AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

Musikforschung Brasiliens


Universität Köln
Vorlesung – SS 2006

Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS


25 Jahre: Gründung der Brasilianischen Gesellschaft für Musikwissenschaft SBM

80 Jahre: Storia della Musica nel Brasile (1926) von Vincenzo Cernicchiaro (1858-1928)

Im Anschluss an Gesprächen im Centro Cultural São Paulo und
gemeinsame Sitzung der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft und der Academia Brasileira de Música
Bundesuniversität Rio de Janeiro, Universität Bonn u.a. Rio de Janeiro 2004



Die Musik Brasiliens in ihrer Vielfalt wird iin den Medien, durch das Internet, in Konzerten, in einer großen Anzahl von Tonaufnahmen und selbst im Musikunterricht gehört und interpretiert. Sie wurde auch in Deutschland seit langem in Publikationen, Kursen, Tagungen und Lehrveranstaltungen an Universitäten betrachtet und studiert. Zu diesen gehörte das Seminar Musik Brasiliens, das 2001 an der Universität Köln in Zusammenarbeit mit der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS veranstaltet wurde. Deses Seminar wurde im Anschluss an den Internationalen Kongress Musik und Visionen, der in der Deutschen Welle zum Auftakt eines Trienniums von Studien zum 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Brasiliens unter der Schirmherrschaft der Brasilianischen Botschaft in Bonn stattfand und mit dem Internationalen Kongress Musik, Projekte und Perspektiven in Brasilien 2002 abgeschlossen wurde. Im folgte ein Kolloquium interkultureller Studien, das unter Teilnahmen von Studierenden aus Bonn und Köln in São Paulo und Rio de Janeiro veranstaltet wurde. 2006 sollten nicht die Musik an sich, Komponisten und deren Werke, sondern die Forschung, die Forscher, ihre Ansätze, Publikationen und Netzwerke, die Autoren allgemeiner Literatur, die für die Musikbetrachtung von Bedeutung ist, sowie Reiseberichte, die Musik erwähnen, Gegenstand der Betrachtung sein.

Centro Cultural São Paulo

Die Musikforschung muss sich auf die in der Vergangenheit und Gegenwart sich verändernden Sicht- und Denkweisen der Autoren richten, sie in ihrer jeweiligen Kontexten analysieren, sie muss versuchen, Ansichten zu gewinnen auch in der Erwartung, Ansätze zu finden für reflektierte Vorgehensweisen in Wissenschaft, Politik und Praxis. Das Verhältnis zwischen Musik und Bild, auch im Sinne des Visionären, das Thema des Internationalen Kongresses „Musik und Visionen“, der in der Deutschen Welle 1999 veranstaltet wurde, war, sollte auch hinsichtlich der Denker, Theoretiker, Forscher und der Forschung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.

Dieser Kongress war eine Marke in einer Entwicklung von Jahrzehnten. Die Musik Brasiliens oder Musik in Brasilien wurde seit langem in Vorträgen, Kursen, Tagungen nicht nur im Land selbst, sondern auch in Europa und in den Vereinigten Staaten studiert. Dabei wurde auch oft der vielen Komponisten und ausübenden Musiker gedacht, die seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland studiert hatten, sowie an die deutschen Interpreten, Dirigenten und Komponisten, die in Brasilien wirkten. Köln ist seit Jahrzehnten ein Zentrum für Studien der Musik Brasiliens in Praxis, Musikunterricht und Forschung, wie die Bürgermeisterin von Köln Renate Canisius 1999 bei der Eröffnung des Internationalen Kongresses in der Deutschen Welle hervorhob.

Nicht nur blicken die portugiesischen und brasilianischen Studien an der Universität Köln auf eine lange Tradition zurück. Köln wurde 1975 gewählt als Ausgangspunkt eines Programms zur Entwicklung neuer Ansätzen in prozessorienterter Kultur- und Musikforschung in internationaler Kooperation, das vom Deutschen Akademischen Austausdienst gefördert wurde. Eine Arbeitsgruppe für Portugal und Brasilien wurde gegründet, die Initiativen entwickelte, die in den folgenden Jahren maßgeblich zur Institutionalisierung der Musikforschung in Portugal und Brasilien beitrug. Musik brasilianischer Komponisten wurde in der Unterrichtspraxis der Rheinischen Musikschule/Konservatorium der Stadt Köln seit 1976 verstärkt berücksichtigt und vielfach in Konzerten vorgetragen. Die Nähe zu Bonn als ehemaliger Hauptstadt der Bundesrepublik, in der die Brasilianische Botschaft ihren Sitz hatte, trug zu dieser Aufmerksamkeit für die Musik Brasiliens bei.

1981 wurde unter ihrer Schirmherrschaft in Leichlingen bei Köln das Deutsch-Brasilianische Musikforum mit Musikschulwoche veranstaltet. 1985 wurde in Köln das Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes (ISMPS) gegründet, 1989 unterstützte die Stadt Köln die erste Tagung zur Musik in der portugiesischsprachigen Migration in den verschiedenen Ländern der Welt. An Kongressen, Kolloquien und Projekten in Brasilien nahmen seit den 1990er Jahren Studenten der Universität Köln teil. 1997 wurde in Köln das Studienzentrum der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft des ISMPS mit Unterstützung der Brasilianischen Botschaft eröffnet, das da mit einer Forschungsstelle in Brasilien zusammenarbeitete, die als Akademie Brasil-Europa bekannt wurde. Das Thema des Kongresses in der Deutschen Welle 1999 – Musik und Visionen – brachte jedoch eine Problematik erneut ins Bewusstsein, das bereits beim Musikforum 1981 diskutiert wurde: die Beziehungen der Musik zum eigenen und fremden Bild Brasiliens, was auch das Musikschaffen brasilianischer Komponisten prägte und die Betrachtung auf das Verhältnis zwischen Musik und Visuelles lenkt.

Kolloquium Interkultureller Studien 2004. São Paulo

Die Auseinandersetzung mit der Beziehung der Musik Brasiliens zum eigenen und fremden Bild des Landes ist im Sinne des Image des Landes und somit für seine Repräsentation von erheblicher Bedeutung. Bezeichnenderweise spielte sie in der Kulturdiplomatie eine bedeutende Rolle, und einige ihrer Forscher standen im diplomatischen Dienst. Die Förderung der Musik im Dienst der Außenwirkung und der Staatsbeziehungen hat auch Rückwirkungen auf das Land selbst, da bestimmte Repertoires und Künstler unterstützt werden. Die Musikgeschichte Brasiliens ist von diesen multilateralen Beziehungen geprägt. Das Bild des Landes und der Musik, die ihm entspricht, veränderten sich jedoch im Verlaufe der Geschichte. Prägende Charakteristika und Stereotypen des Bildes wandelten sich in komplexen Wechselbeziehungen zur Musik.

Früher war beispielsweise Brasilien nicht durch Samba oder Bossa Nova, sondern etwa durch Maxixe und Modinhas international bekannt. Der brasilianische Komponist schlechthin war Antonio Carlos Gomes (1836-1896), und seine Oper „Il Guarany“ weltweit das musikalische Emblem des Landes. Die Musik Brasiliens ist nicht nur je nach Region und sozialem Kontext vielfältig, sondern auch im epochalen Sinn. Sie war zu unterschiedlichen Zeiten anders. Auch das Bild des Landes, das sie bewirkt, hat sich verändert und verändert sich. Es ist unangemessen, Musik und Bild Brasiliens aus heutigen Wahrnehmungen anachronistisch auf frühere Zeiten zu projezieren und die Musik vergangener Epochen von heute aus zu deuten, sie lediglich als Vorstufen für eine Musik zu sehen, die wesenhaft Ausdruck einer endgültig erreichten Brasilianität ist. Und die Indios?

Eine Musikforschung Brasiliens muss sich mit dieser Vielfalt in räumlicher, zeitlicher und sozio-kultureller Hinsicht beschäftigen, in all ihren Sphären, ob Kunst-, Volks- oder Popularmusik oder bei indigenen Völkern, und zwar in ihrer Prozesshaftigkeit, die Grenzen und Trennungslinien überschreitet. Sie darf nicht essentialistisch einer Vorstellung von einer „an sich brasilianischen Musik“ verhaftet sein, die unverändert ist und endlich ihre Identität gefunden hat, wofür die Nationalisten seit Jahrzehnten plädieren, sondern die dieser verliehenen wesenhaften Qualitäten sollen selbst zu Gegenstand von Analysen werden. Sie ist allerdings stets konfrontiert mit Fragen des Bildes, des Visuellen und Visualisierten. Nicht nur das Fremd- und Eigenbild in seiner Diversität und seinen Transformationen, das Bild, das Komponisten selbst von Brasilien haben oder mit ihrem Schaffen konstruieren, muss berücksichtigt werden. Das Bild, das Forscher, Literaten und Denker bei ihrer Darstellungen von der musikhistorischen Entwicklung und den empirischen Beobachtungen und Untersuchungen ableitete, muss bei der Lektüre ihrer Publikationen beachtet werden. Die Erforschung der Forschung selbst ist vonnöten. Die Denk- und Sichtweisen der Publizisten und Forscher, seien sie Brasilianer oder nicht, ihre Kulturkonditionierungen und die Netzwerke, denen sie angehören, müssen Ziel der Betrachtung der Musikforschung Brasiliens sein.

Zur Entwicklung der Forschung

Die Forschung der Musik Brasiliens ist nicht so jung wie es zunächst erscheinen mag. Die Leistungen der Autoren des 19. Jahrhunderts ist bei weitem nicht ausreichend anerkannt. Es braucht nur u.a. an die lexikographischen Arbeiten eines Raphael Coelho Machado oder Isaak Newton gedacht zu werden. Aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts sollte u.a. an die Forschertätigkeiten an der Nationalmusikhochschule in Rio de Janeiro oder an die Musikgeschichte Brasiliens von Theodoro de Mello aus Bahia erinnert werden. Eine außergewöhnliche Leistung – leider in der nationalistischen Musikhistoriographie ungerecht beurteilt – war die Storia della Musica nel Brasile von Vincenzo Cernicchiaro, die in Mailand 1926 erschienen ist. Zu derselben Zeit entstand die Brasilianische Musikgeschichte von Renato Almeida, ein Werk, das die Musikgeschichtsschreibung über Jahrzehnte prägte. Unumgänglich ist die Beschäftigung mit Denken und Werken von Mário de Andrade, kenntnisreich fundiert und zukunftsweisend in vielfältiger Weise. Unter ihm wurden vom Kulturamt der Stadt São Paulo in den 1930er Jahren die historische volkskundliche Forschungsexpedition zum Nordosten Brasiliens sowie der Congresso da Lingua Nacional Cantada mit seiner Sitzung zu Musikwissenschaft in São Paulo realisiert. Ein Markstein in der Geschichte der Musikforschung war auch die Einrichtung des Lehrstuhls für Folklore in Rio de Janeiro unter Leitung von Luís Heitor Correa de Azevedo.

1965/66 wurde das Bewusstsein für eine notwendige Neuorientierung der Musikstudien in Brasilien geweckt, die eine Bewegung entstehen ließ, die weiterreichende Folgen für die Entwicklung des Denkens zeitigte. Sowohl in der Musikgeschichte als auch in der musikalischen Volkskunde und Analyse wurde die Überprüfung von Perspektiven und Ansätzen als eine dringende Aufgabe erkannt. Die nationalistische Ideologie bestimmte Sichtweisen und Themen in der Literatur und in den Lehrplänen. Mehrere Sphären des Musiklebens – wie die Salon-, Unterhaltungs- oder Blaskapellenmusik – fanden nämlich in der so ausgerichteten Forschung keinen Platz. Die nationalistische Perspektivierung der Geschichte führte zur Entwertung der Musikgeschichte der älteren Vergangenheit des Landes. Die Popularmusik, deren Bedeutung mit den Festivals, ihrer Präsenz in den Medien und der Wirkung auf die Jugend unübersehbar wurde, wurde in den etablierten Lehrplänen und Publikationen nicht beachtet.

Die Überwindung einer Denkweise nach Kategorisierung des Forschungsgegenstandes in Kunst-, Volks- und Popularmusik erwies sich als notwendig. 1968 wurde schließlich die Gesellschaft Nova Difusão mit ihrem Zentrum für musikwissenschaftliche Studien eingetragen, die für eine Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse und eine Überprüfung von Ansichten und Kriterien, eine Erforschung der Forschung eintrat. Die Diskussion wurde auf Hochschulebene durch die Einführung musikwissenschaftlicher Fachbereiche an der Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo fortgesetzt. Sie bestimmte die Orientierung in Lehre und Forschung in der  Musikethnologie und in der Ästhetik in historischer, kulturwissenschaftlicher und systematischer Hinsicht.

Diese Diskussion über die Musikforschung Brasiliens setzte sich auf internationaler Ebene in Europa Mitte der 1970er Jahre fort. Der Frage nach den Tendenzen des Denkens und der Forschung wurde u.a. in Köln im Rahmen des von Robert Günther geleiteten Projekts zur Musikgeschichte Lateinamerikas des 19. Jarhunderts weiter nachgegangen. Mit portugiesischen Musikforschern wurden Wege erörtert, um die Musikwissenschaft auf Universitätsebene in Portugal und Brasilien einzuführen. Aus diesen Debatten erwuchsen auch Projekte, die u.a. in dem internationalen Symposium zu Musik in Brasilien 1981 ihren Niederschlag fanden, in dem die Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft ins Leben gerufen wurde. Es folgten ein intensiver Gedankenaustauch und Diskussionen bei Treffen und Versammlungen, bei denen Kriterien, Perspektiven, Projekte und Vorgehensweisen beraten wurden. Nach dem ersten deutsch-brasilianische Musikforum in Leichlingen/Köln 1982 führte die Debatte über Ansätze zu einer kulturwissenschaftlichen, prozessorientierten Forschung zur Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes 1985.

Die Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme der Studien und Projekte in der Musikforschung bestimmte die Thematik des I. Brasilianischen Kongresses für Musikwissenschaft, der im Villa-Lobos-Jahr 1987 in São Paulo stattfand. Beim II. Brasilianischen Kongress für Musikwissenschaft im Jahr 1992, der zum Anlass des 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Amerikas in Rio de Janeiro realisiert wurde, wurde der Fokus gerichtet auf Fragen der Grundlagen der Forschung sowie auf das Gesamtamerikanische und die indigene Kultur. Von ihm wurde ein Projekt zur Erhebung von Quellen zur indigenen Musikkultur sowie zu ihrer Aufwertung in der Musikforschung auf den Weg gebracht, das in allen Regionen des Landes in Universitäten, Museen und Kulturzentren diskutiert wurde.

Der internationale Kongress „Musik und Visionen“  von 1999 thematisierte erneut zum Anlass des 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Brasiliens die Bedeutung des Visuellen auch im Sinne von Visionärem, von leitenden Vorstellungen und Zielvorhaben, vom Entwerfen von Zukünftigem und somit von Prozessuellem. In ihm und in nachfolgenden Seminaren, Vorträgen und Tagungen wurden Positionierungen und Sichtweisen in verschiedenen thematischen Zusammenhängen behandelt. Das damit begonnene Triennium wissenschaftlicher Arbeiten zu diesem Anlass fand seinen Abschluss mit dem internationalen Kongress Musik, Projekte und Perspektiven 2002 mit Sitzungen in Rio Grande do Sul, São Paulo und Rio de Janeiro. Bei diesem Kongress wurden rezente Ansätze zur Neuorientierung der Kulturwissenschaft in ihrer Rezeption in der theoretischen Debatte über die Musikforschung Brasiliens sowie in ihrer Potenzialität für die Zukunft besprochen. Erneut wurde dabei die Notwendigkeit hervorgehoben, dass sich die Beschäftigung mit der Musik Brasiliens in Deutschland nicht folkloristisch und sensationalistisch etwa auf Samba, Capoeira und Candomblé beschränken sollte, sondern sich der Auseinandersetzung mit theoretischen Überlegungen und Ansätzen zur Erneuerungen der Kulturwissenschaft und der Praxis in Forschung, Erziehung, Musikleben und -schaffen sowie in der Musikerziehung in Brasilien selbst öffnen sollte.

Die Diskussion wurde bei einem interkulturellen Kolloquium 2004 fortgesetzt, das zum Anlass des 450-Jahr-Gedenken der Gründung von São Paulo unter Teilnahme von Dozenten und Studierenden der Universitäten Köln und Bonn stattfand. Fragen zu Quellen, ihrer Aufbewahrung und Auswertung in Dokumentationszentren als Grundlage der Musikforschung wurden im Centro Cultural São Paulo diskutiert. In der Abschlusssitzung an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro wurden mit der Academia Brasileira de Música laufende Projekte sowie die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Musikforschung besprochen. Bei diesem Kolloquium wurde das Desiderat formuliert, die Geschichte und Gegenwart des Denkens in der Musikforschung Brasiliens in einem musikwissenschaftlichen Seminar in Deutschland zu behandeln, damit Grundlagen geschaffen werden, um die theoretische Debatte im internationalen Austausch fortzuführen.

Kolloquium Interkultureller Studien 2004. São Paulo

Vorangegangenes

2004. Musikautoren und Musikliteratur aus São Paulo. Academia de Letras de São Paulo. Internationales Kolloquium Interkultureller Studien. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Centro Cultural São Paulo, Universität Bonn u.a.

2003/04. Geschichte der Popularmusik Lateinamerikas. Vorlesung. Musikwissenschaftliches Seminar der Universität Bonn

2002. Internationaler Kongress Musik, Projekte und Perspektiven. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Bundesuniversitäten von Rio Grande do Sul, São Paulo, Rio de Janeiro u.a.

2002. Gemeinsame Sitzung mit der Nationalbibliothek Rio de Janeiros

2001. Brasil 2001. Stand und Tendenzen der Forschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Kolloquium Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

1999. Musik und Visionen. Internationaler Kongress zum 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Brasiliens. Deutsche Welle. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Brasilianische Botschaft, Universität Köln, Coimbra, Lissabon, Porto, São Paulo, Rio de Janeiro u.a. Köln

1997-1999. Vorlesungsreihe Musik in der Begegnung der Kulturen. Universität Köln

1992-2002. Projekt zur Erfassung des Wissens über die indigene Musik. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland. Außen- und Kulturministerium Brasiliens. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. Universitäten Bonn, Rio de Janeiro, São Paulo, Lissabon u.a.

1991. Musikforschung und -denken in Alagoas. ISMPS. Historisches und Geographisches Institut. Maceió

1991. Musikforschung und -denken in Sergipe. ISMPS. Historisches und Geographisches Institut. Aracajú

1991. Musikforschung und -denken in Pernambuco. ISMPS. Archiv des Real Gabinete Portugues de Leitura u.a.. Recife

1987. Stand der Musikforschung Brasiliens. I. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, Kultursekretariat São Paulo, Universität des Staats São Paulo, Rio de Janeiros, Minas Gerais, Goiás u.a. São Paulo

1985. Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes. Köln

1985. Anthologie des Musikdenkens Brasiliens. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. São Paulo

1984. Kolloquium mit L.H. Correa de Azevedo in der Bibliothek I. Goüin. Royaumont

1981. Gründung der Brasilianischen Gesellschaft für Musikwissenschaft. Museum der Universität São Paulo

1975. Bibliographische Studien. Arbeitsgruppe Portugal-Brasil. Universität Köln

1975. Bibliographie der Ethnologie Brasiliens. Völkerkundliches Institut, Universität Köln

1972-1974. Bibliographie der Musikethnologie. Fachbereich Musikethnologie. Fakultät für Musik und Musikerziehung São Paulos

1968. Gründung des Zentrums für musikwissenschaftliche Forschungen. Gesellschaft Nova Difusão. São Paulo

1968. Gründung des Interkulturellen Archivs der Gesellschaft Nova Difusão

1967. Erhebung der Bibliographie - Bibliothek Oneyda Alvarenga, Archiv des Staates São Paulo





Kolloquium Interkultureller Studien 2004. Academia Brasileira de Música RJ

Zur Vorlesung in Köln

Das Anbieten einer Vorlesung an der Universität Köln, das nicht die Betrachtung der Musik in Brasilien selbst in ihren vielfältigen Aspekten, sondern deren Erforschung zum Thema hat und bei dem deren Geschichte, deren Entwicklung, deren gegenwärtiger Zustand sowie ihre bestimmenden Perspektiven und Ansätze diskutiert werden sollten, verwirklichte dieses bei den Sitzungen in São Paulo und Rio de Janeiro ausgesprochene Desiderat. Die Vorlesung wurde von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft initiiert und getragen.

Die Vorlesung wurde dementsprechend nach der Auffassung durchgeführt, dass mehr als die Vermittlung allgemeiner Informationen und der Behandlung einzelner musikhistorischer oder musikethnologischer Aspekte eine musikwissenschaftliche Beschäftigung mit der Musik Brasiliens auf universitärer Ebene vornehmlich theoretische, ideelle und ideologische Ansätze, Denkströmungen und Leitgedanken, aber auch Wege der Verbreitung von Wissen und Denkweisen in Netzwerken der wissenschaftlichen Arbeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen sollten.

Bereits 1975, als die Musikgeschichte Lateinamerikas im 19. Jahrhundert Gegenstand eines Projekts im Rahmen der Musikethnologie an der Universität Köln war, wurde offenkundig, dass die Beschäftigung mit der Musik Brasiliens an einer europäischen Universität von Kriterien, Maßstäben und Verfahrensweisen geleitet werden sollte und nicht nur eine Überprüfung der Methodologie, der Denkmodelle und der Verfahrensweisen des Fachbereichs voraussetzt, sondern sich auch einer Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Denkens und mit den theoretischen Ansätzen in Brasilien selbst stellen sollte, wo die Musikethnologie damals bereits eingeführt worden war.

Bei der Vorlesung wurde das bereits in den 1970er Jahren erkannte Problem diskutiert, dass die Einteilung der Musikwissenschaft in historische, musikethnologische und systematische Fachbereiche im Sinne einer Musikforschung, die den Fokus auf Prozesse legt, durch interdisziplinäre Perspektiven und Verfahrensweisen überwunden werden sollte. Auch wurde erörtert, dass die Hauptschwierigkeit für eine adäquate Betrachtung von globalen Zusammenhängen in der Auffassung des Untersuchungsgegenstandes der Musikethnologie selbst zu finden ist. Im Selbstverständnis und in der Praxis des Faches wurden und werden methodologische und geographische Kriterien miteinander verwoben. Es wurde schon damals als ein gravierendes Problem erkannt, dass, während sich die historische Musikwissenschaft weitgehend auf Europa beschränkt, ein außereuropäisches Land wie Brasilien undifferenziert dem Aufgabenbereich der Musikethnologie zugesprochen wird. Diese Einordnung brachte mit sich eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Themen, die eher dem Interesse und der Ausbildung von Ethnologen entsprachen, was eine Einschränkung auf bestimmten Aspekte einer in ihrer Vielfalt komplexen Musikwirklichkeit bedeutete.

Bei dieser Zuordnung von Brasilien zur Musikethnologie fanden brasilianische Komponisten und ihre Werke, das Musikleben in den verschiedenen Epochen und vor allem auch das zeitgenössische Musikschaffen kaum einen Platz. Geschichtliche Darlegungen wurden zwar als Einführung und Erklärung von Kontexten in musikethnologischen Studien geboten, die jedoch wissenschaftlichen Kriterien der Historiographie nicht genügten und vielfach Ursprungshypothesen und Deutungen als allgemeingültige, sichere Erkenntnisse verbreiteten.

Als besonders gravierend erschien außerdem, dass – wie bereits bei der Einführung der Musikethnologie in Brasilien erkannt worden war – die Bezeichnung des Faches selbst mit Verwendung des Begriffs Ethnie das Risiko von Ansichten ethnizistischer und nationalistischer, gar völkischer Natur birgt. Diese Tendenz verstärkte in ungebührlicher Weise nationalistische Bestrebungen im Musikschaffen Brasiliens selbst, was musikästhetisch anachronistisch und kulturpolitisch einseitig, gar reaktionär erschien.

Das Selbstbewusstsein von Musikethnologen, die sich für alle außereuropäischen Regionen zuständig wähnen, selbst für solche, in denen sie selbst nie gewesen sind, wurde beim I. Brasilianischen Kongress für Musikwissenschaft und beim Regionaltreffen für Lateinamerika und die Karibik des Internationalen Musikrates/UNESCO ausdrücklich kritisiert.

Anhand einer Literaturliste wurden die Entwicklung und der Stand der Forschung besprochen. Gleichzeitig wurde eine Zusammenstellung der im Handel befindlichen oder vergriffenen Tonaufnahmen zur Musik Brasiliens insgesamt und anhand einzelner ausgewählter Titel kommentiert. Die Enciclopédia da Música Brasileira wurde in ihrer Bedeutung kommentiert, aber auch wegen ihrer methodischen Schwächen kritisiert. Es ist untragbar, dass sie zwar Gruppen und Figuren der Popularmusik von sekundärer Bedeutung berücksichtigt, aber nicht nur gravierendste Fehler bei der Betrachtung tradierter Spiele und Tänze des Festkalenders aufweist, sondern überhaupt indigene Musikkulturen nicht behandelt. Eine Enzyklopädie Brasilianischer Musik ohne eingehende Erwähnung indigener Musikkulturen ist unentschuldbar und wirft ein negatives Licht auf Orientierung und Ansätze ihrer verantwortlichen Autoren.

Die wichtigsten Forschungszentren, Musikfakultäten, Archive, Museen, Fachgruppen und Institutionen der Musikforschung in Brasilien sowie Zentren der Brasilien-Forschung und der lateinamerikanischen Studien im allgemeinen in Nordamerika wurden berücksichtigt. Die Entwicklungen wurden erörtert, die zur Gründung der Brasilianischen Gesellschaft für Musikwissenschaft 1981 führten, sowie die Rolle, die deutsche Musikwissenschaftler dabei spielten. Eine besondere Aufmerksamkeit erfuhren der I. (1987) und II. (1992) brasilianische Kongress für Musikwissenschaft. Die Situation der Forschung und der Studien, die Thema des ersten Kongresses war, wurde unter Berücksichtigung der seitdem erschienenen Publikationen dargelegt. Gegenstand der Erörterung waren auch die Netzwerke der Musikforscher mit ihren eigenen sozialen und kulturgeschichtlichen Kontexten, ihre Hauptgestalten, deren politische Ausrichtungen und ihr Einfluss auf die Entwicklung von Schulen bzw. Strömungen der Wissensproduktion und -verbreitung.

Kolloquium Interkultureller Studien 2004. São Paulo

Besonders kommentierte Autoren/Forscher, ihre Publikationen und Ansätze

Acquarone, F.; Alencar, E.; Almeida Karwinky, E. S.A.; Almeida. R.; Almeida Penalva, J.; Alvarenga, O.; Alves, H.; Alvim Correa, S.; Amaral, A.; Andrade, Ayres de; Andrade, Julieta de; Andrade, Mário de; Andrade Muricy, J.C.; Araújo, Mozart de; Aytai, D.; Baptista Siqueira; Béhague, G.; Borges Ribeiro, M. de. L.; Braunwieser, M.; Câmara Cascudo, L. Da; Cameu, H.; Calado Rodrigues, M.A.; Caldeira Filho, J.C.; Campos, A.; Cavalcanti Diniz, J.; Cernicchiaro, V.; Correa de Azevendo, L.H.; Correa Giffoni, M.A.; Cosme, L.; Cotte, J. V.; Crowl Jr., H.; Damante, H.; Dewey, E.; Ellmerich, L.; Ernst Dias, O.; Ferreira do Amaral Pereira, K.; Figueiredo, G.; Freitas e Castro, E. De; Griffths, G.C.P.; Guerra-Peixe, C.; Horta, L.P.; Ikeda, A.; Itiberê da Cunha, J.; Kater, C.; Kiefer, B.; Koellreuttrer, H.-J.; Lange, F.C.; Lavanère, L.; Maltese, Moyses, S.; Mariz, V.; Macchi, M. Del C..; Martins Lamas, D.; Maynard de Araújo, A..; Medaglia, J.; Melo, V. De; Mello Moraes Filho; Menezes de Brito, L.; Menezes Basto, R..; Neves, J. M.; Nogueira França, E. N.; Paes Junqueira, M. F.; Pellegrini Filho, A.; Person de Mattos, C.; Picchi, A.; Ramo Gomes de Lima, S.; Ramos Tinhorão, J.; Reis Garcia, R.M.; Rezende Fonseca, M. Da C.; Ribeiro de Freitas Reis, S.; Rocha, L. M.; Rodrigues de Moraes, W.; Rodrigues Gomes, N.; Rosas Fernandes, M.H.; Salles, V.; Santos Neves, G.; Schubert, G.; Senise, A.; Setti, K.; Silva da Marco, C.; Sinzig, P.; Souza, J. G.de; Souza Pereira, N.de; Souza, Tárik de; Squeff, E.; Tavares de Lima, R.; Toni, F.; Vasconcelos, A.; Veiga, M.; Veiga Oliveira, J.da; Vendramini, M. Do C.; Vinocur Freitag, L.; Wisnik, M.


Kommentare ausgewählter Themen des Kongresses „Musik, Projekte und Perspektiven“

Musik und Philosophie in der Geschichte deutsch-brasilianischer Beziehungen

Musikwissenschaftliche Forschung. Kulturgeschichte und Didaktik identifikatorischer Formungsprozesse

Immigranten im kulturgeschichtlichen Formungsprozeß von Identitäten

Potential einer kulturwissenschaftlich orientierten Musikwissenschaft

Dimensionen der Musik in der ökumenischen Annäherung der Kulturen

Geschichte und Gegenwart sozio-kultureller Netzwerke zur Erhaltung und Entwicklung sprachlicher und kultureller Identität der Nachfolgegenerationen von Immigranten

Postkoloniale Kulturstudien und Musikforschung

Nationalismus und Universalismus vor dem Hintergrund transnationaler Musikauffassungen

Autoritäre Konzeptionen in der Musikforschung

Stand und Defizite internationaler Informationsübermittlung und musikalischer Vermittlung

Philosophie und Musik, Musik als Weg zur Philosophie

Theologische Grundlagen der Musik oder Konzept von Theologie als Teil verschiedener Formen des Wissenschaftlich

Immigrationsforschung in Musik- und Kulturwissenschaft

Erforschung und Inventarisierung des musikwissenschaftlich relevanten Kulturbestandes

Permanenz, Wandlung und Regenerierung von Traditionen in Einwanderungsgebieten

Museologie der Immigration und Kolonisation. Problem der Selektion und Integration von Kulturelementen

Ethnizierungen und Gruppen-Identitäten

Musikwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Positionierungen und Neuorientierungen

Konzeptionen musikpädagogischer Handlungsfelder in realitätsbezogenen Interaktionen

Konzepte von Theorie und ihrer Didaktik in Hinblick auf die identifikatorische Strukturierung. Perzeption als Wahrnehmung des Selbst durch die MusikalischerTransdisziplibärer Einsatz der Musik im integrierten Gesamtbildungsmodell in ethischer Verpflichtung

Berufsorientierte Konzeptionen und außerschulische musikpädagogische Dienstleistungen

Erforschung von musikalischen Lernprozeß und Identitätspräsentationen zur Entwicklung alternativer Diskurse und Methoden für die Musikerziehung

Musikgeschichte symbolischer Organisationsprinzipien des Wandels in interaktiven Spannungsfeldern ruraler und stammesbezogener Gesellschaften

Rurale Musik- und Kulturidentität im globalen Gebäude des Wissens

Interaktion von Systematik und Geschichte in der Analyse musikhistorischer Mechanismen transformatorischer Kulturidentitäten

Mediävistik und empirische Kulturforschung ruraler Traditionen

Transregionale Grundstrukturen und Ausdifferenzierung symbolischer Ausdrucksweisen von Tänzen auf Grund von Umweltfaktoren

Forschungsperspektiven zu neueren religiösen Praktiken imn Hinblick auf Kontaktsituationen von semniruralen und Stammesgesellschaften

Provinzialität und Universalität in der Geschichte von Musik- und Kulturkonzepten

Soziokulturelle Marginalisierungen im Binnenland. Ethnizierung und Inszenierung als Strategie kulturpolitischer Aufwertung subalterner Gruppen

Mobilität in der Musikgeschichte: Horizontale und vertikale Bewegungen im Prozeß zunehmender Verstädterung

Musik bei der Umformung von Mentalitäten. Resignifikation traditierter Kulturpraktiken als Querstrategie der Veränderung

Litorale Kulturforschung und Ökologie

Erneuerungsdynamik in Musik- und Kulturwissenschaft aus internationalen Vernetzungen und Soilidaritäten. Nova Musicologia

Zwischen Geschichte signifikanter Ereignisse und Erforschung der Alltagskultur

Memoria und Musik in der Methodik der Kulturumformung

Eurozentrische Erfahrung der Alteralität in der Anamnese reformatorischer Mentalitätsgeschichte

Wege des Meeres und der Erde im Durchkreuzungsprozeß der Kulturen

Rekonstruktion der Mentalitätsgeschichte aus dem musikhistorischen Gedächtnis radiärer Zentren des Hinterlandes

Residuen des kolonialen Mutterlandes in der Alltagskultur isolierter Gebiete

Stabilität und Destabilisierungen bedeutungsorientierter Funktionen von Kulturpraktiken

Transnationale Memoria und kollektive Repräsentationen

Memoria, Permanenz, Perspektiven und Analysen tradierter Repräsentationen

Kulturanthropologische Experimenten an Universitäten

Tonarchive: Dokumentation von Prozessen der Erschließung Zentralbrasiliens und Amazoniens im 20. Jahrhundert