AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

Musik in biblischer Hermeneutik

Universität zu Köln
Proseminar – SS 2007

Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS


Miquel Barcelò (*1957) - 50 Jahre. Überlegungen zum Entwurf der Kapelle des Allerheiligsten der Kathedrale von Mallorca


Parallelveranstaltung zur
Vorlesung Musik in antiker Mythologie und synkretistischer Ökumene


Wie beschränkt, blind und gefährlich ist es, biblische Schriften wie ein Telefonbuch wortwörtlich zu lesen! Verstehen des Sinnes von dem, was gelesen, gesehen, gehört, wahrgenommen wird, ist ein Anliegen, das allerdings nicht nur das Hören von Reden und das Lesen von Texten betrifft, sondern Bilder, Musik, Tanz, Architektur, überhaupt alles, was „gelesen“ wird. Dasjenige, dessen Sinn verstanden werden soll, ist Sinnträger bzw. wird als Sinnträger aufgefasst. Wenn es einen Sinn trägt, dann gibt es einen Sinngeber, einen Mensch der Sprecher, Autor, Zeichner, Musiker, Choreograph, Architekt ist, der etwas vor hat, etwas von sich gibt, sich ausdrückt, darlegt, erläutert, erklärt. Der Sinnträger ist dabei ein Mittel, ein Instrument, ein Medium. So gesehen lässt sich Verstehen nicht ganz von Erklären trennen, als ob – wie verbreitet angenommen wird – das Verstehen den Geistes- bzw. Kulturwissenschaften, das Erklären den Naturwissenschaften eigen sei.

Wenn der Sinn verstanden wird, ist er auch geklärt und kann erklärt werden. Die Suche, Sinn zu verstehen ist die Suche nach Erklärung und Klärung. Wenn er verstanden ist, kann er erläutert werden, klärt er auf. Hermeneutik ist aufklärerisch. Sie wirkt aber nur als Aufklärung, wenn sie nicht ein Trugbild ist, wenn sie nicht eine Projektion von Sinn, ein Ergebnis subjektiver Deutungen ist. Dann klärt sie nicht auf, sondern verdunkelt und entstellt das, was gemeint ist. Sie wirkt nicht aufklärerisch, sondern obskurantistisch.

Dieses Risiko besteht, wenn die Rede nur dem Wortlaut nach vernommen wird, der Text nur wortwörtlich gelesen wird, Bilder nur nach ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Oberfläche betrachtet, wenn sie nicht als Zeichenhaftes gesehen werden. Das, was Bedeutungsträger ist und verstanden werden soll, hat einen Zeichencharakter, weist auf etwas anderes hin, das es selbst nicht ist. Und hier wird die Aktualität und Bedeutung einer aufmerksamen Auseinandersetzung mit Hermeneutik ersichtlich.

Die Reduzierung auf das Wortwörtliche ist eine der gravierendsten Fehlentwicklungen – wenn nicht überhaupt das zentrale Kulturproblem – der Gegenwart, da sie zu einer Gefahr für alle Bemühungen um Aufklärung und einer reflektierten, wissenschaftlichen und sensibel differenzierten Welt- und Menschensicht von Jahrhunderten wird. Die Ausbreitung von Religionsströmungen, Kirchen und Sekten, die die biblischen Schriften wortwörtlich auslegen, die sie lesen wie etwa ein Kochbuch gelesen wird, ist mit ihrer - unzutreffend als fundamentalistisch bezeichneten - Kurzsichtigkeit und ihrer willkürlichen und irreführenden Exegese ein finsterer Schatten in der Geschichte, unheilvoll für Mensch und Natur, bedrohlich für die Zukunft. Die wortwörtliche Auslegung der Schriften ist eine Herausforderung und ein Problem, das in allen Wissens- und Forschungsbereichen thematisiert, kritisch behandelt und bekämpft werden sollte.

Den Sinn eines Textes kann nur verstanden werden, wenn der Leser die Sprache kennt, in der er verfasst ist. Ähnliches gilt für das Lesen der Bildersprache und von allem Zeichenhaften. Die Erforschung von diesen Voraussetzungen und die Analyse des Prozesses der Aneignung der Sprache für das Verstehen von Texten – auch im weiten Sinne der Zeichensprache und allgemein der Kultur als Text – sollte Aufgabe wissenschaftlicher Bemühungen sein, auch die der Musikwissenschaft.

Kathedral von Mallorca. Foto A.A.Bispo

Musik und Musikinstrumente werden in den biblischen Schriften erwähnt und wurden über die Jahrhunderte Gegenstand von Auslegungen, die wichtige Kernbereiche theologischer Auffassungen betreffen. Es braucht nur an den instrumentenspielenden König David, an das Hohelied Salomons oder an das Magnificat Mariens gedacht zu werden. Das Canticum Novum, gar Christus als Cantor, der in der Kirche singt, gehören zu den Aussagen, die das christliche Verständnis von Mensch, Schöpfung und Erlösung betreffen. Sie sind eindeutig als bildhaft zu verstehen. Diese Bezogenheit von Musik auf zentrale Gestalten und Glaubensinhalte biblischer Schrifttradition und gar auf den Logos als Sänger führten zwingend zur Erkenntnis einer grundsätzlichen Bedeutung musikalischer Vorstellungen auch für andere Gestalten, Ereignisse und Entwicklungen, die nicht ausdrücklich mit Singen, Musizieren und Musikinstrumenten in Verbindung gebracht werden. Dazu zählen die Auffassung von Engeln als singende bzw. musizierende geistige Wesen. In höchster Instanz ist Der, der das Wort spricht, der Sprechende oder Singende; Musiker ist auch der, der den Text aufschreibt, und so wurde Moses gar terminologisch mit Musik assoziiert.

Traktate und Darstellungen des Mittelalters bezeugen, dass Musik und Musikinstrumente durch eine hermeneutische Lektüre der biblischen Schriften in ihrem Sinn verstanden und erläutert wurden und wiederum Musikauffassungen die Auslegung der Schriften prägten. Die Erfindung der Musik, die Jubal und Tubal-Kain in biblischer Überlieferung, in griechischer Tradition Pythagoras in der Schmiede zugeschrieben wurde, der die Gesetzmäßigkeiten der Ordnung der Töne beim Vernehmen der Schläge eines Schmiedes wahrnahm, verweist darauf, dass selbst musiktheoretische Auffassungen als den Schriften zugrundeliegend erkannt wurden. Entsprechendes gilt für Erläuterungen über die Wirkung der Musik, ihre Einteilung oder Musikinstrumente. Wie die Beziehung Jubal/Tubal und Pythagoras verdeutlicht, wurden antike, nicht-biblische Gestalten und Mythen in den ersten Zeiten des Christentums in ihrem Sinn verchristlicht, als Zeichen von Altem, das zu Neuem wird. In der Bildersprache von Spielen des Jahreskreises des kirchlichen Festkalenders wurde über die Jahrhunderte dieses Zeichenrepertoire lebendig gehalten und bei der Expansion Europas in der Entdeckungszeit in außereuropäische Länder getragen.

Die biblische Hermeneutik des Mittelalters ist zwar vor allem durch die Reformation zurückgedrängt und heute auch bei der katholischen Exegese weitgehend in Vergessenheit geraten. Sie ist jedoch Voraussetzung, um viele der für die Musik relevanten Aussagen mittelalterlicher Autoren nachzuvollziehen und die Bildersprache insgesamt angemessen zu lesen. Auch ist sie Vorbedingung für das Verstehen der Zeichensprache tradierter Spiele mit Musik und Tanz christlicher Tradition und somit von grundlegender Bedeutung für die Musikanthropologie und -ethnologie.

Kathedral von Mallorca. Foto A.A.Bispo

Auffassungen von Musik, Musikinstrumenten und Musikpraktiken, die aus biblischer Hermeneutik stammten, bestimmten Entwicklungen über die Jahrhunderte und bilden konzeptionelle Voraussetzungen für Sichtweisen, die noch in der Gegenwart Gültigkeit bewahren. Nur durch die Berücksichtigung dieser bildersprachlichen Grundlagen können beispielsweise Ersetzungen von völlig verschiedenen Musikinstrumenten in Prozessen der Kulturveränderung verstanden werden, seien sie spontan bei Kontakten, seien sie geleitet z.B. bei Missionierungen vermittelt worden. In diesem Sinne kommt das Studium der Hermeneutik Ansätzen entgegen, die das Visuelle in den Kulturwissenschaft in den Fokus rücken.

Der Begriff Hermeneutik ist allerdings in der Musikforschung belastet, da er an die früheren Zeiten der Musikhistoriographie erinnert, als selbst herausragende Gestalten des Faches bei Werkbetrachtungen, u.a. in Konzertführern, aber selbst in Studien mit wissenschaftlichem Anspruch, Musikwerke literarisch mit poetisierend oder malerisch gefärbten Deutungen versahen sowie imaginierte Beweggründe von Komponisten oder deren Aussageabsichten erläuterten. Trotz dieser Vorbelastung des Begriffs besteht die Notwendigkeit einer vorurteilsfreien Öffnung der Musikforschung für Ansätze in der theoretischen Diskussion und in der Kulturanalyse hervorzuheben, die für eine visuelle und interpretative Neuorientierung des kulturwissenschaftlichen Denkes sprechen (iconic and interpretative turns). Die Untersuchung des meist unbewusst über die Jahrhunderte weiterlebenden Zeichenhaften ist zu verstehen als eine Analyse im Dienste des Erkennens von Zugrundeliegendem – von Gestalten, Fakten, Handlungen und Prozessen – und keinesfalls als eine willkürliche Interpretation oder Zuschreibung, von subjetiven und poetisierenden Hineindeutungen.


Kathedral von Mallorca. Foto A.A.Bispo

Zur Entwicklung der Studien

Die Befassung mit der Hermeneutik prägte das philosophische Denken über die Jahrhunderte und verbindet sich besonders mit herausragenden Denkergestalten des 19. und 20. Jahrhunderts. In Fachbereichen, die sich mit Kulturfragen beschäftigen, gewann sie in katholischen Kreisen aktuelle Relevanz und Brisanz seit den 1960er Jahren. Die Reformen, die vom 2. Vatikanischen Konzil angeregt wurden, förderten Überlegungen und Debatten zu derer Verwirklichung in der Praxis, die von Bedeutung für die Neuorientierung nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Volkskunde und Musikforschung wurden. Die Verwendung von Elementen tradierter Volksmusik in einer zu schaffenden Kultmusik, die eine aktiven Teilnahme der Gläubigen fördern sollte, führte vielfach in gut gemeinter, aber oberflächlicher Weise zur Anwendung von Motiven, melodischen Mustern und Rhythmen im Musikschaffen, die aus verschiedenen zeit-räumlichen Kontexten abstrahiert wurden. Sie gehörten meist tradierten Spielen mit Darstellungen kirchlicher Feste an, deren Bildersprache und damit deren Sinn nicht beachtet wurden. Damit wurden sie dekontextualisiert in einer Musiksprache verwertet, die nur Sinn aus nationalistischer Perspektive gewann.

Aufmerksame Theologen, Musik- und Kulturforscher erkannten diese Problematik und die Notwendigkeit, die tradierten Festpraktiken, deren Sinn vielfach selbst von Theologen nicht mehr verstanden wurde, zu untersuchen. In interdisziplinären Gesprächen, wie die, die beim Theologicum in Curitiba, Paraná 1967 geführt wurden, wurde das Problem des Verstehens der Bildersprache dieser Repräsentationen besprochen. Bei diesen Analysen traten Deutungen der biblischen Schriften zutage, die auf das Mittelalter zurückgehen. Diese Studien beeinflussten maßgeblich die Deutung von tradierten Spielen mit Musik in der Volkskunde sowie die Debatte um eine Neuorientierung des Fachbereiches. Sie kamen anderen Bemühungen zur Erneuerung von Ansichten und Verfahrensweisen entgegen, die zu einer Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse führten. Im 1968 gegründete Zentrum für musikwissenschaftliche Studien (Nova Difusão, ND) wurde in Kolloquien und Vorträgen diskutiert, dass ein hermeneutischer Ansatz auch bei Prozesshaftem beachtet werden sollten. Die Suche nach Verstehen des Sinns von Zeichen sollte auch für den Sinn von Prozessen betrieben werden, die sich in Handlungen z.B. bei Inszenierungen in tradierten Spielen als diesen innewohnend manifestieren. Diese Diskussion erlangte besondere Bedeutung im Rahmen der 1972 eingeführten Musikethnologie auf Hochschulebene in São Paulo.

Im internationalen Rahmen wird als Ausgangspunkt für Überlegungen und Studien der Probleme, die die Reform der Kirchenmusik aufwarf, in nicht ganz zutreffender Weise ein in Rom 1976 veranstaltetes Symposium angesehen. Wie bei den vorhergehenden Studien in Lateinamerik, wurde die Diskussion durch konträre Sichtweisen und Ansätze belastet, die auch hier aus dem Unvermögen, die Zeichensprache tradierter Darstellungen nach deren Sinn zu verstehen, resultierte. Auch hier, nun dazu in anderen, afrikanischen oder asiatischen Kontexten, wurden willkürlich äußere Elemente gleichsam wortwörtlich aus dem Zusammenhang genommen und somit dekonstextualisiert in einer Musiksprache verwendet, die nur den Kriterien einer regionalistischen, völkischen oder nationalistischen Ästhetik genügen würde.

Fragen einer nach ihren Ansätzen und Methoden reflektierten Hermeneutik bei der empirischen Untersuchung tradierter Zeichensprache wurden in den folgenden Jahrzehnten vielfach in Tagungen erörtert. Die Hermeneutik war grundlegend für das Konzept und die Realisierung des internationalen Symposiums Kirchenmusik und brasilianische Kultur 1981 in São Paulo. Die Bemühung um eine wissenschaftlich reflektierte Lektüre der Zeichensprache prägte die kulturanalytische Arbeit des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes, das 1985 gegründet wurde. Sie bestimmte auch thematisch das Thema Musik und Visionen eines internationalen Kongresses, der 1999 ein Triennium wissenschaftlicher Studien und Tagungen zum 500-Jahr-Gedenken der Entdeckung Brasiliens in Köln eröffnete.

Vorangegangenes

2005. Musik in der Gnosis der Spätantike. Seminar. Universität Köln 2005

2004/05. Musik im Denken der Antike und Interkulturelle Philosophie. Seminar. Universität Köln

2004. Ästhetik und Ethik in der Musik. Seminar. Universität Bonn

2003. Rom. Exkursion des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Bonn

2002. Musik und Symbolik. Seminar. Universität Bonn

2002. Musik und Religion. Seminar. Universität Bonn

1999. Internationaler Kongress Musik und Visionen. Deutsche Welle, Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, deutsche, brasilianische und portugiesische Universitäten und Kulturinstitutionen. Köln

1999. Bildersprache tradierter Spiele des Festkalenders. Zahlensymbolik in der Bibel. II. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Maria Laach

1998. Anthropos ludens. Internationales Kolloquium. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. São Paulo

1995. Tagung und Generalversammlung der CIMS. Abtei Montecassino

1992. II. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Grundlagen der Musikkultur Brasiliens. Rio de Janeiro

1992. III.Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Sitzung in der Abtei São Bento. Rio de Janeiro

1991. Akademische Sitzung an der Universität Urbaniana, Rom

1989. Internationales Symposium zu Christliche Traditionen und Synkretismus. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach, Bonn

1989. Tagung Musik und Religion der Konrad-Adenauer Stiftung. Schwäbisch-Gmünd

1989. Vorstellung der Publikation „Grundlagen christlicher Musikkultur in der außereuropäischen Welt der Neuzeit“. Maria Laach

1985. VIII. Internationaler Kongress für Kirchenmusik. Christus in Ecclesia Cantat. Rom 1985

1985. Intrinsische christliche Anthropologie in Volkstraditionen Lateinamerikas. Symposium der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel

1984. Musikethnologisches Symposium. Pontificio Istituto di Musica Sacra. Rom

1981. I. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianischer Kultur. São Paulo

1981. Treffen an der Katholischen Universität Petrópolis. Petrópolis

1977. Gründung der musikethnologischen Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Köln/Maria Laach

1975. Ikonographische Themen in der Malerei. Kunsthistorisches Institut der Universität Köln. Diözesan Museum Köln


Zum Seminar „Musik in biblischer Hermeneutik“ in Köln 2007

2007 wurde das Hauptseminar „Musik in biblischer Hermeneutik“ an der Universität Köln durchgeführt. Es fand im Rahmen der außerplanmäßigen Professur, die theoretische Fragen zu kulturanayltischer Musikforschung und musikologischer Kuturanalyse behandelt, statt und wurde von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft /ISMPS initiiert und getragen.

Das Seminar hatte als allgemeines Ziel, die Problematik der Hermeneutik in der Musikwissenschaft in ihren vielen Aspekten zu besprechen und die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung mit hermeneutischen Ansätzen bei der Lektüre von Texten, sei es in Schrift, Bildersprache oder allgemein in „Kultur als Text“ ins Bewusstsein zu rufen. Mit diesem Anliegen hatte das Seminar eine theoretische Ausrichtung, und es sollte sich Fragen des Verstehens im Sinne bedeutungsorientierter Ansätze einer kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung widmen. Dabei sollten zwar die kritischen Positionierungen zur Hermeneutik beachtet, zugleich aber ihre Relevanz und Potentialität in der theoretischen Diskussion der Gegenwart hervorgehoben werden.

Die Diskussionen im Rahmen dieses Seminars sollten letztlich zu einer Sensibilisierung dafür beitragen, dass nicht so sehr der hermeneutische Ansatz, sonder eher die Lektüre nach Buchstaben, das wortwörtliche Verständnis von Texten, das eigentlich Problematische, für den Erkenntnisgewinn Einengende und folgenschwer ist.

Zunächst sollten die Studierenden erkennen lernen, was Hermeneutik nicht sein soll. Als Beispiele von willkürlichen Interpretationen und Zuschreibungen wurden beim Seminar einleitend einige Texte renommierter Musikgelehrter des 19. und 20. Jahrhunderts vorgestellt, die – auch wenn sie nicht ohne literarische Qualitäten sind – nicht als aktuell wissenschaftlich vertretbare Analysen und Darstellungsweisen gelten können. Die Besprechung dieser Texte sollte die Sensibilität dafür schärfen, auch in Abhandlungen aus dem Bereich der Musikethnologie und allen voran der Popularmusikforschung Aussagen zu erkennen, die willkürliche Deutungen aufweisen.

Es wurde beim Seminar hervorgehoben, dass bei der Auseinandersetzung mit der Hermeneutik nach theoretischen Ansätzen zu Neuorientierungen der Kulturwissenschaften nicht im theologischen bzw. kirchlichen Sinn vorzugehen ist. Es geht nicht darum, die Schriften zu deuten, sondern um zu verstehen, wie Texten und der Bildersprache tradierter Praktiken Verständnisse eines verborgenen Sinnes der Schrifttradition zugrundeliegen. Es handelt sich um Verstehen des Verstehens.

In diesem Seminar sollten einige Aspekte dieser auf den sog. verborgenen Sinn des biblischen Textes ausgerichteten Art des Lesens ausgewählt und anhand von Traktaten aus dem Mittelalter sowie Beispielen der Bildersprache von tradierten Spielen des Jahreszyklus behandelt werden. Bei der Betrachtung dieser Texte und visuellen Darstellungen sollte ersichtlich werden, dass Musik bzw. Musikauffassungen auch dort wahrgenommen wurden, wo sie nicht in den Schriften explizit erwähnt und deshalb bei einer oberflächlichen Lektüre nach dem Wortlaut nicht konstatiert werden. Auch hier galt es, dass es nicht um Deutung der Schriften, sondern um Verstehen des Gedeuteten und Verstandenen ging.


Einführende Besprechungen nach Texten des Seminarleiters


Bispo, A.A.."Hermenêutica da urbe" in "Urbanismo, Música e os Fundamentos da Expressão e Comunicações Humanas" (1969). Brasil-Europa & Musicologia. Köln: ABE/ISMPS 1999, 57-74

---------------. "Anmerkungen zur Bedeutungsforschung pastoraler Volkstradition". Beiträge über christliche Volkstraditionen und synkretistische Erscheinungsformen religiöser Überlieferungen in Brasilien". Musices Aptatio/Liber Annuarius/Jahrbuch 1989/1990. Rom/Köln 1996

-------------.Christliche Musikanthropologie: eine Einführung. Musices Aptatio/Liber Annuarius 1992/93. Rom: CIMS 1999

------------. "Musik bei der Umformung von Mentalitäten nach den Normen des Anti-Typischen. Resignifikation tradierter Kulturpraktiken als Querstrategie der Veränderung". Kongreßbericht "Musik, Projekte und Perspektiven". Köln: ABE/ISMPS 2003, 261-266



Besprochene Literatur


Balthasar, H. U. von, Verbum Caro, Einsiedeln 1960

---------------. "Exegese und Dogmatik". Communio 5/4 (1976), 385-392

Berger, K... Hermeneutik des Neuen Testaments. Tübingen/Basel 1999

Biehl, P.. "Symbole geben zu verstehen. Zur praktisch-theologischen Bedeutung der Symbolhermeneutik Paul Ricoeurs". D. Zilleßen (Hg.), Praktisch-theologische Hermeneutik. Ansätze, Anregungen, Aufgaben. Rheinbach-Merzbach 1991, 141-160

Dilthey, W. "Die Entstehung der Hermeneutik (1900)". W. Dilthey, Gesammelte Schriften V. Stuttgart-Göttingen 1957, 317-338

Gadamer, H-G. Wahrheit und Methode, Gesammelte Werke 1, 6.Aufl. Tübingen 1990

--------------- u. Boehm, G. (Hg.). Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1978 (Taschenbuch Wissenschaft 238)

Geertz, C.. "The Interpretation of Cultures. New York: Basic Books 1973

---------------. "Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur". C. Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme., Frankfurt a.M. 1983, 7-43

Kramer, L. Musical Meaning: Toward a Critical History. University of California Press, 2001

Günter, F.. Der Sinn des Verstehens. Stuttgart 1996

Habermas, J. Hermeneutik und Ideologiekritik. Frankfurt a.M. 1971

Jeanrond, W.G..Text und Interpretation als Kategorien Theologischen Denkens. Tübingen: Mohr, 1986 (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 23)

Joneleit-Oesch, S./M. Neubert (Hgg.). Interkulturelle Hermeneutik und lectura popular. Neuere Konzepte in Theorie und Praxis. Frankfurt a.M. 2002

Kurt, R.. Hermeneutik. Eine sozialwissenschaftliche Einführung, Stuttgart 2004

Odo, M.. "Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist". Odo Marquard, Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien. Stuttgart 1981, 117-146

Rorty, R.. "Von der Erkenntnistheorie zur Hermeneutik". R. Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1997, 343-427 (Taschenbuch Wissenschaft 686)

Scholtz, G. "Bedeutsamkeit. Zur Entstehungeschichte eines Grundbegriffs der hermeneutischen Philosophie"". Zwischen Wissenschaftsanspruch und Orientierungsbedürfnis. Zur Grundlage und Wandel der Geisteswissenschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991 (Taschenbuch Wissenschaft 966), 201-227
------------.Ethik und Hermeneutik. Schleiermachers Grundlegung der Geisteswissenschaften. Frankfurt a.M. 1995

Scholz, O.R.. "Verstehen und Rationalität. Untersuchungen zu den Grundlagen von Hermeneutik und Sprachphilosophie, 2.Aufl. Frankfurt a.M. 2001

Staiger, E.. "Die Kunst der Interpretation" in Die Kunst der Interpretation. Studien zur deutschen Literaturgeschichte. München: dtv 1971 (Zürich: Atlantis 1955), 7-27

Tepe, P.. Kognitive Hermeneutik. Textinterpretation ist als Erfahrungswissenschaft möglich. Würzburg 2007.

Werner, A.. Hermeneutica Generalis. Zur Konzeption und Entwicklung der allgemeinen Verstehenslehre im 17. und 18. Jahrhundert, Stuttgart 1993


Herausragende Seminararbeiten


Ingrid Adams. „Tochter Zion, freue dich“. Zur Rezeption des Zionsbegriffes im geistlichen vokalen Werk des 16.-19. Jahrhunderts

Jana Kaiser. Das Hohelied der Liebe als Beispiel für einen christlichen Hochzeitsbrauch im Vergleich zu jüdischen Hochzeitsbräuchen