AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

Musikkulturforschung und Politik
in Lateinamerika

Aktuelle Probleme

Universität Köln
Seminar – WS 2007/08


Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS

Nach Besprechungen an der Biblioteca Nacional José Martí, Habana, Cuba 2001 und in Santiago de Cuba 2003

30 Jahre: Cantiere internazionale d’arte die Montepulciano (1976)
80 Jahre: Hans Werner Henze (1926-2012)


Caudillos, Autokraten, Diktatoren, Guerillas, Revolutionen, Unruhen und chauvinistisches Pathos prägen vielfach das Bild Lateinamerikas. Auch die Musik Lateinamerikas ist eng mit politischen Entwicklungen und Regimen, mit Ideologien, Propaganda, Umwälzungen, Revolutionen, Protesten und Bürgerkriegen, Repressionen, Verhaftungen und Ausweisung unerwünschter Sänger verbunden. Die Beziehung von Musik und Politik in Lateinamerika äußert sich nicht nur offensichtlich in der umfangreichen Hymnenproduktion und patriotischen Liedern zu Ereignissen, Gestalten, Daten und Symbolen nationaler Geschichte und in der Bedeutung der Militärmusik, auch nicht nur in den Revolutions- und Protestliedern, sondern auch in weniger offenkundiger Weise im Musikschaffen von Komponisten, im Konzertleben, in der Musikerziehung, der Musik in der Bildungspolitik und der Repräsentationen der Länder im Ausland. Politische Umwälzungen führen zu Veränderungen in allen die Musik betreffenden Instanzen, in Schulplänen, im Musikleben und in Projektförderungen. Leitungen von Theatern und Musikhochschulen werden vielfach aus politischen Gründen ausgetauscht, Orchester und Chöre werden abgeschafft und andere neu gegründet, Chorbewegungen gefördert oder Musikwettbewerbe unterstützt. Komponisten und Instrumentalisten erhalten je nach ihrer politischen Orientierung Förderung von Regierungsstellen oder fallen in Ungnade.



Biblioteca Nacional José Martí, Habana, Cuba

Herausragende Gestalten der Musik Lateinamerikas sind auf das Engste mit einer bestimmten Regierungsform, Partei, politisch bedingten Ästhetik oder Kulturideologie verbunden. Komponisten, die in ihrem Schaffen eine nationalistische Ästhetik vertraten, wurden oft besonders gefördert und erscheinen als die prägenden Musikerpersönlichkeiten vieler Länder. Die Volksmusik wurde in den Dienst der Politik gestellt, und diese beeinflusste maßgeblich deren Entwicklung. Folklore wurde für Propaganda eingesetzt oder diente der Imagebildung von Bewegungen und Parteien. Nicht nur die Musik und das Musikleben in all ihren Aspekten sind mit Politik eng verflochten, sondern auch die Beschäftigung mit ihr, die Publikationen und die Forschung. Auch hier ist die Beziehung zur Politik und die politische Einstellung der Autoren und Forscher nicht immer offenkundig.

Die Musikforschung war in den einzelnen Ländern nicht a-politisch, sie war und ist nicht ‚neutral‘. Autoren stellten Werke in den Dienst politischer Ideenbildung, schufen nationale Musikgeschichten, deuteten Traditionen in nationalistischem Sinn und entwickelten Erklärungsmuster für Spiele, Tänze und Musikpraktiken und -genres, die bis heute nachwirken. Unübersehbar ist die nationalistische Prägung der Mehrzahl führender Werke zur Musikgeschichte und Folklore renommierter Autoren der Geistesgeschichte lateinamerikanischer Länder. Die in ihnen gegebenen Gewichtungen und Wertungen werden durch ihre Verbreitung gefestigt. Sie fügen sich in Denkströmungen und Bestrebungen ein, die auf Zeiten verstärkten Anliegens nach einer nationalen Identität des 20. Jahrhunderts zurückgehen, die meistens – aber nicht nur – autokratischen, rechtsgerichteten Systemen zuzuordnen waren. Es ist nicht unmittelbar ersichtlich, ob die Publizisten der Moderne angehören oder eigentlich anti-modern sind, oder ob die Moderne, die sie beanspruchten, mit politischen Kontexten verbunden war, die heute gar als unmodern, reaktionär erscheinen. Die Erforschung der Folklore und die Verwendung von Elementen der Volksmusik in der nationalen Musikästhetik wurden nicht nur von Historikern und Kulturforschern von rechts, sondern auch von links, wenn auch unter anderen Aspekten und Beweggründen, gutgeheißen.

Santiago de Cuba. Seminar von A.A.Bispo an der Universität Köln

Es ist für den Leser und den europäischen Betrachter oft nicht einfach zu unterscheiden, ob die Aufwertung von Komponisten, die Elemente der Volksmusik in ihren Kompositionen verwenden und somit einer Kulturidentität des Landes eher zu entsprechen scheinen als diejenigen, die sich nach internationalen Tendenzen richten, aus einer Position rechtsnationaler und völkischer oder aus sozialistischen und neomarxistischen Einstellungen erfolgte.

Eine aufmerksame Lektüre von Studien, die für die Musikkulturbetrachtung relevant sind, ist demnach notwendig. Die Denk- und Sichtweisen der Autoren in ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Kontext können oft nur durch Analysen anderer seiner Werke, Äußerungen und Wirkweisen sowie und vor allem der Netzwerke, zu denen sie gehören, erkannt werden. Eine Wissenschaft der Wissenschaft ist demnach notwendig für eine adäquate Vorgehensweise in der Kultur- und Musikforschung.

Lateinamerika-Studien – ob in den lateinamerikanischen Staaten, in Europa oder Nordamerika – sind stark politisiert, was sich in Themenauswahl, Gewichtungen und Deutungen offenbart. Ihre Beziehungen zu bestimmten politischen Auffassungen und Bestrebungen müssen von der Forschung selbst berücksichtigt werden. Sie sind nicht immer linksorientiert, wie es zunächst erscheinen mag. Es gibt Stiftungen, Institutionen, Vereine, Gesellschaften für bilaterale Beziehungen und Publikationen, die konservativ oder ausgesprochen rechtsorientiert sind. Sie stützen und regen Handlungen und Initiativen an.


Santiago de Cuba. Seminar von A.A.Bispo an der Universität Köln

Allerdings ist das Thema Musikforschung und Politik in Lateinamerika nicht nur im Sinne einer Zuordnung zu Rechts und Links oder von Parteilichkeiten zu behandeln. Die Auffassung, dass alles politisch ist, dass selbst Privates politisch ist, setzt sich zunehmend durch. Auch die Musik hängt mit diesem weitgefassten Sinn des Politischen zusammen. Musik spielte eine bedeutende Rolle bei Bewegungen für Menschenrechte, für Rechte von Minderheiten hinsichtlich Ethnie, Rasse, Gender u.a. Die entsprechenden Musikstudien müssen die zugrundeliegenden politischen Anliegen in ihren unterschiedlichen Aspekten beachten. Musik kann maßgeblich zur Änderung von Einstellungen, Strukturen, von Normen und Konventionen beitragen, zu Aktionen, die durch Querstrategien wirken. Auch eine queere Musikforschung ist in diesem Sinn politisch.

Seminar Musik und Politik in Lateinamerika von A.A.Bispo an der Universität Köln

Entwicklung der Forschung

In den 1960er Jahren wurde unter den repressiven Bedingungen autoritärer Regimen gegenüber linkspolitisch orientierten Studentenbewegungen auch in lateinamerikanischen Ländern das Bewusstsein für den Einfluss politischer Ideologien und Propaganda auf die Musik und die Musikstudien geschärft. Die Politisierung betraf nicht nur die Protestlieder der linken Jugend. Sie äußerte sich weniger offensichtlich und komplexer in Spannungen zwischen konservativen und progressiven Lagern auch in der Popularmusik, so zwischen den traditionalistisch und nationalorientierten Sängern und Popularmusikern, die sich nach internationalen Tendenzen richteten. Diese wurde zum einen als unpatriotisch oder im Dienst nordamerikanischer Interessen stehend verschrien, zum anderen als Antrieb zur Erneuerung gepriesen. Diese Spannung äußerte sich in den Texten von Autoren einer beginnenden Popularmusikforschung in Lateinamerika.

Diese politische Unterschiede betrafen nicht nur die Popularmusik, die sich durch die zunehmende Macht der Medien bei Studien der Massenkommunikation in der Konsumgesellschaft als notwendiger Gegenstand von Analysen aufdrang. Die Spannungen zwischen Komponisten, die sich einer nationalistischen Musikästhetik verbunden fühlten, und denjenigen der eher übernational orientierten Neuen Musik bestimmten das Musikleben in den 1960er Jahren und förderten die Auseinandersetzung mit dem Nationalismus und überhaupt mit dem Politischen in der Musikliteratur. Die Beschäftigung mit politischen Inhalten bei Musiktexten führender Autoren prägte die Debatten um reflektierte Ansätze in Kultur- und Musikstudien durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse und führte 1968 zur Gründung der Gesellschaft Nova Difusão mit dem Zentrum für musikwissenschaftliche Studien in São Paulo. Bei diesen Bestrebungen wurde nicht nur eine interdisziplinäre Vorgehensweise gefordert, sondern Grenzüberwindungen in verschiedenen Hinsichten, auch zwischen Theorie und Praxis. Auch die Transgression von etablierten Normen, Verhaltensweisen und tradierten Vorstellungen gehörte zu ihren Studiengegenständen.

Bei diesen Revisionen der volkskundlichen und musikhistorischen Literatur wurde ersichtlich, dass nationalistische Positionen nicht nur ästhetische Wertungen von Werken und Entwicklungen, sondern auch eine Perspektivierung der Geschichte bestimmten. Musikwerke und -stile, die vor dem Aufkommen nationalistischer Musikästhetik entstanden sind, wurden als Nachahmung europäischer Musik entwertet. Ebenfalls wurden Komponisten und Bewegungen, die sich in den 1930er und 1940er Jahren internationalen zeitgenössischen Tendenzen öffneten, verschrien und von nationalistischen Komponisten und Autoren polemisch bekämpft.

Diese Debatte bracht zum Bewusstsein, wie eng die Musikforschung mit politischen Ideologien und Tendenzen verbunden war und wie notwendig bei der reflektierten Auseinandersetzung mit ihr Grenzen von Fachbereichen zu überschreiten waren, die auch mit sozialen Sphären bzw. Klassen assoziiert waren.

Die Dekolonialisierungsbewegungen in Afrika und Asien förderten die Überprüfung von Ansichten über de Musikgeschichte Portugals und der von den Portugiesen geprägten Länder. Die politische Diskussion prägte auch die Musikethnologie, die 1972 als Fachbereich an der Fakultät für Musik und Musikerziehung São Paulos eingeführt wurde und in enger Kooperation mit dem Fach Ästhetik arbeitete. Die Entwicklung des Denkens in anderen lateinamerikanischen Ländern sowie in Europa, insbesonders auch durch Publikationen des Instituts für Musikästhetik und Soziologie Zagrebs, wurde aufmerksam verfolgt.

Die Sensibilisierung für politische Fragen, die auch die Musikkultur betrafen, wurde durch die Diskussion um die Theologie der Befreiung in die 1970er Jahren angeregt. Sie bestimmte Kontroversen im Rahmen der Kirchenmusikforschung und auch der Musikethnologie. Diese Auseinandersetzung mit der Theologie der Befreiung wurde in engem Zusammenhang mit den Bestrebungen um eine Orientierung der Musikforschung nach Prozessen kontrovers und konfliktreich geführt. Sie prägte die Diskussion über die Entwicklungen in vielen Ländern Lateinamerikas und wurde im Gedankenaustausch mit an Ort und Stelle tätigen Theologen, Missionaren, Sozial- und Kulturforschern geführt.

Ab 1975 wurden Studien zum Verhältnis zwisch Politik und Musikforschung im Rahmen des Programms für Erneuerung von Ansätzen in Kultur- und Musikstudien in verschiedenen Kontexten Europas durchgeführt. Von Bedeutung war die Begegnung mit Persönlichkeiten wie dem Komponisten Hans Werner Henze.

Überlegungen, die Politik und Musik Brasiliens betrafen, wurden im Rahmen des 1985 gegründeten Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes angestellt. 1986 wurde eine Reise in die Deutsche Demokratische Republik realisiert. Beim ersten Kongress für Musikwissenschaft in São Paulo im Villa-Lobos-Jahr 1987 wurder der Musikpolitik eine Sitzung einberaumt. In Kolloquien, Tagungen und Dialogen wurden politische Fragen in den 1990er Jahren zu verschiedenen Anlässen diskutiert. Bei den Forschungen und Kolloquien im Rahmen des Projekts zur Erhebung des Wissens über die indigenen Kulturen Brasiliens wurde die politische Problematik in verschiedenen Kontexten mit Institutionen, Indigenisten und Aktiivisten für Menschen- und Umweltrechte intensiv diskutiert. Bei indigenen Versammlungen und indigenisten Aktionen spielen Musik und Tanz eine bedeutende Rolle. Von besonderer Bedeutung für den internationalen Gedankenaustausch wurden die Treffen, die in Institutionen von Kuba stattfanden. 2001 wurden in Havana Gespräche in der Nationalbibliothek, im Nationalkonservatorium und in Institutionen der Diözese geführt. Beim internationalen Kongress „Musik, Projekte und Perspektiven“ zum Abschluss des Trienniums zum 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Brasiliens spielte die Diskussion politischer Themen eine bedeutende Rolle. Der Gedanke, ein Seminar zu Fragen der Politik in der Musikforschung zu veranstalten, wurde bei einem Besuch von Santiago de Cuba 2003 erhärtet.

Seminar Musik und Politik in L.A. von A.A. Bispo. Universität Köln

Vorangegangenes

2004/05. Tropicalismo und Differenzkonzepte in der Popularmusikforschung. Seminar. Universität Köln

2004. Internationales Kolloquium Interkultureller Studien. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, Centro Cultural São Paulo u.a. São Paulo und Rio de Janeiro

2003. Visite von Institutionen und Besprechungen in Jamaika und Kuba

2002. Internationaler Kongress Musik, Projekte und Perspektiven. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Bundesuniversitäten Rio Grande do Sul, São Paulo, Goiás, Rio de Janeiro u.a.

2002. Musikforschung und Kulturdiplomatie. Museum Diplomatischer Geschichte. Itamaraty. Außenministerium Brasiliens. Rio de Janeiro

2001. Besprechungen in Kuba. Nationalbibliothek und Musikkonservatorium. Havanna

2001. Besprechungen mit Politikern der Grünen. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

2001. Brasil 2001. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Köln

1999. Internationaler Kongress Musik und Visionen. Deutsche Welle. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. Brasilianische Botschaft, deutsche, portugiesische und brasilianische Universitäten u.a.

1993/94. Gespräche und Studien in indigenisten Institutionen Zentralbrasiliens und Amazoniens. Projekt der Erfassung des Wissens über indigene Musikkulturen. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik

1987. Musikforschung und Redemokratisierung. Musik und Kulturpolitik. I. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Kultursekretariat der Regierung São Paulo. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, UNESP u.a. São Paulo

1986. Beobachtungen und Besprechungen in Institutionen der Deutschen Demokratischen Republik

1971. Blow Up. Gespräche mit Rogério Duprat, Juca Chaves u.a. in mehreren Städten Brasiliens

1970. Institut für Musiksoziologie und Ästhetik Zagreb und Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen. São Paulo1970. Vortrag des portugiesischen Komponisten Jorge Peixinho. Nova Difusão. São Paulo

1970. Umorientierung der Volkskunde und Politik. Mit Rossini Tavares de Lima und C. Guerra Peixe. Museu de Artes e Técnicas Populares. São Paulo

1969. Faunos da Pauta. Musik und Studentenbewegung. Fakultät für Architektur der Universität São Paulo

1968. Gründung der Gesellschaft Nova Difusão mit dem Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen. São Paulo


Konfizierte Trommel in Trinidad de Cuba

Zum Seminar in Köln 2007

In diesem Seminar an der Universität Köln sollten sowohl bei den Präsenzsitzungen als auch online Musikwissenschaft und Politikwissenschaft in ihren Beziehungen zum Gegenstand von Studien und Diskussionen werden. Das Seminar fand im Rahmen der außerplanmäßigen Professur statt, die sich mit dem Schwerpunkt Neuorientierungen der Musikwissenschaft durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse befasst, und wurde von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft initiiert und getragen.  

Die Studierenden sollten einen Überblick gewinnen über Studien und Überlegungen, die Musik in Zusammenhang mit Politik betrachten, über Musikpolitik in ihren verschiedenen Aspekten, über politisch geprägten und politischen Zwecken dienende Musikforschung, über die politische Orientierung von Autoren und Komponisten in einzelnen lateinamerikanischen Ländern und in Lateinamerika als Ganzem, über Positionierungen von Politikern und Parteien sowie über offizielle Verordnungen und Reglementierungen zur Musikerziehung und Musikverbreitung.

Sie sollten in die Lage versetzt werden, Texte zur Musik sowie Musikwerke und -stile in politischen Kontexten sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart einzuordnen und zu analysieren. Mit dieser Auseinandersetzung sollte ihr Bewusstsein geschärft werden nicht nur für die Verwobenheit der Musik mit sozialgeschichtlichen und politischen Prozessen, sondern auch für die politischen Hintergründe bei der Beschäftigung mit der Musik selbst und ihren Auswirkungen auf Musikleben, Musikerziehung, Studium und Forschung an Hochschulen.

Das Seminar hatte eine theoretische und kulturanalytische Ausrichtung. Die Diskussionen wurden unter der Perspektive der verschiedenen Ansätze zur Neuorientierung der Kulturwissenschaften geführt. Die Aufmerksamkeit richtete sich vornehmlich auf das Aufspüren und Untersuchen von Wenden, Brüchen und Diskontinuitäten in musikgeschichtlichen Prozessen und inter- und transnationalen Beziehungen, von Übersetzungen von Denkmodellen aus verschiedenen Wissensbereichen in die Musikbetrachtung, von der Musik in Grenzüberschreitungen zwischen sozialen Sphären und Feldern von Forschungsbereichen sowie von Positionierungen und Leittendenzen des Denkens. Die Stimmen, die für verschiedene Ansätze der kulturtheoretischen Diskussion in Europa und Nordamerika sprechen, sollten mit denen lateinamerikanischer Autoren in Dialog treten.

Während der Seminarsitzungen wurde eine besondere Aufmerksamkeit gerichtet auf die Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte in den einzelnen Ländern, die die Historiographie der nach-kolonialen Zeit, insbesondere des 19. Jahrhunderts, und dessen Musik bestimmt. Dadurch sollte der Weg geebnet werden für die Betrachtung der nationalistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts und von diesen abweichender Strömungen des Denkens und Schaffens, die einen Anschluss an übernationale zeitgenössische Entwicklungen suchten.

Wenn die ideologische Begründung und politische Instrumentalisierung der Musikforschung in der nationalsozialistischen Literatur und in marxistischen Publikationen unmittelbar erkennbar ist, was in vielen Fällen zu einem Verschweigen, zu einer Aussortierung von Autoren und Werken führt, so ist in anderen Fällen die politische Richtung und Instrumentalisierbarkeit der Forschung schwerer zu erkennen. Sie wird eher offenbar in Musikgeschichtsbetrachtungen, die Perspektivierungen, Gewichtungen und gar Bewertungen musikästhetischer Entwicklungen vornehmen, z.B. bei der Aufwertung von Komponisten und ihrer Werke, die in ihrem Schaffen Elemente der Folklore zur Konstruktion einer nationalen Musiksprache verwendeten.

Die Teilnehmer des Seminars sollten über diese seit Jahrzehnten geführte Debatte informiert werden, die die Problematik dieser unter positivem Licht dargestellten nationalistischen Ästhetik thematisiert. Bereits bei den Diskussionen, die das Projekt Musikgeschichte Lateinamerikas des 19. Jahrhunderts begleiteten, das in Köln in den 1970er Jahren durchgeführt wurde, wurde das Problem einer Perspektive aus der Ferne, die Sehnsucht nach dem Anderen diskutiert, was das Schaffen nicht-nationalistischer Prägung Lateinamerikas entwertet und somit politisch einseitig wirkt.

Dieses Problem betriff vor allem die Musikethnologie. Trotz aller Bemühungen um wissenschaftliche Objektivität werden in musikethnologischen Texten unbewusst nationalistische Sichtweisen begünstigt, die totalitären Denkweisen entsprechen. Der Blick auf Ethnien, auf das, was Identität von Völker und Nationen ausmacht, trägt zu Positionen bei, die das Völkische bei kulturpolitischen Bestrebungen betont. Die Ambivalenzen und Risiken des Ethnopluralismus wurden diskutiert.












Santiago de Cuba. Seminar Musik und Politik von A.A.Bispo an der Universität Köln

Einführende Besprechungen nach Übersetzungen von Texten des Seminarleiters

Revista Brasil-Europa/Correspondência Euro-Brasileira (im Internet verfügbar)

A.A.Bispo. "Politologia e Ciência da Cultura em contextos internacionais e interculturais", 109 (2007:5)

-----------. "Análise cultural e a perspectiva culturalista no estudo das transformações político-culturais", 109 (2007:5)

-----------. "Policy: Questões de conteúdo e de 'output' na análise político-intercultural", 109 (2007:5)

-----------. "Polity: Questões sistêmicas e de confiança em etruturas na análise político-intercultural", 109 (2007: 5)

-----------. "Cultura política como 'instituição semiótica' em estudos politológicos e análise da ordenação simbólica de processos culturais", 109 (2007:5)

-----------. "Cultura de interpretação e sócio-cultura como categorias de análise político-intercultural", 109 (2007:5)

-----------. "Ideais paneuropeus sob a perspectivas das relações euro-latinoamericanas. Redirecionamento cultural de conceitos geopolíticos", 109 (2007:5)

-----------. "Sistemas político-econômicos e transformações histórico-culturais em contextos internacionais", 109 (2007:5)

-----------. "Problemas da mistura de ilussão e realidade em interpretações politológicas e análise de ordenações simbólicas transfiguradores na cultura", 109 (2007:5)

-----------. ""Propaganda, informação e intercâmbio científico-cultural. Interferências entre a História Política, História da Diplomacia Cultural e a História de Processos Culturais", 110 (2007:6)


Grundlagenpublikation zu Diskussion und Erarbeitung von Referate

Derrida, Jacques. Schurken. Zwei Essays über die Vernunft. Übers. H. Rühmann. Reinbek bei Hamburg: Suhrkamp 2003

Henze, H. W. (Hg.). Zwischen den Kulturen. Neue Aspekte der Musikalischen Ästhetik . Frankfurt a. M.:I. S. Fischer 1979

Referate:

Henze, H. W.. "Exkurs über den Populismus", op.cit. 7-32

Jungheinrich, H.-K. "Anders mit Musik umgehen", op.cit. 69-102

Fournier Facio, G.. "Auf dem Weg zu einer neuen Ästhetik der lateinamerikanischen Musik", op.cit. 103-142

Barnet, M.."Brief aus La Habana". op.cit. 143-152

Harrison, M. "Volksmusik und gesellschaftliche Realität im heutigen Jamaika". op.cit. 153-188

Blake, David. "Meine Musik und die Politik"..op.cit. 213-226


Besprechungen: Musik in der Kulturpolitik einzelner Länder

08. November. Mittelamerika - Mexiko, Costa Rica, Nicaragua, Belize, San Salvador, Panamá, Guatemala

15. November. Karibik I (spanisch sprechende Länder)

22. November. Karibik (englisch und niederländisch geprägte Länder)

29. November. Kolumbien und Venezuela

06. Dezember. Peru, Bolivien, Equador

13. Dezember. Chile

10. Januar. Argentinien, Uruguay, Paraguay

17. Januar. Brasilien I -Süden, Südosten, Osten, Nordosten

24. Januar. Brasilien II - Amazonien, Zentralbrasilien


Herausragende Seminararbeit

A. Drescher. Der Rock auf Kuba als Spiegel einer sich wandelnden Gesellschaft