diese Kenntnis zu fördern und somit zum gegenseitigen Verständnis beizutragen. Dabei sollte u.a. einer der Hauptgründe der Entfremdung, der Stellenwert der Religion, durch vertieftere Studien beleuchtet werden. Voigt erinnerte daran, dass Amerika von Religionsflüchtlingen, Baptisten, Quäkern, Mennoniten mit aufgebaut wurde, sodass das dem dort herrschenden, anderen Verhältnis zwischen Religion und Staat mehr Verständnis entgegengebracht werden sollte. Er wies aber auch darauf hin, dass auch die Religionen sich wandeln, sodass der amerikanische Protestantismus sich der Psychologie, das religiöse Denken in Europa sich der Philosophie nähern würde. Wenn auch eine Idee Amerikas als Nation auf säkularen Grundlagen beruht, gewannen zunehmend evangelikale Gruppen in allen Bereichen an Einfluss. Der europäische Blick richtete sich jedoch fast nur auf die säkularen Zentren an der Ost- und Westküste.

Diese in dem Vortrag Voigts hervorgehobene notwendige Beachtung der Religion, vor allem der Evangelikalen in Amerika, als ein Faktor der Entfremdung ließ die Bedeutung erkennen, welche der Musik bei den transatlantischen Debatten zukommt. Wie die hymnologischen Studien seit Jahrzehnten ans Licht gebracht haben, waren Gesang, Instrumentalpraxis und Musikfragen auf das Engste mit der Übertragung, Verbreitung und Entstehung von religiösen Strömungen verbunden.



Cathedral NY.Foto A.A.Bispo

Ein anderer, wichtiger Aspekt der transatlantischen Studien, die stetige Zuwanderung von Latinos und somit auch die Zunahme katholisch geprägter Volksgruppen, ist ebenfalls eng mit Musik verbunden. Die transatlantischen Studien sollten sich somit nicht nur auf die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten beschränken.

Entsprechend der deutschen Perspektive auf die transatlantischen Beziehungen wurden allerdings in der Vorlesung vor allem die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA behandelt. Musikveranstaltungen und Projekte, die Kooperationen zum Ausdruck brachten oder der transatlantischen Verständigung dienten, sollten besprochen werden. In der Vorlesung wurden herausragende Musiker aus verschiedenen Epochen, die in Europa studiert hatten und in Amerika wirkten, vorgestellt . Eine besondere Aufmerksamkeit galt den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA in der Musikwissenschaft selbst, u.a. der Rezeption wissenschaftlicher Positionen Nordamerikas in der deutschen Musikforschung.

Los Angeles.Foto A.A.Bispo