AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

MUSIKGESCHICHTE DER NEUZEIT
IN GLOBALER PERSPEKTIVE - QUELLEN


Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo

Universität Bonn
Seminar – SS 2003


50 Jahre: Répertoire International des Sources Musicales (1952)
35 Jahre: Projekt Musik in Reiseberichten, Nova Difusão 819689
Aktualität: Musik im Bild – Ein Kulturerbe der Europäischen Union im Rahmen des Programms Kultur 2000


Im Anschluss an die
Sitzung zur Archivistik und Quellenforschung
Bibliothek der Abtei São Bento, Rio de Janeiro
Internationaler Kongress Musik,Projekte und Perspektiven
Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS (2002)

Globalisierung ist nicht lediglich ein Schlagwort, sie ist eine Realität. Sie ist aber an sich kein neues Phänomen. Sie bezieht sich auf eine Intensivierung von grenzüberschreitenden Verflechtungen und Interaktionen, die schon vor langem eingesetzt haben, auf Prozesse, die in der Gegenwart eine neue Qualität erreicht haben. Medien und Kommunikation erlaubten seit etwa den 1960er Jahren die immer bewusster werdende Wahrnehmung, dass eine neue Situation internationaler und interkontinentaler Beziehungen durch die wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen, durch die Beschleunigung des Informationsflusses und des Austausches trotz aller Differenzen einsetzte. Sie stellt eine Herausforderung für alle Wissens- und Wissenschaftsbereiche dar, die überkommene Sicht- und Denkweisen überwinden und geeignete Kriterien und Verfahrensweisen entwickeln müssen. Um sich nach grenzüberschreitenden Prozessen der Globalisierung zu richten, müssen die Grenzen durchlässig sein oder gar überschritten werden. Da sich der Blick auf Prozesse richtet und somit auf Vorgänge, die in der Zeit verlaufen, gewinnen geschichtliche Perspektiven auch bei der Analyse aktueller Vorgänge notwendigerweise an Bedeutung. Grenzen zwischen gegenwartsbezogener und empirischer Forschung und Geschichtswissenschaft werden durchlässig.  

Dies betrifft auch das Studium der Musik.

Musik, die auch in der Zeit verläuft, weist nicht nur metaphorisch eine Similarität mit Prozesshaftem in all seinen Aspekten auf, was das Bewusstsein für die Bedeutung der Musikgeschichte bei Globalisierungsstudien schärft. Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, muss sich aber die Musikgeschichtsforschung ändern, neu orientieren. Sie beschränkt sich allzu sehr auf Europa und behandelt andere Kontinente nur aus der Distanz und oberflächlich. Damit wird aber Historisches auf Europa, Ethnologisches auf die außereuropäische Welt bezogen, was untragbar ist. Die Ausweitung musikhistorischer Perspektive über die Grenzen Europas hinaus verlangt in vieler Hinsicht ein Umdenken, eine Öffnung von Perspektiven, Verlagerungen von Interessen, neue Prioritätensetzungen, neue Ansätze und Verfahrensweisen. Vorbedingung ist die Erhebung und das Sichten von Quellen sowie ihre kontextgerechte Analyse und Deutung. Quellen sind unentbehrlich unter allen Aspekten für die Forschung. Sie betreffen auch die Grundlagen und die Hauptproblematik einer Musikgeschichte, die global ausgerichtet ist.

Die Befassung mit Musik im Zeitalter der Globalisierung verlangt Beachtung weltumfassenden Zusammenhänge und Entwicklungen, und dafür sind die Quellen notwendig. Nicht nur Schriftliches dokumentiert Vergangenes, sondern auch Noten, Bilder und überhaupt alle Art von historischen Zeugnissen, auch Tonaufnahmen, dienen als Quellen für Studien von prozesshaften Vorgängen. Die konservierten Zeugnisse mündlicher Tradition sind eigentlich die Quellen, die besonders ausgewertet werden müssen, auch in einer historisch orientierten Forschung. Quellen müssen erhoben, gesammelt, aufbewahrt, klassifiziert, analysiert und nach adäquaten Kriterien gelesen werden. Sie alle – auch die nicht-schriftlichen – sind Texte, die aufmerksam gelesen werden müssen. Tonträger, Noten, Publikationen, Informationen, Quellen, Zeugnisse und sonstige Dokumente aus verschiedenen Ländern und Kontexten müssen berücksichtigt werden. Die Verwendung dieses Quellenmaterials verlangt nach neuen Perspektiven und Ansätzen.

Maritim Museum Malakka. Foto A.A.Bispo

Die Expansion europäischer Musikkultur im Verlaufe der Entdeckungsfahrten, der Missionen und der Kolonisierung führte zur Entstehung von Pflege- und Ausbildungsstätten der Kirchen-, Militär- und Kunstmusik in Amerika, Afrika und Asien. Die Aufrechterhaltung dieser Zentren europäischen Musiklebens erforderte die Zusendung von Musikinstrumenten und Notenmaterialien sowie die Aussendung von Musikern, Komponisten und Musiklehrern. Dieser Vorgang, der in vieler Hinsicht Planung, Organisation, finanzielle Mittel und Personal verlangte, konnte nicht ohne Einfluss auf die musikgeschichtliche Entwicklung in Europa selbst bleiben. Die Erfordernisse in den verschiedenen Regionen sowie die unterschiedlichen kulturellen, sozialen und geistigen Gegebenheiten mussten beachtet werden. Die Erfahrungen mit dem Einsatz der Musik in den Missionen brachten Konsequenzen für kirchliche Einrichtungen in ihrer Einstellung zur Musik auch in Europa mit sich.

Bibliothek Mosteiro S. Bento RJ. Foto A.A.Bispo

Bibliotheken, Archive, Sammlungen und Museen stellen trotz aller Erleichterungen, die das Internet bietet, die wichtigsten Zentren der Aufbewahrung und Erforschung von Quellen dar. Ihre Bestände werden vielfach veröffentlicht. Für das Musikstudium sind großangelegte Unternehmungen wie Fontes Artis Musicae, Répertoire International des Sources Musicales – RISM – und Répertoire International d'Iconographie Musicale – RidiM – grundlegende Datensammlungen. Bibliothekswissenschaftliche Studien, auch unter dem Aspekt der Musikforschung, sowie Probleme der Archivistik und der Quellenforschung verdienen seit Jahrzehnten Beachtung.

Bei diesen Arbeiten haben sich Bibliothekare hervorgetan, die Bestände mit wertvollen Raritäten in Bibliotheken außerhalb Europas und Nordamerikas verwalten. Sie haben sich oft für einen stärkeren Austausch von Daten in internationaler Kooperation eingesetzt. Es gibt kaum ein beeindruckenderes Beispiel für die Vergänglichkeit von den Trägern des Wissens als das Mondaneum in Mons mit seiner weltumfassenden Sammlung von Karteikarten, dem Musée International de la presse, dem Répertoire iconographique universel, dem Répertoire universel de documentation und der Encyclopedia Universalis Mundaneum.

Für Erforschung der Geschichte in weltumfassenden Zusammenhängen als ein Erfordernis im Zeitalter der Globalisierung stellen sich weiterhin schwerwiegende Problemen. Nicht nur müssen Sammlungen in fernen Ländern erfasst werden. Publikationen des 19. Jahrhunderts – Bücher, Magazine, Illustrierten, Zeitungen, Zeitschriften, Pamphlete, Programme, Annoncen und auch Noten – wurden vielfach einer Aufbewahrung nicht für wert gehalten und meist aus Platzgründen aus den Beständen von Bibliotheken entfernt. Ausgerechnet in ihnen finden sich jedoch, eingewoben in belanglos erscheinende Reiseberichte oder Aufsätze zu verschiedenen Themen, Hinweise, die für eine Musikgeschichte in globalen Zusammenhängen, zumindest aber als Zeugnis für die europäische Wahrnehmung der Musik außereuropäischer Regionen, von Bedeutung sind.

Zur Entwicklung der Studien

Die Bedeutung von Quellen für die Musikforschung wurde seit Jahrzehnten erkannt und in Publikationen hervorgehoben. Die Notwendigkeit der Auffindung, Katalogisierung und Konservierung von Archiven und Bibliotheken prägen die Geschichte der Forschung.

Das Bewusstsein für die Bedeutung von Quellen zur Musik in außereuropäischen Regionen wurde vor allem durch die Auffindung von Noten aus der Kolonialzeit Lateinamerikas in den ersten Hälte des 20. Jahrhunderts gefördert. Sie zeugten für ein reges Musikleben in Zeiten vor der Unabhängigkeit vieler Länder und zwangen zu einer Revision von musik- und kulturhistorischen Ansichten. Herausragende Leistungen vollbrachten in Lateinamerika Luis Heitor Correa de Azevedo als Leiter der Bibliothek der Musikhochschule von Rio de Janeiro und vor allem Francisco Curt Lange, der mit Auffindung von die Kolonialzeit aufwertenden Quellen erhebliche Diskussionen mit nationalistisch orientierten Musikforschern entfachte.

Sensationalistische Entdeckungen, „Rettungen“ oder gar Raub von Quellen verdunkelten die musikhistorische Forschung in Brasilien seit Jahrzehnten, die sich vielfach in einem Rennen, einer Jagd nach Partituren erschöpfte. Dieses fiebrige Interesse ging von der Erwartung aus, Meisterwerke zu entdecken, die auf der Höhe des Musikschaffens Europas der Zeit waren. Mit der Schärfung des Bewusstseins für eine notwendige Neuorientierung der Forschung durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse wurden nicht nur die „Kleinmeister“ aufgewertet, sondern auch die Quellen zu Musikpraktiken, die andere Kriterien zu ihrer Analyse erfordern. Durch grenzüberschreitende Betrachtungsweisen wurde die Bedeutung erkannt, die ihnen als historische Zeugnissen für Musikpraktiken, die in der Volkstradition über die Jahrhunderte tradiert wurden, zukommt. Auch aus späteren Zeugnissen konnten Rückschlüsse auf vergangene Musikpraktiken gezogen werden, die sich einreihten in Entwicklungen, welche auf die ersten Zeiten der Kolonisierung zurückgingen und für die in vielen Fällen keine notierte Dokumentation besteht. Musikbeispiele aus der Entdeckungszeit, die in Denkmälern veröffentlicht wurden, stellen herausragende Ausnahmefälle dar. Auch sie werden erst in ihrer Bedeutung adäquat erkannt, wenn die in ihnen dokumentierte grenzüberschreitunge Stellung zwischen „Kunst-“ und „Volksmusik“ beachtet wird. Diese Neuorientierung der Quellenforschung bzw. -analyse bestimmte die Arbeit des Zentrums für musikwissenschaftliche Forschungen, das 1968 gegründet wurde.

Das Fehlen an Noten sowie die schwere Auffindbarkeit und Zugänglichkeit von Quellen sowie die Diversität der Materialien mit Informationen zur Musik wurden während der von den europäischen Institutionen veranstalteten Symposien 1984 und 1985 in Brüssel als gravierendste Probleme bei der Untersuchung der Rolle der Musik bei den wechselseitigen Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika seit der Entdeckungszeit diskutiert.

Im Anliegen, die unzulängliche Situation der Quellenforschung zu beheben, das mindestens seit 1968 formuliert worden war, wurden in den 1980er Jahre Arbeiten zur Erhebung und Analyse von Quellen aus der Zeit der Expansion Europas in der Entdeckungzeit und der Missionsgeschichte in verschiedenen europäischen und außereuropäischen Archiven, wie in der Missionskongregation in Rom, im Arquivo Ultramarino Lissabons, in der Nationalbibliothek Rio de Janeiros und in Sammlungen Goas durchgeführt. Diese Arbeiten stellten die Grundlagen zur weiteren Entwicklung der Studien von Prozessen in weltweiten Dimensionen, nicht nur von denjenigen, die Portugal betreffen.

Beim Projekt Music in the Life of Man/A World History of Music des Internationalen Musikrates/UNESCO wurde in Mexico-City 1985 und in São Paulo 1987 nochmals die Notwendigkeit hervorgehoben, in der Musikforschung den als wenig wertvoll erachteten Quellen, wie Publikationen aus entfernten Sachgebieten, Reiseberichten und Briefen, mehr Interesse zu schenken, was selbstverständlich besondere Aufmerksamkeit bei ihrer Auswertung erfordert.

Der Kongress „Musik und Visionen“, der 1999 ein Triennium von Studien und Kolloquien anlässlich des 500. Jahres der Entdeckung Brasiliens eröffnete, bracht erneut die Problematik der Quellen und ihrer Erforschung in die Diskussion. Dabei wurde die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Visionen gerichtet, die aus Anordnungen, Briefen und sonstigen Dokumenten zu entnehmen sind, sowie und vor allem von visuellen Zeugnissen und ihrer Lektüre. Bei Kolloquien, die 2002 im Rahmen des vom Kongress 1999 eröffneten Trienniums stattfanden, wurde das Anliegen eines „iconic turn“ bei der Auseinandersetzung mit Quellen für eine Musikgeschichte in globalen Zusammenhängen unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert.

Das Projekt Musik im Bild – Ein Kulturerbe der Europäischen Union im Rahmen des Programms Kultur 2000, das von der Europäischen Kommission und Partnern in sieben Ländern finanziert wurde, bezeugt aus einer anderen Warte die Aktualität dieser Betrachtungsweise. Ziel dieses Projekts war die Einführung eines internationalen elektronischen Netzes, das den Zugang zu den wichtigsten europäischen Archiven mit musikikonographischen Beständen ermöglichen sollte.

Vorangegangenes

1999. Quellen, Musik, Bild, Schrift, Instrumente. Internationaler Kongress „Musik und Visionen“. Deutsche Welle. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

1998. Indigene Musikinstrumente und Masken als Quellen der Musikforschung. Buchvorstellung, Konzert und Debatte. Auditorium des Laacher Hotels. Musikethnologische Abteilung des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach

1997. Stand der Forschung indigener Musikkulturen: Quellenforschung. Tagung und Generalversammlung. Montecassino

1994. Das Tonarchiv der Bundesuniversität Goiás. Programm zur Erfassung des Wissens indigener Kulturen. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland. ISMPS.  Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, Museum Goeldi. Bundesuniversität Goiás u.a. Goiânia

1994. Quellen in Missionsmuseen und Zentren des Indigenisten Musikrates in Zentralbrasilien und Amazonien. Campo Grande, Belém u.a.

1993/94. Projekt zur Erfassung des Wissens über die indigenen Musikkulturen. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland. ISMPS.  Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, Museum Goeldi. Bundesuniversität Pará u.a.

1992. Quellenforschung und Grundlagenforschung der Musikkultur. Afonso Romano, Direktor der Nationalbibliothek von Rio de Janeiro. II. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft zum 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Amerikas. Rio de Janeiro

1992. Musikquellen der Nationalbibliothek, RISM und Ars fontis musicae. Mora Reis Pequeno, Musiksektion der Nationalbibliothek. II. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Rio de Janeiro

1992. Tonarchive indigener Musik. Nationalmuseum, Museu do Indio. Rio de Janeiro

1985. Quellenstudien. Bibliothek und Archiv des Päpstlichen Instituts für Kirchenmusik. Rom

1985. Quellenforschung und Debatte. Musikbibliothek Isabel Goin. Zentrum Royaumont. Royaumont

1984. Geschichte der Quellensammlungen. Besuch des Mondeaneums zur Vorbereitung der Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes e.V. Mons

1984. Die Sammlung Brossard. Geistige und künstlerische Grundlagen der Musik Europas. Debatte zur Quellenforschung. Institut für hymnologische und musikethnologische Studien. Köln und Rom

1982. Studien von Quellen zur Musik portugiesischer Gebiete. Instituto Histórico Ultramarino, Biblioteca da Ajuda, Nationalbibliothek Lissabon

1981. Internationales Kolloquium zu Musikquellen. Museu da Música. Mariana 1981

1980. Studien zu Quellen der Missionsgeschichte in Bibliotheken des Vatikans. Rom

1977. Erhebung von Quellen zur Musik in Missionsarchiven in Deutschland. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien

1977. Katalogisierung der Bibliothek K.G. Fellerer. A.A. Bispo mit K.G. Fellerer. Maria Laach und Köln

1975. Bibliographie und Quellenforschung des portugiesischen Kulturraumes. Arbeitsgruppe Brasil-Europa. M.A. Alves Barbosa, A.A. Bispo, A. Borges, R. Günther, K.G. Fellerer u.a. Universität Köln

1975. Quellenforschung in Paris unter Leitung von Simone Wallon. Nationalbibliothek Paris

1975. Quellenforschung in der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien

1975. Quellenforschung im Britisch Museum. London

1973. Quellenforschung in der Nationalbibliothek Lissabon und Biblioteca da Ajuda. Lissabon

1968. Gründung des interkulturellen Musikarchivs. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen ND. São Paulo

1966. Reiseberichte als Quellen für Kultur- und Musikforschung. Bewegung zur Erneuerung der Kultur- und Musikstudien. São Paulo







Kongress 2002. Bibliothek S. Bento RJ. Tagung unter Leitung von A.A.Bispo

Zur Vorlesung Bonn 2003

Im Sommersemester 2003 wurde eine Vorlesung zur Musikgeschichte der Neuzeit in globaler Perspektive unter besonderer Berücksichtigung der Quellenforschung und -kritik am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Bonn angeboten. Dabei wurde vor allem der Stand der Studien zu den Informationen von musikwissenschaftlicher Relevanz in Dokumenten und Reiseberichten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert besprochen. Die Entwicklung der Forschung wurde dargestellt und die Problematik der adäquaten und kontextgerechten Lektüre der Quellen aufgezeigt. Ziel der Vorlesung war es, die Studierenden mit Quellen und deren Erforschung vertraut zu machen, die für eine historische Musikforschung in globalen Zusammenhängen unabdingbar notwendig sind. Sie sind von einer historischen Musikwissenschaft, die sich auf Europa – und z.T. auf Nordamerika – konzentriert, weitgehend unbekannt. Die Zuhörer sollten Kenntnisse von den Archiven und Bibliotheken – auch in außereuropäischen Ländern – erhalten, die Quellen aufbewahren.

Den Studierenden sollte klargemacht werden, dass auch Quellen in privaten Sammlungen, Antiquariaten, Archiven und Bibliotheken in verschiedenen Ländern, Regionen und Städten aufgespürt und benutzt werden müssen, die schwer erreichbar und abgelegen sind. Oft besitzen diese aber Materialien, die in großen Bibliotheken Europas nicht auffindbar sind.

Durch die Entwicklung elektronischer Mittel haben sich zunehmend neue Möglichkeiten für eine Internationalisierung des Wissens durch die mediale Bereitstellung von Quellen, die von einigen Bibliotheken online zur Verfügung gestellt werden, ergeben. Trotz dieser Erleichterung müssen jedoch die Studierenden auch darauf vorbereitet werden, dass Daten von musikhistorischer Relevanz in Publikationen zu finden sind, wo sie zunächst nicht erwartet werden, wie Zeitungen, allgemeine Zeitschriften, Illustrierten und sonstige Druckerzeugnisse, deren Auswertung besondere Aufmerksamkeit verlangt. Auch im medialen Zeitalter ist das Aufspüren von Quellen in privaten Sammlungen und an entlegenen Orten mit all seinen Schwierigkeiten nicht überwunden. Auch im medialen Zeitalter bleiben Probleme der Aufbewahrung von Wissen sowie der Fragilität der Datenträger weiterhin bestehen.

Zugleich sollte den Studierenden in diesem Seminar ein Überblick über die musikgeschichtliche Entwicklungen aus der Perspektive von Interpreten, Lehrern oder Komponisten vermittelt werden, die vorwiegend außerhalb Europas wirkten, meist in Vergessenheit geraten sind und in der musikwissenschaftlichen Literatur kaum Erwähnung finden. Ausgehend von diesen Musikern, die sich zwar in Europa wenig profilierten und in der europäischen Musikgeschichte kaum beachtet werden, aber dennoch die Welt bereisten und in außereuropäischen Ländern wirkten, wurden im Seminar Fragen der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte behandelt, die nicht nur einseitig aus eurozentrischer Warte, aber aus der Position der Rezipienten gesehen werden sollten. Für die Verbreitung eines europäischen Repertoires in der außereuropäischen Welt und für die Vermittlung von Impulsen, die Veränderungen hervorriefen, waren diese vergessenen Instrumentalisten, Sänger, Dirigenten und Musiklehrer wichtige Agenten von Interaktionen, die für eine Musikhistoriographie in globaler Dimension von Bedeutung sind. Der Blick richtete sich bei diesen Besprechungen auf die Vorbedingungen der Produktion und Reproduktion von Musik in außereuropäischen Kontexten, in denen diese Musiker wirkten, sowie auf ihre Rückwirkungen in Europa. Dabei wurden Fragen von Rezeptions- und Wirkungsprozessen unter verschiedenen Aspekten besprochen, u.a. diejenigen, die Innovation, Verharrung, Aneignung und Veränderung von Stilen, Formen, Gattungen, Besetzungen und Aufführungspraktiken betreffen.


Herausragende Seminararbeiten

Miriam Benden. Grundlagen der musikethnologischen Arbeit M. Braunwiesers in Brasilien. Deutschsprachige Quellen des 19. Jahrhunderts

Oliver Knauß. Wagner auf der ganzen Welt? Zu globalen Netzwerken in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts

Goran Stankovic´. Die Musik der Zukunft Wagners und die Zukunft Spaniens - José de Letamendi in den Bayreuther Blättern 1886








Bibliothek Manchester. Foto A.A.Bispo