AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

Musik in den Religionen

Universität zu Köln
Hauptseminar – WS 2007/08



Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS

Fortsetzung eines Seminars
mit theoretischer Neuorientierung
im Rahmen der Vorbereitung auf neue Visiten von Universitäten und Forschungszentren in Australien und Neuseeland 2009



Musik in den Religionen wird vom Thema „Musik und Religion“ unterschieden. Musik in den Religionen bezieht sich auf die Feststellung, dass Musik und Musikanschauungen in den Religionen eine bedeutende, wenn nicht wesentliche Rolle spielen. Bei „Musik in den Religionen“ wird erwartet, dass sich die Betrachtung kontextgerecht den einzelnen Religionen widmen soll, auch wenn Beziehungen zu anderen Religionen, Interaktionen, Ableitungen und Wandlungen beachtet werden. Sie entspricht einer konventionellen Annäherung und Verfahrensweise der Völkerkunde, einer traditionellen Musikethnologie oder auch von Volkshochschulkursen. Die Seminarteilnehmer behandeln in diesem Sinne in Referaten die Musik in Schriften, Auffassungen, Kultpraktiken, Ritualen, Zeremonien und Traditionen, die Musikinstrumente und ihre Symbolik, Instrumental- und Vokalpraktiken, Rezitationsformeln, Gesänge von Priestern und Laien und suchen sie in einen historischen und sozio-kulturellen Gesamtzusammenhang einzufügen. Die Themen beziehen sich auf die Musik in den großen Religionen – die sogenannten Weltreligionen Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Daoismus, Sikhismus, Judentum, Bahaitum –, aber auch in den anderen Religionsformen, religiösen Gruppierungen und Praktiken.

Musik in den Religionen. Seminar von A.A.Bispo an der Universität Köln

Meistens werden in einer Einführung Herkunft, Geschichte und Allgemeines zur Kultur des betreffenden Kontextes den Erörterungen zur Musik und zu den Musikinstrumenten vorangestellt. Diese einführenden Darlegungen genügen oft nicht geschichtswissenschaftlichen Kriterien und entsprechen nicht dem Stand der kulturwissenschaftlichen Forschung. In problematischen Wechselbeziehungen werden Deutungen des untersuchten Musikkontextes, von Tänzen und Instrumenten von diesen wissenschaftlich unzureichenden Erörterungen beeinflusst, und von ihnen werden auch Schlussfolgerungen hinsichtlich Ursprung, Entwicklung, Wege der Verbreitung u.a. gezogen. Aus diesen Interaktionen können Ursprungshypothesen zu nicht weiter hinterfragten Gewissheiten werden. Als fundierte Erkenntnisse angenommenen, verbreiten sie sich mit schwerwiegenden Folgen für Wissenschaft und Praxis. Die Verfahrensweise, jeden der zahlreichen Seminarteilnehmer in einem Kurzreferat die Musik einer bestimmten Religion vorstellen zu lassen, entspricht nicht den Maßstäben, die an eine Behandlung des Themas auf Universitätsebene zu stellen sind. Sie dient nur der allgemeinen Bildung und Illustration, fördert oberflächliche Denk- und Sichtweisen und kann allenfalls in Proseminaren akzeptiert werden.

Das Verhältnis zwischen Musik und Religion im grundsätzlichen, im reflektierten religions- und kulturwissenschaftlichen Sinne stellt eine andersgeartete Orientierung dar. Auch die Auseinandersetzung mit dieser Beziehung verlangt allerdings aufmerksame Überlegungen. Sie kann in dem Sinne verstanden werden, dass sie von einer bestimmten Warte aus geführt wird, die von der Zugehörigkeit des Forschers zu einer bestimmten Religion bzw. seiner von einer Religion geprägten Kulturkonditionierung bestimmt wird. Musik und Religion war Thema einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung 1989, der ein internationales Kolloquium über Fragen christlicher Bildersprache, Mystik und synkretistischer Kultformen folgte.

Musik in den Religionen. Seminar von A.A.Bispo an der Universität Köln

2003 wurde das Thema in einer Lehrveranstaltung am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Bonn unter einem anderen Aspekt aufgegriffen, nämlich unter der Perspektiv der Religionskritik angesichts der Zunahme des Religiösen und des Fundamentalismus in der Gegenwart.

Die Intensivierung und die Expansion von Religionen, Kirchen, konfessionellen Gemeinschaften und spirituellen Bewegungen in der Gegenwart, die alle Kontinente erfassen, verweisen auf Prozesse in globalen Dimensionen, die nach Kulturanalysen rufen. Das Gesamtpanorama, das die Menschheit diesbezüglich bietet, ist in seiner Komplexität, in seinen Entwicklungen und Auswirkungen verwirrend und bedenklich. Zum einen wird von religiösen Autoritäten der Verlust des religiösen Sinnes in einer säkularisierten Gesellschaft beklagt und zu Evangelisierungen, Missionierungen und Aktionen im Dienste des Proselytismus in seinen verschiedenen Formen gerufen. Dies wird von denjenigen, die zu den jeweiligen Religionen gehören bzw. für sie gewonnen werden, positiv empfunden. Andere begrüßen  diese missionarische Aktionen zumindest wegen der sozialen und karitativen Hilfen, die die Kirchen und religiösen Gemeinschaften den Notleidenden zukommen lassen. Auf der anderen Seite sind die schwerwiegenden Folgen des Fundamentalismus und des religiösen Fanatismus unübersehbar. Dies gilt nicht nur für den Islamismus mit seinen Terrorakten. Evangelikale Gruppen beherrschen inzwischen zahlreiche Länder und beinflussen tiefgreifend Gesellschaft, Kultur und Politik, Denk- und Sichtweisen und bestimmen moralische Normen und Verhaltensweisen, wie in den USA, in Lateinamerika und Afrika. Diese Entwicklungen werden in der Achtung vor der Religionsfreiheit als hohes Gut verschwiegen, relativiert oder verharmlost. Die Sorgen und Kritiken derer werden gedämpft, die in ihnen einen unfassbaren roll back erkennen, eine Rückentwicklung, die schwer erreichten Errungenschaften der Menschen zuwiderlaufen, sie zunichte machen, anti-aufklärerisch wirken sowie Obskurantismus und Engstirnigkeit fördern, was eine Herausforderung ersten Ranges für Humanismus und Wissenschaft darstellt.

Nur eine Musikforschung, deren Blick sich auf Prozesse in globalen Zusammenhängen richtet und nach theoretisch reflektierten Ansätzen verfährt ist in der Lage, diese Vorgänge in ihrer Dynamik adäquat zu untersuchen. Die Entwicklungen und Tendenzen innerhalb der Religionen selbst, die internen reformorientierten oder traditionalistischen Bewegungen, ihre eigenen Brüche, Krisen und Veränderungen sind auch unter der Perspektive der Musikforschung zu beachten. Dies erfordert aber auch Überlegungen über eigene Ansätze, Modelle des Denkens und Zielsetzungen des Wissenschaftlers, der bei allem Respekt eine für die Analysen notwendige Distanz und Unabhängigkeit zu wahren hat.

Musik in den Religionen. Seminar von A.A.Bispo an der Universität Köln

Vorangegangenes

2007. Musik in biblischer Hermeneutik. Außerplanmäige Professur. Universität Köln

2007. Musik in antiker Mythologie und synkretistischer Ökumene. Außerplanmäige Professur. Universität Köln

2004/05. Musik in der Gnosis der Spätantike. Außerplanmäige Professur. Universität Köln

2003/04. Ästhetik und Ethik in der Musik. Seminar Universität Bonn

2003. Musik und Religion. Seminar. Universität Bonn

2002. Hymnologie, Ökumene, Musikethnologie. V. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Brasilianische Bischofskonferenz. Evangelische Kirche Brasiliens, Bundesuniversität von Rio Grande do Sul, São Paulo, Rio de Janeiro, Bonn, Köln, Missionsinstitutionen u.a.

2002. Internationaler Kongress Musik, Projekte und Perspektiven. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS

2002. 25 Jahre musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Vortrag. Maria Laach

2001. Beobachtung religiöser Kultpraktiken in Haiti

1999. Zeichensprache tradierter Spiele des Festkalenders. IV. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Maria Laach

1999. Internationaler Kongress Musik und Visionen. Deutsche Welle. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, Erzdiözese Köln u.a. Köln

1998. Abendland und Ferner Osten. Musikkultur und Geist. Internationales Symposium. Lagos, Batalha und Guimarães

1998. Kult und Tanz des hl. Gundizalvus von Amarante. Internationales Kolloquium Anthropos ludens. ISMPS, portugiesische und brasilianische Universitäten u.a. São Paulo

1996. Besprechungen und Studien in der Diözese Macau. Übergabe von Hongkong und Macau. ISMPS und Interuniversitäre Institute. Macau

1992-1994. Besprechungen in Missionsstellen, Museen und katholischen Universitäten in Zentralbrasilien und Amazonien. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland. Außen- und Kulturministerium Brasiliens. Pro-Prelatur S. Gabriel da Cachoeira, Seminar von Tefé u.a.

1993. Grundlagen der Kirchenmusik in Brasilien. III. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, Abtei São Bento, u.a. Rio de Janeiro

1990. Akademischer Akt an der Universität Urbaniana. Rom

1989. Christliche Traditionen und Synkretismus. II. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Speyer, Kiedrich, Eibingen, Maria Laach, Bonn

1989. Tagung Musik und Religion. Konrad-Adenauer-Stiftung. Schwäbisch-Gmünd

1985. VIII. Internationaler Kongress für Kirchenmusik. Rom

1984. Musikethnologisches Seminar. Vorträge. Pontificio Istituto di Musica Sacra. Rom

1983. Symposium an The Catholic Universität of America. Vortrag. Washington D.C.

1981. Einheit und Vielfalt. I. Inteernationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. São Paulo

1977, Gründung des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach

1975. Besprechungen in der Abtei Solesmes und in Paris

1973. Gregorianische Studien in Strukturlehre, Aufführungspraxis und Musikethnologie. Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo

1970. Gregorianische Studien und Erneuerung der Kultur- und Musikstudien. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen. São Paulo

1969. Akkulturation und Kirchenmusik in Forschung und Praxis. Theologicum. Internationaler Musikkurs und Musikfestival von Paraná. Curitiba


Peking. Musik in den Religionen. Seminar von A.A.Bispo. Universität Köln

Zu Fortführung eines Seminars in Köln 2007/08

Fünf Seminarsitzungen zum Thema „Musik in den Religionen“ wurden als Fortsetzung einer musikethnologischen Lehrveranstaltung an der Universität Köln gehalten. Sie fanden im Rahmen der außerplanmäßigen Professur satt, die sich mit einer prozessorientierten Musikforschung befasst, und wurden von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS getragen.

Die Besprechungen orientierten sich nach anderen Kriterien, Schwerpunkten und Ansätzen als die ihnen vorangegangenen Sitzungen. In ihnen wurden die Ergebnisse rezenter Beobachtungen sowie von Visiten von Tempeln, Moscheen und buddhistischen Klöstern in ost- und südasiatischen Ländern und in Indien besprochen. An die Gespräche, die erstmalig in der Moschee und im islamischen Ausbildungszentrum in Izmir 1986 stattfanden, wurde erinnert. Beobachtungen und Besprechungen in Tempeln in Sri Lanka, Indien, Indonesien, Malaysien und China wurden kommentiert.

Eine besondere Aufmerksamkeit wurde gerichtet auf neue religiöse bzw. spirituelle Bewegungen im außereuropäischen Raum, vor allem auf diejenigen, die Interaktionen verschiedener Konzeptionen und Kultformen offenbaren, sowie auf solche, die aus Überlegungen philosophischer, weltanschaulicher und mystischer Natur entstanden sind und Systeme entwickelten, die universell bzw. kosmisch, gleichsam theosophisch, geprägt sind. Unter diesem Aspekt wurde u.a. der „Tempel der Wahrheit“ in Pattaya, Thailand, berücksichtigt.

Die Referate, die thematisch bereits vergeben waren, wurden nach den bei diesen Visiten konstatierten Situationen und aktuellen Tendenzen kommentiert. Dabei wurde auf das Desiderat hingewiesen, die Arbeiten hinsichtlich ihrer theoretischen Ansätze zur Neuorientierung der Kulturwissenschaft zu überprüfen und zu überarbeiten.

Peking. Musik in den Religionen. Seminar von A.A.Bispo. Universität Köln