AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

DIE MUSIK IN DER BEGEGNUNG VON ABENDLAND UND CHINA


Universität Köln
Vorlesung WS 1997/98

PD Dr. Antonio Alexandre Bispo




Anlass der Themenauswahl: Übergabe von Hongkong 1997 und Macau 1999 an China

Im Anschluss an
Beobachtungen und Studien in Gesprächen in Macau und Hongkong
Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS
in Zusammenarbeit mit: Inter-University Institute Macau, Biblioteca do Senado, Kulturinstitut und Zentralbibliothek von Macau 1996

als Vorbereitung des Internationalen Symposiums zur Übergabe Macaus an China in Lagos und Guimarães 1998



China ist längst zu einer Weltmacht emporgestiegen. Es wirkt nicht nur in kommerziellen Transaktionen als mächtiger Konkurrent. Es tritt unternehmerisch auf und ist führender Agent bei Entwicklungen in vielen Regionen der Welt. Seine Präsenz und Unternehmungen in der pazifischen Inselwelt, in Afrika und auf dem amerikanischen Kontinent sind unübersehbar. Angesichts dieser Bedeutung, die zunimmt und erwartungsgemäß die Zukunft prägen wird, ist eine besondere Beschäftigung mit China eine unabdingbare Erfordernis für verschiedene, wenn nicht für alle Wissens- und Wissenschaftsbereiche.

Diese Aufgabe kommt auch der Musik in besonderer Weise zu, was zunächst überraschen mag. Ihre Relevanz zeigt sich nicht nur darin, dass es im breiten Spektrum des gegenwärtigen Musiklebens Chinas westlich orientierte Musiker und Ensembles gibt, die einen internationalen Ruf genießen, die sich auch bei Konzerten und Wettbewerben in Europa und den USA hervortun und deren Aufnahmen sich im Tongeschäft gut umsetzen. Westliche Musik ist präsent in den chinesischen Medien in einem Ausmaß, das sich nicht mit dem der chinesischer Musik im Westen vergleichen lässt. Musikinstitutionen, Universitäten und Hochschulen, in denen westliche Musik gelehrt wird, gibt es in beachtlicher Zahl und vor allem diejenigen aus Taiwan sowie Hongkong und Macau sind international mit europäischen und amerikanischen Musikzentren vernetzt.




Die Bedeutung einer aufmerksamen Auseinandersetzung mit China ergibt sich vor allem aus der Rolle, die die Musik an sich und als Wissenschaft in den Interaktionen im Verlaufe der Jahrhunderte spielte. Vor allem durch Musik konnten Vertreter des Abendlandes in die höchsten Kreise des alten, verschlossenen Reiches der Mitte eindringen, sich zeitweise integrieren und von innen heraus Veränderungsprozesse entfachen. Die Musik trug in bedeutendem Ausmaß zur Einleitung von Prozessen bei, die sich in allen Bereichen auswirkten. Diese historische Rolle der Musik ist besonders bemerkenswert, da es sich dabei nicht so sehr um die praktische, klingende Musik handelte, sondern um Musikologisches, um Musikanschauungen und Systematisches.

Die  erstaunliche, zunächst überraschende und verstörende Rolle der Musik in diesen Beziehungen kann nur angemessen im Rahmen einer Musikforschung erfolgen, die historisch über die Grenzen Europas hinaus vorgeht und Prozesse fokussiert. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Sie muss sich selbst als Teil dieser Prozesse und der entstandenen, sich verändernden Situationen begreifen.

Mit China lässt sich nicht mehr nur aus einer ethnologischen Perspektive auseinandersetzen, die für den Betrachter Fremdes, für den Europäer Außereuropäisches erblickt und historische Prozesse, Veränderungen und die prozesshaft entstandenen Realitäten nicht ausreichend achtet. Das Interesse der Forschung darf sich nicht nur auf die traditionelle Musik und das Musikinstrumentarium, auf tradierte Musikformen und -praktiken, auf das chinesische Theater, auf das Studium uralter Musikanschauungen beschränken. Diesbezüglich gibt es eine umfangreiche Literatur, die eine bereits alte Geschichte aufweist und mit herausragenden Forschernamen verbunden ist. Sie wird weiterhin in mehreren Studienzentren, Universitäten und Museen entwickelt.

Eine ausschließliche Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Tradiertes und Historisches ist unzurreichend, unter vielen Aspekten unzeitgemäß und antiquiert. Eine solche Musikethnologie ist in ihrer Beschränktheit überholt. Es sei nur an die Existenz von großen China-Vierteln in vielen Städten der Welt mit ihren Kultureinrichtungen gedacht, um ins Bewusstsein zu rufen, dass das Forschungsinteresse vor allem auf Fragen der Expansion, der Diffusion, der Identität und Integration, der Bewahrung traditerter Musik, aber auch des Neuschaffens vor allem im Popularmusikbereich der Auslandschinesen stärker gerichtet werden muss.  In den Chinesenvierteln von São Paulo, San Francisco, Manchester, Penang oder Singapur u.v.a. wird zwar traditionelle Musik in einer Intensität gepflegt  die möglicherweise diejenige in China selbst übersteigt, was durch das Bestreben der Bewahrung eigener Kulturidentität zu verstehen ist, in ihren Festen und Kulturveranstaltungen zeigt sich aber auch Neues, das aus der schöpferischen Tätigkeit der Musiker und Gruppen im jeweiligen Kontext entsteht. In ihnen werden auch interne Unterschiede und Spannungen sichtbar, die vor allem auch aus den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Traditionen und deren Interaktionen und Veränderungen durch christliche Missionierungen entstehen, was in China selbst überdeckt, nivelliert oder schwerer zu untersuchen ist.

Die Übergabe der Staatshoheit von Hongkong 1997 und Macau 1999 an China bedeutete – obwohl sie Außen- und Verteidigungspolitik und zunächst nicht ausdrücklich Kultur und Musik betrifft – einen bedeutenden Einschnitt in der Präsenz des Westens im Fernen Osten, die historisch durch Prozesse ermöglicht wurde, bei denen auch die Musik eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielte. Sie kann als Ende einer langen Geschichtsphase gesehen werden, die zu Beginn der Neuzeit mit den portugiesischen Entdeckungen einsetzte und die unter verschiedenen Perspektiven, u.a. der Geschichte der Seefahrten und der Handelsgeschichte, der Expansion Portugals und der Missionsgeschichte, von besonderer Bedeutung ist.




Die Übergabe von Hongkong bedeutete eine Zäsur in einer rezenteren Kolonialgeschichte der britischer Weltherrschaft des 19. Jahrhunderts und erlangte Bedeutung vor allem im Lichte der ohnehin anglophon geprägten Postcolonial Studies. Trotz der unterschiedlichen historischen Einordnungen in lusophone und anglophone Kontexte bestehen engen kulturgeschichtliche Verbindungen zwischen Macau und Hongkong, bei denen die Musik eine bedeutende Rolle spielte. Die Portugiesen bzw. Macaenser, die im 19. Jahrhundert nach Hongkong übersiedelten, bildeten in ihren Vierteln in Kowlon Chor- und Blaskapellen und trugen zusammen mit der italienischen Mission maßgeblich zur Entstehung und Entwicklung eines westlich orientierten Musiklebens Hongkongs bei. Im Verlaufe ihrer Integration in die Gesellschaft der Kronkolonie übernahmen sie auch auch ein englisches Repertoire, das iin Großbritannien und in den vielen Teilen des britischen Imperiums aktuell war. Bei ihren Besuchen in Macau führten sie wiederrum britische Musik in den sino-lusitanischen Kontext ein. Die Entwicklungen des Musiklebens bei diesen Wechselbeziehungen zwischen Hongkong und Macau, die mit Prozessen der Integration von Portugiesen in Hongkong und der Musikrezeption vom international geprägten britischen Weltreich zusammenhingen, lassen sich aus der Perspektive einer Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts betrachten, die sich nicht auf Europa beschränkt, sondern auf weltweite Zusammenhänge achtet.

Die Analyse von Prozessen, die sich im 19. Jahrhundert in Hongkong und Macau abspielten, setzt allerdings die Berücksichtigung von Entwicklungen voraus, die zu Beginn der Neuzeit in China durch die Ankunft der Portugiesen einsetzten. Diese gründeten Handelsposten an Häfen, in deren Gemeinden Kirchenmusik sowie Gesänge und Tänze zu Festen des Kirchenjahres gepflegt wurden. Diese Niederlassungen waren zwar oft nur von kurzer Dauer, Macau aber konnte sich als Stützpunkt Portugals behaupten, als eine Schaltstelle der Beziehungen zwischen Indien, China, Japan und der malaiischen Inselwelt. In Macau entstanden Sitze der Verwaltung, des Militärs, der Handelshäuser, es wurde mit seinen vielen Kirchen zu einem geistlichen Zentrum, das bekannt war wegen der Pracht seiner Kulthandlungen und Prozessionen, bei denen die Musik unentbehrlich war. Vor allem wurde die Stadt zum Sitz der verschiedenen Orden, von dem die Missionierung noch fernerer Regionen ausging. Dort wurden die Missionare sprachlich und kulturell vorbereitet, und von Macau wurden die Missionen geleitet und ausgestattet. Im Rahmen der kirchenmusikalischen Reform des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde Macau mit seinem Seminar zu einem Zentrum der liturgisch-musikalischen Restauration, in dem musikalisch gebildete  Geistliche, u.a. von den Azoren, Generationen von Seminaristen unterrichteten. Macau kommt somit unter verschiedenen Aspekten eine zentrale Bedeutung bei Studien der Kulturprozesse im Fernen Osten zu, die durch die Präsenz und Tätigkeiten der Europäer entfacht wurden.

Seit Jahren war sich die Musikforschung, die sich mit globalen Zusammenhängen im portugiesischen Raum befasst, bewusst, dass die Übergaben von Hongkong und Macau an China wichtige Einschnitte in den Beziehungen zwischen Abendland und China darstellen, die auch musikwissenschaftlich begleitet werden sollten.

Hierfür initiierte das Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes (e.V. 1985) ein Programm von Studien, das zu Beobachtungen, Quellenforschungen und Besprechungen in Macau und Hongkong 1996 führte. Ihm sollte ein internationales Symposium in Portugal folgen, das 1998 durchgeführt wurde.

Der Besuch von Universitäten, Bibliotheken, Archiven und anderen Institutionen sowie der Gedankenaustausch mit dortigen Gelehrten in beiden Städten verfolgten das Ziel, die Situation, die Tendenzen der Forschung, der Lehre und des Kultur- und Musiklebens sowie Erwartungen und Sorgen bei dieser epochalen Wende in der Geschichte der Beziehungen zwischen Okzident und Fernost unmittelbar an Ort und Stelle kennenzulernen und zu besprechen. Darüberhinaus sollten Möglichkeiten für eine Fortsetzung oder sogar Intensivierung von Kooperationen unter den sich anbahnenden neuen Rahmenbedingungen eruiert werden.

Die Arbeiten wurden u.a. in der Biblioteca do Leal Senado sowie am Macau Inter-University Institute – seit 1996 University of Saint Joseph – und anderen Institutionen und Archiven, am Kulturinstitut, an der Zentralbibliothek, der Universität Macau und bei Dialogen mit Persönlichkeiten des Geistes- und Musiklebens wie Bischof Lam durchgeführt. Sie wurden in den Jahren davor vorbereitet mit Studien am China-Zentrum in St. Augustin bei Bonn und von Beobachtungen in von Chinesen bewohnten Stadtteilen in verschiedenen Ländern der Welt begleitet.




Aus dem Vortrag zu Musik in der Begegnung von Abendland und China von A.A.Bispo
Aus der Vorlesung von A. A. Bispo zur historischen Rolle der Musik in der Begegnung von Abendland und China

Vorausgegangenes

1996. Studien zum Stand der Forschung in Portugal. Arquivo Histórico, Biblioteca Nacional u.a. Besprechungen: A. Guimarães „Uma relação especial: Macau e as relações luso-chinesas“ (1996). Centro de Investigação e Estudos de Sociologia Lissabon

1996. Dialoge zur Lage und zu Projekten internationaler Kooperation. Interuniversitäre Institute/St.Joseph Universität. Universität von Macau. Erzdiözese, Akademie Pius X.von Macau. ISMPS. Macau

1996. Dialoge über A Abelha da China 1822-1823. Beziehungen Brasilien-Macau. ISMPS und Diözese von Macau

1996. Archivstudien im Arquivo do Senado und Besprechungen am Kulturinstitut Macaus

1996. Besprechungen: N. Barreira, Ou-Mun: Coisas e tipos de Macau (1994). Instituto Cultural de Macau

1996. Besprechungen: Graciete Batalha. Exposição. Instituto Cultural de Macau und Biblioteca Central de Macau

1996. Musikgeschichte Hongkongs, Beziehungen zu Macau und Postkolonialismus. Studien in Hongkong

1995. Studien zur Missionsgeschichte. Ein Missionar aus Köln in China. Diözesan-Bibliothek. Maternus-Haus. Köln

1995. Studien von J. F. Marques Pereira Ta-ssi-yang-kuo. Arquivos e Anais do Extremo-Oriente-Português. Bibliothek des China-Zentrums St. Augustin. ISMPS

1995. Vorbereitung der Kolloquien in Macau. ISMPS. China-Zentrum St. Augustin/Bonn

1995. Macau-Studien. Besprechungen: J. de Pina Cabral und N. Lourenço: Em terra de tufões. Dinâmicas da Etnicidade Macaense. ISMPS

1991. Bibliographische Studien: Boletim Bibliográfico de Macau. China-Zentrum St. Augustin und ISMPS

1990. Radio von Macau und Ferner Osten im II. Weltkrieg und Konzertgesellschaft von Macau. Wiederaufnahme der Studien unter neuen Perspektiven.ISMPS und Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. Köln und São Paulo

1989. Buchvorstellung und Diskussion. Grundlagen christlicher Musikkultur in der außereuropäischen Welt der Neuzeit: der Raum des früheren portugiesischen Patronatsrechts. Maria Laach

1989. Kolloquium. Musik in portugiesischsprachiger Migration. Der Mandó. Stadt Köln. 25 Jahre der portugiesischen Mission Köln

1987. Dialoge mit Studierenden aus China. Päpstliches Institut für Kirchenmusik. Rom

1987. Portugal/China 450 Anos. Exposição Bibliográfica. Kulturinstitut von Macau/Historisches Archiv und Nationalbibliothek. Seminar. Päpstliches Institut für Kirchenmusik, Rom

1986. Studienzyklus über Jonathan Spence „The Memory Palace of Matteo Ricci“. ISMPS

1985. Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes. Köln

1985. Studien in Archiven der Glaubenskongregation. Missionare der Propaganda Fide in China

1985. Musik in der portugiesischen Expansion zur Entdeckungszeit. Beziehungen zwischen Brasilien und Macau. Eröffnnung der Macau-Studien des ISMPS

1984-1985. Dialoge, Vorträge und Seminare mit Studierenden aus China. Päpstliches Institut für Kirchenmusik, Rom

1984. Matteo Ricci -„primo antropologo culturale“ und die „ökumenische Aktualität der Methode von Matteo Ricci“. Diskussion beim musikethnologischen Seminar. Pontificio Istituto di Musica sacra, Rom

1982. Archivstudien am Instituto Histórico Ultramarino und Nationalbibliothek. Lissabon

1982. 400 Jahre der Ankunft der Jesuiten und des Christentums in China. Studien von Ricci, Macerata und Roma

1977. Zusammenarbeit mit der Academia S. Pio X. de Macau. Pe. Áureo Castro u.a. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnolobische Studien. Consociatio Internationalis Musicae Sacrae

1977. Gründung des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Beginn der Zusammenarbeit mit Missionsinstituten und von Studien am China-Zentrum des Museums Volk. Maria Laach

1975. Beginn des Programms für neue Ansätze in der Kultur- und Musikforschung. Zusammenarbeit mit Robert Günther. Universität Köln

1975. Studien der Musik Chinas und Japans in der deutschen Musikethnologie. Xian Xing Hai (1905-1945). Zusammenarbeit mit Robert Günther. Universität Köln

1974. Orientierung von akademischen Arbeiten zur Musik von Chinesen in São Paulo. Fakultät für Musik des Musikinstituts von São Paulo

1972-1974. China in Lehre und Forschung der Musikethnologie an der Fakultät für Musik des Musikinstituts von São Paulo

1968. Beginn der Studien zu Kultur und Musik bei chinesischen und japanischen Migranten in São Paulo. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen/ND

1966. Francisco de Carvalho e Rego und Maria Amália de Carvalho e Rego. Rádio Clube de Macau (1941), Academia de Amadores de Teatro e Música de Macau. Arbeitsgruppe in der luso-brasilianischen Migration in São Paulo. Beginn der Bewegung zur Erneuerung von Kultur- und Musikstudien. Musikkonservatorium Carlos Gomes, Fátima-Santuário von São Paulo

Zur Entwicklung der Studien

Die Debatte, die in den 1960er Jahren über eine Neuorientierung der Kultur- und Musikstudien durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf grenzübschreitende Prozesse geführt wurde und zur Gründung des Zentrums für die Erforschung der Musikforschung 1968 in São Paulo führte, ermöglichte einen Zugang zur Auseinandersetzung mit den asiatischen Migrantengruppen in der Metropole, die bis dahin keinen Platz in den volkskundlichen Studien fanden und unter denen die chinesische stark vertreten war. São Paulo besitzt einen der größten und bedeutendsten chinesischen Stadtteile des amerikanischen Kontinents. Er wurde Ziel von Untersuchungen im Rahmen der 1972 als Hochschulfach eingeführten Musikethnologie in der Fakultät für Musik- und Kunsterziehung, die ausgerechnet in diesem Viertel ihren Sitz hatte. Dabei spielten Portugiesen, die aus Macau stammten, eine hilfreiche Rolle. Die Musikpädagogen sollten Kenntnisse gewinnen für den Unterricht von Schülern chinesischer Herkunft und sensibilisiert werden für die Kulturprozesse, die diese betrafen.

Die Studien zur Missionsgeschichte Chinas entwickelten sich ab 1975 in Zusammenarbeit mit Robert Günther an der Universität Köln und ab 1977 im Rahmen der musikethnologischen Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Sie wurden in Zusammenarbeit mit dem China-Zentrum der Steyler Missionare in Sankt Augustin bei Bonn und im Austausch mit chinesischen Studenten des Päpstlichen Institus für Kirchenmusik in Rom durchgeführt.

Mit der Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes 1985 wurden die Studien vor allem von Macau und den Gemeinden von Macaensern in anderen Regionen der Welt intensiviert. Für Studien von Kulturprozessen in weltweiten Dimensionen, die von den Portugiesen seit der Entdeckungszeit entfacht oder maßgeblich beeinflusst wurden, kommt China eine besondere Bedeutung zu, zumal bereits bei der Aufteilung von Einflusssphären der Welt zwischen Spanien und Portugal letzterem der Orient zugesprochen wurde.

Die Untersuchung der Rolle Portugals in der Geschichte der Globalisierung der Neuzeit ist somit eng verbunden mit einer geopolitischen Orientierung zum Osten hin und somit mit Fragen, die das Konzept von Orient in der Welt- und Menschensicht in Geschichte und Gegenwart betreffen. Auch wenn heute sich die größten portugiesisch sprechenden Länder in Lateinamerika und Afrika befinden, darf diese historische Orientierung zum Osten hin, die die Entwicklungen bestimmte, nicht unberücksichtigt bleiben.

Diese Beschäftigung ist somit nicht nur von historischem Interesse, auch wenn mit der Übergabe Macaus an China eine jahrhundertelange Geschichte endgültig der Vergangenheit anzugehören scheint. Damit kommen die Studien zur Rolle Portugals in globalen Zusammenhängen dem aktuellen theoretischen Interesse entgegen, das dem Begriff des Orientalismus in der Kulturforschung und der Spannung Orient/Okzident entgegengebracht wird. Darüber hinaus erlangen sie durch die Nähe und Interaktionen des portugiesischen Macau und der ehemals britischen Kronkolonie Hongkong besondere Relevanz angesichts der Aktualität der Debatte über Kolonialismus und Postkolonialismus, die vor allem in der englischsprachigen Welt geführt wird.

Zur Vorlesung

Mit einer Vorlesung an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln 1997 zum Thema „Die historische Rolle der Musik in der Begegnung zwischen Abendland und China“ sollte die außerordentliche Bedeutung Chinas für die Kulturwissenschaften auch unter musikwissenschaftlichem Aspekt zum Anlass der Übergabe von Hongkong und Macau an China ins Bewusstsein gerufen und die Ergebnisse der Studien und Gespräche in Macau und Hongkong erläutert werden.

Auseinandersetzungen mit den Beziehungen zwischen Abendland und China müssen offen für fächerübergreifende Ansätze sein. Sie können nicht aus Denken in abgegrenzten Sphären, aus einem „Schubladendenken“, geführt werden. Bei diesen Grenzüberschreitungen sind Überlegungen anzustellen über Begriffe, Perspektiven, Vorgehensweisen, Überprüfungen eigener Denkmuster und Konditionierungen. Die Auseinandersetzung erfolgt auf einer Metaebene der Selbsterforschung der Wissenschaft und erfordert vor allem auch Analysen der Denkströmungen und Verfahrensweisen, die in Netzwerken der Forschung und Institutionen tradiert sind.

Die Studien zur Begegnung von Abendland und China sind nicht ausschließlich im kultur- bzw. geisteswissenschaftlichen Sinn zu betreiben. Sie müssen von Analysen im Sinne einer science of science begleitet werden. Ein Begriff, der Überlegungen verlangt, ist bereits derjenige der Begegnung. In den verschiedenen Kontexten, die Ziel von Analysen sind, muss die Bedeutung dieses Wortes und die Vorstellungen, die sich mit ihm assozieren, aufmerksam überdacht werden: ob damit eine harmlose, freundliche Kontaktaufnahme oder eher eine Konfrontation assoziert ist.

Hinsichtlich der Begegnung von Abendland und China erweist sich der Begriff der Begegnung als besonders ambivalent und zu Irreführungen verleitend, als schillernd und schwer zu präzisieren. Er bezeichnet nicht nur Kontaktierungen bei der Begründung etwa von Handelsbeziehungen in Hafenstädten, sondern bezieht sich auch und vornehmlich auf die Intervention des Abendlandes in einem Reich, das sich verschlossen der Begegnung entzog. Das Eindringen der Europäer verlangte eine Änderung von Denkweisen und Weltsichten der Chinesen, die deren Verweigerung von Begegnungen begründeten.

Diese Änderung konnte nicht erzwungen werden. Das Anliegen, Begegnungen zu ermöglichen, erforderte Verstellungen, Kaschierung von Beweggründen und Intentionen mit der Absicht, weitgehend unbemerkt von Kaiser und Autoritäten die Zustände unterschwellig zu verändern. Die Chinesen begegneten fremden Menschen, die sich anders gaben, als sie tatsächlich waren. Ist diese von Trug bestimmte Interaktion als Begegnung zu bezeichnen?

Ein anderer Begriff, der zu Überlegungen reizt, ist der des Abendlandes. Er ist eng mit der Vorstellung vom christlichern Abendland assoziiert, mit Christenheit in iihren Spannungen zu Nicht-Christen, mit der Geschichte der Kämpfe im Mittelalter und mit dem missionarischen Impetus, der die Expansion des Christentums in der Neuzeit begleitete oder gar begründete und rechtfertigte. Da im Titel dieser Vorlesung nicht von Europa, sondern vom Abendland die Rede ist, ist der Blick nicht auf die Musik bei eher spontanen Begegnungen in Handelshäfen zu richten, sondern auf die Rolle, die die Musik gespielt hat bei Strategien der christlichen Missionierung zur Transformation von China von innen aus.


Die Notwendigkeit, selbstanalytisch Vorgehensweisen und ihrer Beweggründe und Intentionen aus der Distanz zu betrachten, wird aus der Missionsgeschichte besonders ersichtlich. Die Missionare wirkten maßgeblich bei den Strategien zur Kulturveränderung Chinas von ihren Grundlagen aus. Die missions- und kirchengeschichtliche Betrachtung dieser Aktivitäten erfolgt verständlicherweise aus der Perspektive der Kirche im Selbstbewusstsein ihres Missionsvorhabens. Die Ziele und Methoden der Missionare werden wie anderswo trotz aller Unterschiede zwischen den Missionsgesellschaften und Veränderungen von Vorgehensweisen im Verlaufe der Jahrhunderte unter kirchlicher Perspektive grundsätzlich positiv als gerechtfertigt angesehen.

Aus einer distanzierten Position erscheinen allerdings die angewendeten Strategien als befremdlich angesichts von wertorientierten Prinzipien, die im Selbstbild und -verständnis der Kirche die missionarischen Handlungen leiteten. Die Auffassung, die Strategie eines Jesuiten wie Matteo Ricci (1552-1610) als für das ökumenische Anliegen vorbildhafte missionarische Methode anzusehen, ist befremdlich. Einige Momente der Missionsgeschichte verblüffen bei näherer Überlegung. So konnte anfangs der christliche Missionar als buddhistischer Mönch verkleidet sich in China Zugang verschaffen. Nicht nur in Bekleidung, Lebensweise, Kultformen und Gesang bzw. Rezitationsformen ist nämlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen katholischen Geistlichen und einem buddhistischen Mönch gegeben. So gelang es ihm zunächst, von Chinesen als Vertreter irgendeiner der vielen Varianten des Buddhismus akzeptiert zu werden. Dabei konnte er Beobachtungen anstellen und die Sprache erlernen. Als er merkte, dass er als buddhistischer Mönch keinen Zugang zu höheren Kreisen der Gesellschaft erlangen konnte, änderte er grundlegend seine Strategie und gab sich andernorts als Gelehrter und Wissenschaftler aus.

Das Eindringen christlicher Auffassungen in die verschlossene Kaiserumgebung wurde möglich durch Lieder, die Eunuchen in die intimen kaiserlichen Räume hineintrugen. Eunuchen konnten für das Cembalo begeistert werden, das sie erlernten, wodurch sie sich Elemente des westlichen Tonsystems aneigneten. Dieses war mit vielfachen Assoziationen verbunden, u.a. mit der Zahlensymbolik der Bibel und all ihren Beziehungen zu Kosmos und Mensch. Die Missionare wurden nicht zuletzt durch die Musik zu hochangesehenen Mathematikern und Astronomen.

Diese Episoden der Missionsgeschichte sind mehr als kuriose Handlungen. Sie stellen Vorgehensweisen dar, die unter vielen Aspekten bedenklich sind. Die Befremdung gilt nicht der Neugier, dem Wissensdurst und der Sensibilität von Eunuchen, sondern dem letztlich unehrlichen Vorgehen derjenigen, die sie gewannen und unterrichteten. Wie lässt sich dieses Verhalten und überhaupt diese missionarische Methode nach dem Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel“ mit dem kirchlichen Anspruch auf Wahrheit und Lauterkeit vereinbaren?

Problematisch ist vor allem, dass die kirchliche Perspektive der missionarischen Strategien, bei denen die Musik eine wichtige Rolle spielte, von der allgemeinen Geschichtsschreibung übernommen wurde. Eine Neuorientierung von Sicht- und Verfahrensweisen erscheint diesbezüglich notwendig.

Die Anwendung der Musik bei der Herstellung von Beziehungen zu China in der Vergangenheit erfolgte vielfach durch transversale Vorgehensweisen, durch Verkleidungen und mimetische Inszenierungen, die nicht nur harmlose Darstellungen waren, sondern Mittel zum Zweck, Strategien zur Anstoßung von Prozessen der Veränderung. Allerdings gingen die Protagonisten schließlich selbst häufig in ihrer Rolle auf und erfuhren Identitätsveränderungen. 

Die Geschichte der Musik in der Begnung von Abendland und China zeigt sich aus der Distanz in manchen Aspekten als befremdlich. Eine Forschung, die adäquat vorgehen will und auf Prozesse ausgerichtet ist, muss sich mit solchen Querstrategien näher befassen. Da das Abendland diese selbst perfomte, war es Teil dieses transformativen Spiels. Die Musikforschung muss nicht nur diese transversalen Strategien beachten, sondern die Verwendung musikologischer Vorgehensweisen bei dem Anliegen, Kulturveränderungen in China herbeizuführen, unter ethischen Aspekten hinterfragen.


Museum des alten Observatoriums in Peking
Jesuiten und Gelehrten im Museum des alten Observatoriums in Peking