AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

MUSIKGESCHICHTE AMERIKAS

Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Universität Bonn
Vorlesung – SS 2003


in memoriam Guiomar Novaes (1894-1979)

20 Jahre des Vortrages an der Catholic University of America, Washington D.C. (1983)


Im Anschluss an
Studien und Besprechungen an US-Universitäten: Stanford, California Sta. Barbara/Berkeley, San Francisco (2000)

Die Musikgeschichte der USA ist auf das Engste mit der Europas verbunden. Die Beziehungen sind nicht nur von Reziprozitäten gekennzeichnet – sie sind trotz aller unterschiedlichen Tönungen in Jahrhunderten zusammengewachsen. Nicht nur amerikanische Musiker und Komponisten studierten in Europa und herausragende Musikerpersönlichkeiten emigrierten aus der Alten Welt oder mussten sie verlassen und fanden in den USA ein neues Lebens- und Tätigkeitsfeld, bedeutende Entwicklungen der Musik des 20. Jahrhunderts haben von dort aus nach Europa und in die ganze Welt ausgestrahlt und sind ohne den amerikanischen Kontext undenkbar. In der Popularmusik ist die führende Rolle der USA als Ausgangspunkt von Entwicklungen und Impulsen besonders offensichtlich und nicht in Frage zu stellen. Es braucht nur an Jazz, Rock und Musicals gedacht zu werden. Die amerikanische Musik bestimmte das Lebensgefühl von Generationen. Überschreitungen von Grenzen zwischen Kunst- und Popularmusik, die Aufwertung der Unterhaltung, von Lebenslust und Spaß wurden zu einem Kennzeichen der amerikanischen Musik, die Barrieren zwischen Sphären niederriss und neue Wertungen setzte, die nicht nur das Musikleben und -schaffen international beeinflussten.

Las Vegas. Foto A.A.Bispo
Las Vegas. Foto A.A.Bispo
Las Vegas. Foto A.A.Bispo
Las Vegas. Foto A.A.Bispo
Las Vegas. Foto A.A.Bispo
Las Vegas. Foto A.A.Bispo

Amerika ist nicht nur Las Vegas. Auch in der Musikforschung bestehen seit langem engste Beziehungen und auch hier kamen aus den USA Impulse, die die europäische Musikwissenschaft tief geprägt haben. Mehrere herausragende Musikforscher Amerikas haben europäische Vergangenheit, studierten in Europa oder rezipierten Publikationen europäischer Musikwissenschaftler. Amerikanische Institutionen und Universitäten sind zu wichtigen, ja erstrangigen Zentren der Lehre und Forschung geworden, in denen grundlegende Projekten entwickelt und Editionen realisiert wurden, von denen neue Ansichten und Gewichtigungen für die Musikwissenschaft ausgegangen sind. Die dort entstandenen Gesamtausgaben, herausgegebenen Monographien und vor allem Fachzeitschriften sind führend in der Forschung.

Die Energie, der Drang zur freien Entwicklung des Individuums, die Expansion und der Unternehmungsgeist, die allgemein mit Amerika assoziert werden, können auch an der Geschichte der institutionalisierten Musikforschung abgelesen werden. Einzelne Persönlichkeiten, Vereine und Universitäten ermöglichten großangelegte Projekte. Viele der Musikforscher, die mit der 1934 gegründeten American Musicological Society verbunden sind, haben grundlegende Studien nicht nur für die Musikgeschichte Amerikas, sondern auch und vor allem für die Erforschung von Mittelalter und Renaissance durchgeführt. Ihre Publikationen zu einer alten Musik, die gar der Zeit vor der Entdeckung Amerikas oder der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten angehört, sind für die Musikforschung grenzen- und kontinenteübergreifend von Bedeutung. Unter den herausragenden Musikforschern könnten Namen wie C. Engel, G. Reese, H. Roberts, J. Schillinger, Ch. Seeger, H. Spivacke, O. Strunk und O. Kinkeldey hervorgehoben werden. Leitmotive ihres Denkens – wie z.B. bereits exemplarisch bei Charles Seeger bereits studiert – erlangten Modellcharakter auch für andere Länder des Kontinents. Das Journal of the American Musicological Society wurde seit 1948 unentbehrliches Organ für den Informationsaustausch über die Entwicklung der Musikforschung auch in europäischen und lateinamerikanischen Ländern. In der Quellenforschung liegt einer der grundlegendsten Beiträge Amerikas zur historischen Musikforschung im allgemeinen. Das 1944 gegründete American Institute of Musicology mit A. Carapetyan als führender Gestalt stellte der Musikgeschichte Denkmäler zur Verfügung, die Musikleben und -forschung tiefgreifend prägten, wie der Corpus Mensurabilis Musicae, der Corpus Scriptorum de Musica, der Corpus of Early Keybord Music, die Renaissance Manuscript Studies, die Musicological Studies and Documents, das Jahrbuch Musica disciplina oder das Journal of Renaissance and Baroque Music. Die Archive und Bibliotheken der USA, allen voran die Music Division of the Library of Congress/Washington DC, gehören mit ihren umfangreichen Beständen zu den wichtigsten Zentren der Sammlung und Konservierung von Quellen weltweit.

Cathedral S. Francisco. Foto A.A.Bispo

Die USA ist führend, was die Erforschung des ganzen amerikanischen Kontinents angeht. Schon sehr lange besteht dort das Anliegen, auch aus politischen Gründen die Annäherung zu den anderen Staaten in allen Bereichen, auch hinsichtlich der Musik, zu fördern. Auch bei der Organisation Amerikanischer Staaten spielten die Musik und Musikprojekte eine bedeutende Rolle. Lateinamerikanische Musiker fanden über Jahrzehnte ein breiteres Betätigungsfeld in den USA als in Europa. Herausragende Musiker, Pianisten, Komponisten und Dirigenten aus Süd- und Mittelamerika haben dort Karriere gemacht, brachten Anregungen für das Musikleben ihrer Länder mit zurück und blieben Zeit ihres Lebens mit Nordamerika verbunden. Ein Beispiel ersten Ranges war die brasilianischen Pianistin Guiomar Novaes. Interamerikanische Initiativen, auch im Bereich der Musikforschung mit der Gründung des Interamerikanischen Instituts für Musikwissenschaft in Montevideo in den 1930er Jahren, unterhielten engste Beziehungen zu den Zentren der Musik und der Musikforschung der USA. In amerikanischen Universitäten entstanden Abteilungen zum Studium der Musik Lateinamerikas, die wichtige Studien veröffentlichten, wie an der Universität von Texas Austin mit der Lateinamerica Music Review. Pionierstudien in vieler Hinsicht über die Musik Ibero-Amerikas und der Karibik gingen von Kalifornien aus, und das Inter-American Music Review gehört zu den wichtigsten Periodica für die Musikforschung des Kontinents.

Nicht nur aus der Musikgeschichtsforschung im allgemeinen sind die Leistungen nordamerikanischer Wissenschaftler und Institutionen nicht wegzudenken, sondern auch aus der Erforschung tradierter Volkskmusik und außereuropäischer Musik. Das seit 1928 bestehende Archive of Folksong and Folkways Records, das Archive of American Folk-Song und andere Einrichtungen zur Sammlung von Tondokumenten und deren Untersuchung, wie das Archive of Traditional Music der Indiana University, Bloomington, wurden zu Beispielen für vielen andere Länder. Fast noch mehr als in der Musikgeschichte ist die leitende Rolle Amerikas in der Musikethnologie zu erkennen; in diesem Forschungsbereich wurde es beherrschend. Die 1955 gegründete Society for Ethnomusicology setzte hier Maßstäbe. Einflussreiche nordamerikanische Musikethnologen entwickelten Ansätze, Herangehensweisen, Fokussierungen und Verfahrensweisen, die tiefgreifend Ansichten veränderten und gar zu Umorientierungen in der institutionalisierten Forschung führten.

Musikethnologie nach amerikanischem Vorbild ersetzte nicht weniger als die altehrwürdige Vergleichende Musikwissenschaft. Sie wurde in den 1960er und 1970er Jahren zum Inbegriff eines fortschrittlichen, offenen, intelligenten, zeitgemäßen Forschungsbereichs, der in vielen Ländern nachgeahmt, gleichsam zur Mode wurde und sogar ein eigentümliches Selbstbewusstsein seiner Forscher prägte, ein Syndrom von Überlegenheit, die auch zu Überschätzungen führte. Die Musikethnologie, die in Deutschland an die Stelle der Vergleichenden Musikwissenschaft trat, wurde in vielen Fällen völlig Amerika hörig und ahmte sogar Praktiken nach, die in nordamerikanischen Universitäten üblich waren. Auch in Universitäten wie in Köln wurden z.B. Ensembles japanischer bzw. chinesischer traditioneller Musik und balinesische Gamelanorchester gegründet, deutsche Studierende lernten Koto spielen.

Die Geschichte dieser bemerkenswerten Diffusion, die auch eine Amerikanisierung von Denkweisen beinhaltet, sowie deren Folgen wäre auch für die Untersuchung von Netzwerken in der Wissenschaft aus der Distanz mehrerer Jahrzehnte näher zu analysieren. Vieles wirkt aus dieser Distanz befremdlich. Trotz der Begeisterung, die mit der Einführung der rezepierten Ethnomusicology einherging, und der weitreichenden Ergebnisse, die aus diesen Impulsen hervorgingen, wurden schon lange Probleme ihrer theoretischen Grundlagen erkannt, die nach Neuorientierungen rufen. Die starken Widerstände, die Anstößen zu reflektierter Überprüfung der rezipierten Denkweisen und Praktiken amerikanischer Musikethnologie entgegengebracht wurden, lassen allmählich nach und geben Platz für neue Sichtweisen, die allerdings nicht immer gründlich durchdacht sind und erneut zu Übernahmen von Denkweisen und Vorgehensweisen, zu Gruppierungen mit Überlegenheitsgefühlen und Führungsansprüchen führen.

Eine Erneuerung von Perspektiven kann allerdings nicht getrennt, sondern nur in Zusammenarbeit mit der Forschung in den Verenigten Staten erfolgen, allerdings unter den neuen Vorsätzen, die aus der veränderten Gesamtlage der globalisierten Welt entstehen. Nordamerikanische Forschungszentren liefern hierfür theoretische Impulse, wie das Center for Advanced Visual Studies des Massachusetts Institute of Technology MIT. Die Entwicklung der Forschungsinteressen an amerikanischen Universitäten lässt sich an den Verzeichnissen akademischer Arbeiten verfolgen, wie der seit 1952 veröffentlichten, von C.D. Adkins herausgegebenen Doctoral Dissertations in Musicology, der von D.R. De Lerma geführten A Selective List of Masters’ Theses in Musicology seit 1970 und dem International Index of Dissertations, der seit 1977 herausgegeben wird.

Im Rahmen eines Universitätsstudium ist in Deutschland ein lediglich überblickartiges Panorama der Musik Amerikas nicht angemessen. Die wissenschaftliche Betrachtung sollte auf theoretischer Ebene erfolgen, vom Hören der verschiedenen Positionen, Ansichten, Bilanzen und Erwartungen amerikanischer Musikforscher ausgehen und erst dann in Dialogen Überlegungen anstellen. Das Interesse, Positionen, Ansätze und neue Tendenzen in der Forschung in den Vereinigten Staaten zu berücksichtigen, ist nicht neu. In den letzen Jahrzehnten wurde ein intensiver Gedankenausch zu theoretischen und thematischen Fragen mit mehreren amerikanischen Musikforschern geführt, vornehmlich mit denjenigen, die sich der Musik Lateinamerikas widmeten wie Robert Stevenson, Barry Brook oder Gerard Béhague. Mehrere Institutionen in den USA wurden besucht, u.a. die Smithsonian Foundation und die Universitäten von Washington, Harvard, Stanford, Berkeley und New York. Angesichts des einschneidenden Ereignisses von 2001 sollten die Ergebnisse dieser Dialoge rekapituliert und aktualisiert werden.

Das Anliegen, die Musikgeschichte Amerikas in ihrer den gesamten Kontinent übergreifenden Dimension aus den Positionen und Perspektiven der in Institutionen der Vereinigten Staaten wirkenden Musikforscher zu betrachten, führte zu einer eingehenden Beachtung aktueller Projekte und Tendenzen, ihrer Ziele, Entstehung und Wirkungen, unter anderem des Ansatzes, der sich new musicology nennt. Eine eingehende Betrachtung dieser Positionen und Orientierungen verlangt aber eine Einstellung, die nur durch eine nach globalen Zusammenhängen orientierten Musikforschung möglich ist. Die Ausrichtung auf Prozesse erfordert ein grenzüberschreitendes Denken, das Trennungen von Fachbereichen durchlässig macht. Fokussiert wird dabei auf Ansätze einer sich so nennenden „cultural musicology“, die allerdings schon längst in Brasilien vertreten war. Die Musikgeschichte Amerikas aus der Position von Musikforschern Amerikas als Ausgangspunkt von Dialogen erfordert auch Ansichten und Verfahrensweisen, die konventionell eher der Musikethnologie eigen sind.

Die grenzüberschreitende Vorgehensweise führt zu der besonderen Beachtung von Verflechtungen interamerikanischer und transatlantischer Prozesse. Bereits 1982 wurde dafür in einem Forum zur Musik in den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA unter Mitwirkung des Interamerikanischen Instituts für Musikwissenschaft und nordamerikanischer Institutionen plädiert. Dieser Ansatz ist vor allem auch für die Musikbetrachtung der USA von Bedeutung, da sich das Land durch die zunehmende Einwanderung aus Lateinamerika in Bezug auf die Musik und das Musikleben kulturell stark verändert.

Die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung des Kontinents wurde in Tagungen hervorgehoben, so im Regionaltreffen des Projekts Music in the Life of Man/A World History of Music in Mexico City (1985) und São Paulo (1987) mit Vertretern nordamerikanischer Universitäten wie der North Texas University und derf City University of New York sowie beim internationalen Kongress zum 500. Jahr der Entdeckung Amerikas in Rio de Janeiro 1992 mit Vertretern der University of California. Die Arbeiten entwickelten sich in Kooperation mit Musikforschern an verschiedenen Institutionen der USA, u.a. mit der Universität of North Texas, der Catholic University of Washington und der University of South California. Sie wurden von Besuchen u.a. der City University of New York, der Harvard University in Boston sowie der Berkeley- und der Stanford-University begleitet.

'Cathedral S. Francisco. Foto A.A.Bispo

Der Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York rief weltweit Betroffenheit und Anteilnahme hervor. New York wurde zum Mittelpunkt von Überlegungen. Die hochgradige Symbolik des Aktes wirkte wie das Ende einer Ära, wie ein Einschnitt in die Geschichte, nicht nur Amerikas, sondern des Westens, wenn nicht der Welt. Diese Erschütterung und Selbstzweifel förderten Erwägungen über die leitende Rolle, die die USA als Führungsmacht in allen Bereichen des Lebens spielte, wie unter allen Aspekten Europa mit Nordamerika verbunden ist und welche Folgen ein Ende dieses Machtverhältnisses bewirken würde. Trotz aller Differenzen und konträren  – pro- und antiamerikanischen – Positionierungen gab das tragische Ereigniss Anlass zu Analysen in der Presse, zu Diskussionen in den Medien und in Universitäten. Kulturschaffende, Künstler und Musiker setzten sich mit dem Terrorangriff und seinen Opfern und Folgen auseinander. Er wurde in Kompositionen und von Sängern und Ensembles der Popularmusik in Tonaufnahmen und Konzerten musikalisch verarbeitet.

Diese Auseinandersetzung sollte auch von der Musikwissenschaft begleitet werden. Es ging nicht in erster Linie um eine Sympathiebekundung durch eine Hinwendung zu amerikanischen Themen in Lehre und Forschung, um einen Überblick über die Musikgeschichte Amerikas, um Erinnerung an Gestalten, Ereignisse und Entwicklungen, die Europa und den amerikanischen Erdteil über Jahrhunderte eng verbunden hatten und bei denen die Musik eine bedeutende Rolle spielte. Es handelte sich um Denkweisen, um Ansätze, um Orientierungen in einer Zeit erschütterter Gewissenheiten, um Fragen, ob und wie die in sich zusammenfallenden Türme als Zeichen, als eine Marke in Entwicklungen und Verflechtungen zu deuten waren. Es ging darum zu erkunden, ob und wie die Amerikaner auch in der Musikforschung wie in allen anderen Wissens- und Wissenschaftsgebieten diesen Angriff als ein Zeichen deuteten, ob er Änderungen von Positionen und Perspektiven bei der Betrachtung musikgeschichtlicher Entwicklungen mit sich bringen würde.

Bei der engen Verflechtung der Beziehungen und der führenden Rolle der USA in vielen Bereichen der Musikforschung, stellte sich die Frage, ob eine Zäsur auch in der Musikwissenschaft primär aus der Position nordamerikanischer Musikforscher selbst zu verzeichnen ist. Ihre Perspektive über die bisherige Entwicklung der Forschung in ihren verschiedenen epochalen und thematischen Bereichen und ihre Situation in der Gegenwart sollte im Mittelpunkt jeder Auseinandersetzung mit der Musik Amerikas stehen.

Kathedral von S. Francisco. Fotos A.A.Bispo
Kathedral von S. Francisco. Fotos A.A.Bispo
Kathedral von S. Francisco. Fotos A.A.Bispo
Kathedral von S. Francisco. Fotos A.A.Bispo
Kathedral von S. Francisco. Fotos A.A.Bispo
Kathedral von S. Francisco. Fotos A.A.Bispo

Zur Vorlesung in Bonn

Die Entwicklung einer Neuorientierung der Musikforschung, die statt auf Einteilung der Forschungsgegenstände nach Sphären der Kunst-, Volks-, Popular- und indigenen Musik und deren Betrachtung in verschiedenen Fachbereichen auf Prozesse als Leitprinzip der Kulturanalyse setzt, fügte sich in eine Debatte ein, die geführt wurde im Zentrum für musikwissenschaftliche Studien des Gesellschaft Nova Difusão, das 1968 in São Paulo/Brasilien gegründet wurden. Dabei wurden Probleme der Dichotomie mündlicher und schriftlicher Überlieferungen, der Begrifflichkeit – primitive, tribal, art, folk, popular, classic, ethnic u.a. – sowie der deskriptiven und preskriptiven Transkriptionen in der Musikethnologie besprochen. Die Ansätze zum Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Musik Amerikas sowie die verschiedenen Wendungen in Entsprechung zu den turns in der theoretischen Diskussion zur Erneuerung der Kulturwissenschaft wurden diskutiert. Es wurde hervorgehoben, dass die Orientierung der Forschung nach Prozessen und nach Überschreitungen von Trennlinien und Kompartimenten in all ihren Aspekten eine Kritik der Annahme von „Three Continental Traditions“ mit sich bringt. Hinsichtlich der ersten Jahrhunderte der Kolonialzeit verlangte die Frage nach den Quellen besondere Aufmerksamkeit. Dabei muss die historische Forschung globale Zusammenhänge beachten, was an Beispielen der hymnologischen Forschung – vor allem der Psalmodie – sowohl im Rahmen der Reformation, aber auch der Gegenreformation, in den katholischen Missionsgebieten betrachtet wurde. Unter anderem wurden die Studien über die Entstehung und Entwicklung metrischer Psalmen und über die Ausdifferenzierung des Psalmsingens sowie die organologische Forschung kommentiert.

Bei den Vorlesungen zum 18. Jahrhundert wurden besonders Geschichtsperspektiven amerikanischer Musikforscher beachtet, deren Fokus gerichtet ist auf die Rezeption und Entwicklung von Auffassungen und Praktiken der Musiktheorie und Musikerziehung und ihre praktischen Auswirkungen, die zur Herausbildung von mündlichen und schriftlichen Traditionen in ihren Wechselbeziehungen führten. Studien zu vorherrschenden pattern, zur Musik einzelner religiöser Gruppierungen, zur weltlichen Musik sowie zur Rezeption barocker und vorklassischer Musik wurden in ihren theoretischen Grundlagen beachtet.

Musik in der Missionsgeschichte von California. Foto A.A.Bispo

Hinsichtlich des 19. Jahrhunderts wurden die Sichtweisen amerikanischer Forscher in Studien zur Präsenz europäischer Berufsmusiker, zur Klassik in Amerika und besonders zur Gestalt von Anthony Ph. Heinrich betrachtet. Bei den Darlegungen zur Entstehungsgeschichte der Romantik wurden vor allem die umfangreiche Literatur über Louis Moreau Gottschalk, aber auch Untersuchungen zur Opernforschung sowie zur französischen und italienischen Musikpflege unter dem Aspekt der zugrundliegenden Ansichten beachtet. Eine besondere Aufmerksamkeit galt der Frage nach den Anfängen und der Entfaltung eines amerikanischen Bewusstseins in der Musik aus der Sicht der amerikanischen Musikforscher selbst. Anhand der Literatur wurden Überlegungen über die Geschichte der Geschichte der akademischen Musik und der deutsch-amerikanischen Musikbeziehungen angetellt, wobei die Klassizisten Bostons im Mittelpunkt standen. Die Publikationen zur Rezeptionsgeschichte – u.a. von Liszt und Wagner in Amerika – wurden eingehend nach ihren theoretischen Prinzipien beachtet.

Eine besondere Vorsicht verlangten die amerikanischen Positionen bei indianistischen und folkloristischen Bestrebungen im Musikschaffen Nordamerikas, die sich nicht nur auf die umfangreiche Fachliteratur, sondern auch auf Analysen stützten. Die Studien zur Geschichte französisch-amerikanischer Musikbeziehungen und zu Charles Ives erforderten die Berücksichtigung derer Rezeption in Europa, wobei ein Seminar zu Charles Ives in Köln in den 1970er Jahren eine Rolle spielte. Unter den vielen Aspekten, die behandelt wurden, hob sich die Historiographie des New Americanism, der populären Strömungen in der Musik der Vereinigten Staaten sowie der Erforschung politisierter Musik der 1930er und 1940er Jahre („art as a weapon“) hervor. Die Populismus-Forschung in der Musik der 1950er Jahre sowie die Rezeptionsgeschichte der Zwölftonmusik aus der Position nordamerikanischer Forscher mussten berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Musik der jüngeren Vergangenheit wurden Denkströmungen zur Aleatorik, elektronischen Musik sowie mystisch-orientalischen Bestrebungen betrachtet, die sich von Nordamerika aus in anderen Ländern des Kontinents und in Europa ausbreiteten.


Vorausgegangenes

2000. Besprechungen in Berkeley, Universität California

1999. Reflecting upon the Transcendental Idea and American Music of the 20th. Century, Paul Terse. Internationaler Kongress Musik und Visionen. Deutsche Welle. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Brasilianische Botschaft. Universitäten, Studienzentren u.a.

1999. Studien und Besprechungen in den USA und Staaten der Antillen

1992. 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Amerikas. Robert Stevenson zur Eröffnung. II. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Uraufführung von Werken von Paul Terse. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. ISMPS. Bundesuniversität Rio de Janeiro, u.a.

1987. Music in the Life of Man. Ltg. Barry S. Brook. Regionaltreffen für Lateinamerika und Karibik. International Music Council/UNESCO. São Paulo

1987. I. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Besprechungen und Kontroversen mit Gerard Béhague. Regierung des Staates São Paulo. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. ISMPS. UNESP, u.a.

1985. Music in the Life of Man. Ltg. Barry S. Brook. Regionaltreffen für Lateinamerika und Karibik. International Music Council/UNESCO. Mexico-City

1984. Zusammenarbeit mit Robert Stevenson, Santa Barbara LA. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Vorbereitung zur Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes

1983. 300 Jahre Deutsche Auswanderung nach Amerika. Archivstudien zu Deutschen in St. Louis. Archiv der Stadt Leichlingen

1983. Deutsch-amerikanisches Musikforum mit Musikschulwoche. US-Botschaft. Amerikanische Schule Bonn, Musikschule der Stadt Leichlingen

1983. Internationales Symposium. The Catholic University of America. Washington D.C.

1983. Zusammenarbeit mit Charles Chuck Cornish. Deutsch-Amerikanisches Musikforum und Musikschulwoche. Musikschule Leichlingen

1981. Zusammenarbeit mit Dr. Fried Robert Overton. Musikschule der Stadt Leichlingen

1979. Beginn von Gedankenaustausch mit Gerard Behague

1977. Zusammenarbeiten mit Bruno Nettl. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach

1977. Beginn der Zusammenarbeit mit Robert Skeris. Church Music Association of America. Maria Laach

1976. Charles Ives. Seminar von D. Kämper. Universität Köln

1972-74. Vorlesungen zu Bruno Nettl, Alain Merrian u.a. Fachbereich Musikethnologie. Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo. São Paulo

1971-73. Musik Amerikas im Fach Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Unter besonderer Berücksichtigung von Gilbert Chase und Werken von A.A. Copland. Konservatorium J.América. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen (ND)

1971. Elektronische Musik in den USA. Alumni Association. São Paulo

1970. Zusammenarbeit mit Marilyn Mason. Internationales Musikkurse von Curitba, Musikfestival von Paraná. Curitiba

1969. John Cage, Aufführungen und Debatte. P.A. Moura Ferreira. Musikhochschule Sta. Marcelina. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen (ND)

1968- John Cage. Aufführungen und Debatte. Museum Zeitgenössischer Kunst der Universität São Paulo. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen (ND)

1965. Studien zu Guiomar Novaes in den USA. Mit Ciro Gonçalves Dias und Sala Chiafarelli. São Paulo.

Studien in Berkeley, California. Foto A.A.Bispo
Studien an der Stanford University, California. Foto A.A.Bispo