AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

MUSIK IN DER BEGEGNUNG DER KULTUREN

Universität zu Köln
Vorlesungsreihe WS 1997/98-SS 2000


PD Dr. Antonio Alexandre Bispo


Außerplanmäßige Professur
gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie
von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS



Einführende Vorlesung - Köln WS 1997/98

I: 15. und 16. Jahrhundert - Köln SS 1998

II: 17. und 18. Jahrhundert - Köln WS 1998/99

III: 19. Jahrhundert - Köln SS 1999

IV: 20. Jahrhundert - Köln WS 1999/2000

V: Antike und Mittelalter - Köln SS 2000



Zu Beginn der Expansion Europas in der Entdeckungszeit ertönte Musik auf beiden Seiten der Begegnungen, die sich in Afrika, Asien und Amerika vollzogen. Die Musik diente der Vorstellung, der Repräsentation, der Begrüßung, der Attraktion, der Freude, aber auch der Beeindruckung, der Einschüchterung, der Aufschreckung, der Ermunterung zum Angriff. Sie ertönte bei freundlichen Empfängen, zur Erhöhung von feierlichen Akten, bei Kriegshandlungen auf See und Land, bei Landnahme und Festsetzungen, bei Aufzügen, Bildung neuer Gemeinden, bei Erziehung und religiöser Umerziehung. Sie ertönte bei fröhlichen gemeinsamen Tänzen, aber auch bei Begräbnissen, sie wurde zum Zeichen von Siegen und Niederlagen.

Ihre Bedeutung wurde von kirchlichen und weltlichen Autoritäten anerkannt. Die Europäer brachten als Geschenke zur Attraktion und Gewinnung der angetroffenen Menschen Rasseln und Glöckchen mit, die sie sogar in großen Mengen in Zentren ihrer handwerklichen Anfertigung in Europa besorgen mussten. Es wurden Gesangbücher und Orgeln für die Kulthandlungen auf den Fahrten für die Matrosen und für die Messen auf dem Land sowie für die Kapellen in Festungen und Ansiedlungen mitgenommen.

Da die Auswirkung glanzvoller musikalisch gestalteter Messfeiern auf die fremden Völker festgestellt wurde, wurden ihre Fürsten und Häuptlinge mit kirchlicher Vokal- und Instrumentalmusik beeindruckt, um sie – und mit ihnen ihre Untertanen – zu gewinnen und taufen zu lassen. Die Taufe wurden dementsprechend besonders eindrucksvoll mit Musik gestaltet. Trompeten, Posaunen und andere Militärinstrumente sowie Trommeln wurden auf den Schiffen mitgeführt und dienten als Signalinstrumente, zur Überhöhung offizieller und militärischer Akte sowie zur Regelung des Militärlebens in den Festungen und bei Kriegshandlungen.

Die Matrosen selbst nahmen Volksinstrumente aus ihren Heimatregionen mit, ländliche Sackpfeifen, Flöten, Saiteninstrumente, Schellentrommeln für die Unterhaltung auf See und für die Festpraktiken, Tänze, Spiele und Aufzüge, die zu den religiösen Feiertagen an Bord oder am Lande veranstaltet wurden. Die Einheimischen wurden konfrontiert mit Instrumenten, mit einer Musik, mit Zeremonien und Spielen, die sie nicht kannten und die sie wegen ihrer Fremdartigkeit bestaunten. Sie wurden nicht nur durch den imponierenden und angsteinflössenden Klang von Militärinstrumenten bei prachtvollen Einzügen und Kriegshandlungen eingeschüchtert. Sie wurden in Friedenszeiten in das fröhliche Treiben einbezogen, nahmen an Reigen teil, gingen in Aufzügen mit und wurden durch diese aktive Teilnahme in die ihnen fremde Welt eingeführt, assimilierten ihre Darstellungsweisen und damit unbewusst auch ihren zugrundeliegenden Sinngehalt.

Auch die Europäer wurden nicht nur durch die kriegerischen Instrumente und das Geschrei sowie vom Anblick ihnen fremder, zuweilen abschreckender Aufmachungen und Gesten bei Tänzen und Spielen eingeschüchtert. Auch die Europäer nahmen zuweilen Teil am einheimischen Festtreiben oder übernahmen zumindest Instrumente und andere Elemente der fremden Praktiken, um sie uminterpretierend als Attribute in ihre eigenen Bräuche zu integrieren. Unter allen Aspekten entstanden Interaktionen, die Veränderungsprozesse verursachten.



Die Betrachtung der Musik bei den Begegnungen der Europäer mit den Menschen des subäquatorialen Afrika, Amerika und Asien sollte sich nicht nur auf die ersten Kontakte zur Entdeckungszeit beschränken. Es müssen auch die dadurch verursachten Entwicklungen in ihrer Prozesshaftigkeit analysiert werden. Die Ankommenden trafen nicht auf statische Zustände, sondern auf Staaten und Gruppen, die  unterschiedliche interne und externe Spannungen und Entwicklungen durchlebten. Sie intervenierten in bereits in Gang befindliche Prozesse oder veranlassten neue. Kriege zwischen Staaten und Gruppen führten zu Gefangennahmen und Versklavungen. Vielfach wird dabei vergessen, dass bereits europäisch beeinflusste Afrikaner, die durch den Kontakt mit den Europäern und den vom religiösen Eifer erfüllten Missionaren kulturell geprägt und christianisiert waren, als Sklaven in andere Regionen oder Kontinente verfrachtet wurden. Sie nahmen nicht nur ihre angestammten Traditionen, Instrumente und Musik, sondern auch assimilierte und adaptierte Musik und Tänze des eingeführten Festkalenders der Europäer mit.

Die Vielfalt und Komplexität der Interaktionen von Prozessen in weltweiten Dimensionen verlangt nach Fokussierung auf bestimmte Kontexte. Es entstanden im Verlauf des 16. Jahrhunderts Zentren europäisch geprägten Musiklebens in Faktoreien, Festungen, Klöstern und Kirchen in Indien, Afrika und Amerika. Neue Musikentwicklungen in Europa wurden nach den vorhandenen Möglichkeiten rezepiert und Kinder – auch einheimische – wurden in Missionsschulen unterrichtet, wobei auch Gesang und Instrumentalspiel eine bedeutende Rolle spielten. Weltliche Autorität und auch kirchliche Würdenträger wurden zwischen den Weltteilen versetzt und brachten Auffassungen zur Rolle der Musik mit sich, die sie in anderen Regionen gewonnen hatten.

Vor allem die Musik bei der Erziehung von Kindern von Fürsten und Häuptlingen sowie von Waisenkindern für den kirchlichen Dienst verdient eine besondere Aufmerksamkeit, da sie der Formung neuer christlicher Generationen diente. Diese Erziehung erfolgte nach Kriterien des Weltklerus und der verschiedenen Missionsgesellschaften, die wiederum aus verschiedenen Kontexten der Geschichte Europas entstammten. Die eigene Kultur der Ordenshäuser und die Stellung der Musik darin bedingten die Erziehungsmethoden und die Musikpraxis in den jeweiligen Missionen. Es entstanden in den verschiedenen Teilen der Welt franziskanisch, dominikanisch, benediktinisch, jesuitisch u.a. geprägte Zentren, religiöse Praktiken, Verehrungsformen und Musiktraditionen. Die Jesuiten, die eine neue Strömung des geistlichen Lebens in Europa repräsentierten und der Musik primär keinen besonderen Stellenwert beimaßen – sie wurden vom Stundenchorgebet im Tagesablauf befreit – mussten sogar angesichts der von ihnen festgestellten Bedeutung der Musik in der Praxis ihre eigenen Normen verändern. Nach dem bedenklichen Prinzip „Der Zweck heiligt die Mittel“ wurden sie zu Förderern von Praktiken mit Musik, Tänzen, Aufzügen und Inszenierungen im Dienste der Katechese und prägten damit grundlegend die entstehenden neuen christlichen Gemeinden, vor allem in Lateinamerika.


Die Betrachtung dieser komplexen Entwicklungen verlangt nach Referenzen im Weltgeschehen und nach zeitlichen Einteilungen von Verläufen, um sie zu erfassen und einzuordnen. Dieses Anliegen betrifft die Problematik der Periodisierung in der Geschichtswissenschaft. Sowohl die Unterscheidung von Phasen als auch von Jahrhunderten kann nur als Hilfsmittel und für pragmatische Zwecke gelten. Wegen der Bedeutung der Musik bei der geleiteten Einwirkung der Europäer bei der Erziehung neuer Generationen im außereuropäischen Bereich kommt der Änderung der Kirchenpolitik hinsichtlich der Weltmission durch die Errichtung der Propaganda Fide 1622 eine besondere Bedeutung zu. Die Gründung dieser Kongregation stellte keinesfalls den Beginn der Expansion des europäischen Christentums in die außereuropäische Welt  dar, die schon seit mehr als einem Jahrhundert unter dem Patronatsrecht Portugals und Spaniens verlief, sondern war der Versuch der römischen Zentralisierung der Missionstätigkeit. Mit ihr verbanden sich andere Orientierungen und Auffassungen, auch hinsichtlich der Musik in den Kirchen und den Missionen außerhalb Europas. 1622 kann in diesem Sinn als ein Markstein angesehen werden, der hilfsweise und symbolisch eine Epoche abschließt und eine neue einleitet.

Seit Jahrzehnten richtete sich die Aufmerksamkeit der Forschung von Kultur- und Musikprozessen in globalen Zusammenhängen auf den Beginn der Neuzeit, da hier durch die Veröffentlichung von Dokumenten der Zeit – besonders portugiesischer Quellen – sowie durch die monumentale Leistung von Gelehrten der Gesellschaft Jesu, die die Korrespondenz der Jesuiten publizierten, ein umfangreiches Quellenmaterial zur Verfügung steht.

Das Studium und die quellenkritische Auseinandersetzung mit diesen dokumentarischen Zeugnissen der Zeit stellen die Grundlage für Studien in den verschiedenen Kontexten dar. Die Erwähnung von Musik, Musikerziehung, Vokal- und Instrumentalmusik und Festpraktiken des Kirchenjahres in dieser Korrespondenz der Missionare sind ein wichtiges historisches Quellenmaterial für die Erforschung von Traditionen, die bis heute bei allen Abwandlungen und Anpassungen in vielen außereuropäischen Ländern weiterbestehen und von der empirischen Forschung – Volkskunde, Ethnologie, Sozial- und Kulturanthropologie – untersucht werden. Diese Erwähnungen sind keineswegs entwertend im Sinne der Vorgeschichte einer Musikethnologie, wie sie heute an Universitäten etabliert ist, anzusehen. Sie ermöglichen und erfordern interdisziplinäre Zusammenarbeit, ja Überwindung von Grenzen zwischen konventionellen Fachbereichen sowie reflektierte Anwendung historischer, empirischer und systematischer Perspektiven und Verfahrensweisen für die Erkenntnisgewinnung.



Durch diese Fülle des Quellenmaterials für die Entdeckungszeit und die Zeit der Missionen in Vor-Propaganda-Zeit ist es sinnvoll, die Betrachtung des Themas Musik in der Begegnung der Kulturen mit der Zeit vom Ende des Mittelalters bis etwa 1622 zu beginnen. Die Studien haben sich dank der reichhaltigen Quellen verständlicherweise auf diese Zeit konzentriert. Sie dürfen sich aber nicht auf das 15., 16. und beginnende 17. Jahrthundert beschränken. Allerdings müssen sie sich für die darauffolgende Zeit auf eine veränderte Quellenlage stützen. Hier kommen zunehmend Reiseberichte zur Geltung, die ebenfalls aufmerksame Lektüre verlangen und nicht als belanglos entwertet werden dürfen. Sie bieten Informationen, die sowohl für die außereuropäischen als auch für die Entwicklungen in Europa selbst von Bedeutung sind. Für Studien von Wechselseitigkeiten sind sie unentbehrlich. Auch stehen zunehmend Werke zur Verfügung, die die Entwicklungen in außereuropäischen Regionen darstellen und interpretieren, die eine Geschichte in weltweiten Zusammenhängen betrachten und eine vergleichende Völkerkunde, Religionskunde und somit auch eine vergleichende Musikforschung einleiteten.

Die Eindorfung indigener Gruppen in den Missionen der Jesuiten in Paraguay und deren Verwüstung durch die Bandeirantes aus der Küste Brasiliens, die ins Landesinnere vordrangen, gehören zu einer der wichtigsten Entwicklungen des 17. Jahrhunderts, bei denen die Musik eine maßgebliche Rolle spielte. Die in Vokal- und Instrumentalmusik ausgebildeten indigenen Musiker in den Missionen brachten bei ihrer Verschleppung oder bei ihrer Zerstreuung nach der Vertreibung der Jesuiten ihre Musiktraditionen und -praktiken zu anderen Regionen. Eine weiterer wichtige Region des amerikanischen Kontinents, in der die Musik bei der Missionierung der indigenen Völker eine zentrale Rolle spielte, war unter vielen anderen Kalifornien.

Die zunehmende Präsenz und die Aktionen der Niederländer und der Engländer im Welthandel, die zur Errichtung von Handelsposten, Faktoreien und Stützpunkten in allen Erdteilen führten, wo sie vielfach in Interessen- und Machtkonflikte mit den bereits etablierten Ansässigen gerieten, waren auch mit Musik begleitet. Ihre geistlichen Hymnen, ihre mehrstimmige Chorpraxis und ihre Instrumentalmusik in Auffassungen und Praxis unterschieden sich von denen der katholischen Europäer. Mit ihnen wurden die Menschen verschiedener Regionen mit einer anders gearteten Musikkultur konfrontiert und unterschiedlich missioniert und unterrichtet. Da die Niederländer und Britten als Protestanten weniger als die katholischen Iberer die alten Festbräuche des Mittelalters pflegten, waren die Mechanismen der Integration durch Teilnahmen an diesen Bräuchen mit ihrer Bildersprache andere und verlangten bei ihrer Betrachtung in der Forschung andere analytische Ansätze. Von außerordentlicher Relevanz für das Studium der Musik in Prozessen in Indien und Fernost sind der sogenannte Akkomodationsstreit sowie im allgemeinen die Differenzen zwischen der Geistlichkeit des Patronats und der Propaganda.

Das 19. Jahrhundert, für dessen Beginn die französische Revolution oder die Restauratioin 1816 als Hilfsorientierung gelten mögen, zeichnete sich durch eine Intensivierung der weltweiten Beziehungen dank Fortschritten in den Transportmöglichkeiten – Schifffahrt und Eisenbahnen – aus. Virtuosen, Musiker, Ensembles, Operntruppen, Theatergruppen und Musiklehrer bereisten die Welt, der internationale Austausch von Kompositionen intensivierte sich. Völker, die erst jetzt in näheren Kontakt zu den europäisch geprägten Gesellschaften aller Kontinente kamen, begegneten einer Musikkultur, die von Unterhaltungsliedern mit Gitarrebegleitung, Polkas und Mazurkas, Märschen und Ouvertüren von Blaskapellen geprägt war. Auch hier sind wechselseitige Einflüsse zu untersuchen. Es war auch die Epoche des Kolonialismus, der Entwicklung von Kolonien in Afrika, Südamerika, Südostasien mit ihrem reichhaltigen Musikleben sowie der kolonialen Ausstellungen in Europa, bei denen die exotischen Kulturen mit ihren Instrumenten und Tänzen sogar in Zoologischen Gärten vorgeführt wurden.

Zu den entscheidenden technischen Errungenschaften, die die Rolle der Musik bei der Begegnung der Kulturen des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägten, zählten das Tonaufnahmegerät und die Tonwiedergabe durch Zylinder, Rollen und Schallplatten. Dies ermöglichte die Aufnahme von Musik fremder Völker durch die Europäer, was neue Möglichkeiten für deren Studium und für das Musikschaffen mit sich brachte, aber auch die Vorführung des Aufgenommenen für die Nicht-Europäer, die sich nun selbst hören konnten. Viele Berichte von Abenteurern und Forschern bezeugen diese Praxis u.a. bei neu kontaktierten Indigenen Gruppen Amazoniens. Die Entwicklung von Radio und Fernsehen sowie der neuen Medien intensiviert die Rolle der Musik bei Prozessen, die mit Begegnungen einhergehen.

Erst nachdem – vor allem auf Grund der Quellenlage – die neuzeitliche Entwicklung betrachtet wurde, ist es sinnvoll, auf die Vorbedingungen und Grundlagen dessen einzugehen, was die Europäer mit ihren Musikinstrumenten und ihren Kult- und Festpraktiken mit Musik, Tänzen, Inszenierungen und Aufzügen bei ihren Interventionen in den außereuropäischen Raum brachten. Erst von der Gegenwart aus soll sich der Blick richten auf die Musik in der Begegnung der Kulturen in Antike und Mittelalter. Hierbei geht es um eine Grundlagenforschung.



Vorausgegangenes

1996. Musik in Kulturprozessen in Fernosten und Südostasien. Zur Übergabe von Hongkong und Macau an China. ISMPS, Inter-University Institute Macau u.a. Macau, Hongkong, Indonesien

1995. Stand der Studien zu indigenen Musikkulturen. Vortrag bei Tagung und Generalversammlung in Montecassino

1993-1994. Musik in Kulturprozessen in Zentralbrasilien und Amazonien. Projekt Musikkulturen der Indianer Brasiliens. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland. Außen- und Kulturministerium Brasilien. FUNAI. Museen und Bundesuniversitäten Pará, Amazonas u.a.

1992. 500 Jahre der Entdeckung Amerikas. Musikwissenschaftlicher Kongress zum „Kolumbus-Jahr“. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. Bundesuniversität von Rio de Janeiro, ISMPS u.a.

1992. Theologische und kirchengeschichtliche Grundlagen der christlichen Expansion in die Neuen Welt. 500 Jahre der Entdeckung Amerikas.  III. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Brasilianische Bischofskonferenz, Erzdiözese Rio de Janeiro, Missionsgesellschaften. Fakultät São Bento. Rio de Janeiro

1989. Christliche Traditionen und Synkretismus. II Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. ADVENIAT, Abteilung für Musikethnologie des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien, ISMPS, Universitäten und Forschungszentren. u.a. Maria Laach und Bonn

1987. „Transplantations“ in der Musik des 19. Jahrhunderts. Europa und Amerika. Treffen für Lateinamerika und Karibik des Projekts Music in the Life of Man. IMC/UNESCO. São Paulo

1985. Stand der Forschung der ethnologischen Studien zu Musik in Christianisierungsprozessen. Internationaler Kongress zum Europäischen Jahr der Musik. Rom

1985. Musik in Kulturprozessen in Lateinamerika und der Karibik – Grundfragen und Methodologie. Treffen des Projekts Music in the Life of Man für Lateinamerika und Karibik. Mexico-City

1985. Portugal in Europa und in der Welt. Portugiesische Expansion in der Entdeckungszeit. Europäisches Jahr der Musik. Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes. Köln

1984-1985. Wechselseitige Musikbeziehungen zwischen Lateinamerika und Europa. Symposien der Europäischen Gemeinschaften und des Königlichen Musikkonservatoriums Brüssels, Brüssel

1984-1985. Deutsch-Österreichisches Musikforum mit Musikschulwoche. Leichlingen

1983. 300 Jahre deutscher Migration nach Amerika. Deutsch-amerikanisches Musikforum mit Musikschulwoche. US.-Botschaft und Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. Leichlingen

1983. Deutsch-französisches Musikforum mit Musikschulwoche. Leichlingen

1982. Deutsch-brasilianisches Musikforum mit Musikschulwoiche. Brasilianische Botschaft und Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. Leichlingen

1982. Musik und portugiesische Entdeckungen. Zusammenarbeit mit  M.A. Alves Barbosa und J. Augusto Alegria, Évora. Portugal

1981. Aufgabe und theoretische Orientierung der Musikethnologie in Portugal. Dialogen mi M.A. Alves Barbosa. Universidade Nova de Lisboa. Lissabon

1981. Zu Einheit und Vielfalt. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Regierung des Staates S. Paulo, Universitäten, Institut für hymnologische und musikethnologische Studien. São Paulo und Kolloquien in Petrópolis und Mariana

1979-1980. Musik und Missionsgeschichte in Afrika. Internationaler Kongress in Bonn und Afrika-Museum Tervuren. Bonn und Brüssel

1978. Studien und Besprechungen im Afrika-Museum. Tervuren

1977. Musikethnologie bei Studien zu Musik und Mission in sozial- und kulturwissenschaftlicher Sicht. Beginn der Arbeit der musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach

1975. Musik Portugals in der Entdeckungszeit. Forschergruppe Brasil-Europa im Rahmen des Programms Musik in Kulturprozessen. M.A. Alves Barbosa, A.A. Bispo, A. Borges, R. Günther u.a. Köln

1973. Luso-brasilianische Gespräche in Portugal zur Entwicklung prozessorienter Forschung. Lissabon, Coimbra, Porto

1971. Musik bei der Entdeckung Brasiliens. Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo, Museu de Artes e Técnicas Populares. Zentrum für Forschungen in Musikforschung ND. Cruz Cabrália/Porto Seguro (Bahia)

1968. Gründung der Gesellschaft Nova Difusão mit dem Zentrum für Forschungen in Musikforschung. São Paulo

1966. Studiengruppe zur Musik in portugiesischen Migratenkreisen. Bewegung zur Erforschung von Prozessen in Kultur-und Musikstudien. São Paulo





Zur Entwicklung der Studien

Die Erforschung der Musik in den Interaktionen von Prozessen ist nicht neu. Sie geht zurück auf die Anfänge einer prozessorientierten Musikkulturforschung in den 1960er Jahren im luso-brasilianischem Raum, die die Aufmerksamkeit auf die Entdeckungszeit richtete. Mühsame Erhebung von Quellen, Reiseberichten, kritischen Auseinandersetzungen mit Zeugnissen, Studien und Überlegungen, Kolloquien und Tagungen wurden in den 1960er und 1970er Jahren durchgeführt. Bereits 1971 wurde Cruz Cabrália bei Porto Seguro, Bahia, besucht in Zusammenhang mit den im Museum der Universität São Paulo in Gang befindlichen Arbeiten über den Brief von Pero Vaz de Caminha an den portugiesischen König, in dem er über die Entdeckung Brasiliens berichtete.

Die Forschung selbst hat eine Geschichte, eine Geschichte der Entwicklung des Denkens und der prozessorientierten Musikforschung in globalen Zusammenhängen.

In ihren Ursprüngen war sie in einen bestimmten Kontext verwoben, der von der Suche nach Neuorientierungen in der Geschichts- und Sozialwissenschaft, in der Volkskunde, der Architektur und der Musikforschung gekennzeichnet war. Sie wurde von Professoren der Fakultät für Geschichte und Geographie der Philosophischen Fakultät der Universität São Paulo begleitet. Die empirische Erforschung von traditionellen Spielen mit Musik und Tanz des Jahreskreises, die zweifelsfrei im Verlaufe von Entdeckungen, Eroberungen, Missionierungen, Kolonisierungen und wechselseitigen Beziehungen seit Ende des Mittelalters aus Europa in außereuropäische Regionen übertragen wurden, verlangte nach einer Vorgehensweise, die theoretisch reflektiert, analytisch und bedeutungsorientiert vorging. Im Verlaufe der Debatte wurde die Notwendigkeit erkannt, durch eine umfassende Erhebung und textkritische Auswertung historischer Quellen die kulturanalytisch gewonnenen Erkenntnisse wissenschaftlich zu erhärten.

Das Studienfeld der Musik in der Begegnung der Kulturen geht somit in seinem Konzept auf Debatten zurück, die 1968 in São Paulo zur Gründung des Zentrums für Erforschung der Musikforschung der Gesellschaft Nova Difusão (ND) führten. Der portugiesische Komponist Jorge Peixinho forderte 1969/70 in einem Aufsehen erregenden Vortrag am Casa de Portugal einen Paradigmenwechsel bei Studien, die Portugal und die portugiesisch-sprachigen Länder betrafen, die er von als überholt empfundenen, nationalistischen Perspektiven bestimmt sah. Sie waren nicht mehr für eine adäquate Auseinandersetzung mit den im Gang befindlichen Dekolonialisierungsbewegungen in Afrika und Asien angemessen. Bei den damaligen Gesprächen wurde hervorgehoben, dass die Betrachtung der Kontinente übergreifenden Prozesse, die von Portugal zur Entdeckungszeit ausgingen, von neuen Konzepten und Methoden geleitet werden sollte. Damit begannen die Studien einer Musikgeschichte in globalen Zusammenhängen, die grenzüberschreitende Prozesse fokussiert, die über die Jahrzehnte von Überlegungen hinsichtlich einer Erneuerung von Perspektiven und Methodik begleitet wurden.

Bei den Überlegungen und Debatten, die in den 1960er und 1970er Jahren besonders intensiv geführt wurden, erlangte damals der Begriff Akkulturation in verschiedenen Fachbereichen eine Leitfunktion. Bereits terminologisch erschien er hilfreich, um Vorgänge theoretisch zu erfassen und Untersuchungen zu leiten, welche den Fokus auf die geleiteten oder spontan durch Kontakte erfolgten Veränderungen einer Kultur bei ihrer Hinführung zu einer anderen richteten. Bezeichnenderweise wurde der Akkulturationsbegriff bei einer Sozialwissenschaft und einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Ethnologie von Bedeutung, die die Veränderungen in allen Aspekten des Lebens, der Welt- und Menschensicht indigener Gruppen untersuchte, die durch die Fronten einer expandierenden Erschließung von Urwaldgebieten kontaktiert wurden.

Keinesfalls wurde schon damals der Begriff in reduziertem Sinn von Anpassung angesichts der Komplexität des von ihm bezeichneten Vorganges verstanden. Seine Verwendung führte in der Volkskunde zu Kategorisierungen von Kulturerscheinungen aus der Sicht der dominierenden Gesellschaft, indem etwa von „indigener“ , „bantu“ oder gar „deutscher, italienischer, spanischer“ u.a. Akkulturation an die (national-)brasilianische Kultur gesprochen wurde.

Diese Diskussion begleitete die Einführung der Musikethnologie im Hochschulstudium In Brasilien 1972. Der Begriff leitete zwar die Aufmerksamkeit auf Wandel, förderte die Analysen von Mechanismen der Veränderungen, schien geeignet, um den Blick zu richten auf Methoden und Auswirkungen von Missionen, offiziellen und privaten Aktivitäten, Projekten und Programmen geleiteter Veränderungen, Assimilationen und Integrationen, war jedoch einer (nationalen) Kulturauffassung verpflichtet, die als Entität gleichsam wesenhaft aufgefasst wurde. Kritisiert wurde dabei, dass die Leitfunktion des Systems der vorherrschenden Gesellschaft nicht in Frage gestellt wurde. Das Anliegen, Grenzen, Membranen von Sphären und Kompartimente gleichsam osmotisch zu durchziehen, wie von der Nova Difusão gefordert, bedeutet aber auch, das Gefüge, das den Beobachter konditioniert, in Frage zu stellen und zu verwandeln. 

In Köln wurde die Akkulturation in der Musikethnologie mit Robert Günther und Klaus Wachsmann Mitte der 1970er Jahren neu aufgegriffen und diskutiert. Der Begriff wurde wie vorher in Lateinamerika vor allem von Bedeutung für die musikethnologische Diskussion, die von dem kirchlichen Anliegen nach Akkommodation, Indigenisation oder Inkulturation begleitet wurde. Sie bedeutete in vieler Hinsicht einen Rückschritt und wurde von Kontroversen mit Musikethnologen und Theologen geprägt, da diese bewusste oder unbewusste Auffassungen von Kultur vertraten, die diesem Anliegen nach geführten Einwirkungen zur Veränderung und Hinzuführung von Gemeinschaften und gar Nationen in eine beabsichtigte Richtung bei der Missionierung und Neuevangelisierung zugrundelagen.

Bei den von den Europäischen Gemeinschaften und dem Musikinstrumentenmuseum Brüssel Mitte der 1980er Jahren veranstalteten Symposien zu wechselseitigen Einflüssen zwischen Europa und Lateinamerika wurde dann auf internationaler Ebene die Notwendigkeit hervorgehoben, in der Musikforschung diese globalen Beziehungen stärker zu berücksichtigen, was eine umfassende Erhebung von Quellen und deren sorgfältige Auswertung erforderte. Es wurde bei diesen Symposien betont, dass zu den Voraussetzungen von Studien dieser wechselseitigen Interaktionen die Berücksichtigung des Systems der Welt- und Menschenauffassungen der Europäer selbst gehört. Als eine christliche bzw. verchristlichte Anthropologie, die ihren Ursprung in der Antike hat, wurde sie in der Bildersprache von Spielen mit Musik und Tanz seit Ende des Mittelalters in die außereuropäischen Regionen gebracht, wo sie mit anderen Systemen von Vorstellungen und Repräsentationen interagierend Veränderungsprozesse in Gang setzte. Die Aufgabe für die Forschung lag darin, die in der Bildersprache dieser tradierten Festpraktiken intrinsischen Auffassungen von Mensch und Welt zu analysieren.

Zu den Begriffen, die seit Jahrzehnten Ziel theoretischer Auseinandersetzungen wurden, gehörte der von „Einfluss“. Zahlreiche, meist ältere Studien in der Volks- und Völkerkunde sowie in der Musikhistoriographie erwähnten und kommentierten die externen Einflüsse, die auf einen bestimmten Kulturzusammenhang einwirken. Es wurde in kultur- und musikgeschichtlichen Abhandlungen nicht nur in undifferenzierter Weise allgemein vom europäischen Einfluss in Afrika, vom afrikanischen Einfluss in Europa oder Amerika und vom amerikanischer Einfluss in Europa gesprochen, sondern auch von englischen, französischen, italienischen o.a. Einflüssen im Musikleben anderer Kontinente. Oft wurden sie mit Einwanderungen begründet, mit der Wirkung von Persönlichkeiten im Kulturleben und in Organisationen, die in Mission und Schule einflussreich tätig wurden, oder mit Propaganda, Werbung und Medien. Auch die in den 1970er Jahren besonders aktuelle Rezeptionsforschung war nicht frei von einer Denkweise, die von Vorstellungen über Einflüsse in einer bestimmten Kultursphäre geprägt war. Die Thematisierung von wechselseitigen Einflüssen zwischen Europa und Lateinamerika, die in den 1980er Jahren Anlass für die Symposien in Brüssel gab, ist ein Beispiel für diese Denkweise.

Die Problematik der unreflektierten Verwendung dieses Begriffes zeigt sich am offensichtlichsten, wenn von indigenen Einfluss in einem Land Amerikas, z.B. in Brasilien und in der brasilianischen Musik, gesprochen wird. Auf wen wurde zuerst eingewirkt? Wenn der Begriff im Sinne von Einfliessendem und Ausfliessendem, von Ein- und Ausströmen verstanden wird, kann er die Aufmerksamkeit auf Strömungen lenken, was auch Sichtweisen in Geschichtsbetrachtungen prägte, wie z.B. bei der portugiesischen Musikwissenschaftlerin Maria Augusta Alves Barbosa. Das Denken in Strömungen in der Musikhistoriographie, das sich vor allem auf der Zeit der Entdeckungen und der Expansion Europas bezog, bereitete die Umorientierung des Interesses und der Analyse auf Prozesse vor. Der Einfluss-Begriff ist eng mit einer Vorstellung von Kultur verbunden, die als eine Art Wesenheit essentialistisch aufgefasst wird. Sie erscheint gleichsam als Entität, die beeinflusst, auf die eingewirkt oder in die eingeströmt wird. Die Ausrichtung der Blickes auf Prozesse und auf das komplexe Spiel von interagierenden Systemen, die in sich prozesshaft sind, erfordert bei Analysen andere Ansätze.

Das von europäischen Instanzen ausgerufene „Europäische Jahr der Musik 1985“ gab Anlass zur Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes  e.V., das die seit 1968 erhobenen Forderungen nach einer eingehenden Betrachtung von globalen Prozessen nach reflektierten theoretischen Konzepten und Verfahrensweisen aufgreift. Seitdem wurde nach dem auf die 1960er Jahre in São Paulo zurückgehenden Ansatz die prozessorientierte, kulturwissenschaftliche Musikforschung des luso-brasilianischen Raumes systematisch durchgeführt. Vor allem die seit Jahrzehnten betriebenen Studien zum Themenkomplex Musik und Entdeckung im Zusammenhang mit der von den Portugiesen entfachten Prozessdynamik wurden intensiv fortgeführt. Sie inspirierten auch anderer Forscher und gaben Anlass zu Nachahmungen.

Dieses Anliegen wurde international bekräftigt bei den Tagungen, die im Rahmen des Projekts Music in the Life of Man/Weltgeschichte der Musik des Internationalen Musikrates/UNESCO in Mexico-City 1985 und São Paulo 1987 stattfanden. Dabei wurde vor allem die Notwendigkeit einer allgemeinen Erneuerung von Ansätzen und Perspektiven der an Universitäten etablierten Musikwissenschaft hervorgehoben. Die historische Musikwissenschaft sollte ihre konventionelle Einschränkung auf Europa bzw. auf einige seiner Nationen überwinden und sich Kontinente überschreitend globalen Zusammenhängen und Beziehungen widmen.




Zur Vorlesungsreihe in Köln 1997-2000

Von 1997 bis 2000 wurde am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln die Vorlesungsreihe zum Thema „Musik in der Begegnung der Kulturen/Music in the Encounter of Cultures“ veranstaltet, die von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft sowie vom Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes e.V. initiiert und gefördert wurde. Wenn bis dahin vor allem die Entdeckungszeit im Vordergrund der Aufmerksamkeit der Untersuchungen stand, so sollten nun Studien, die die folgenden Jahrhunderte betreffen, Berücksichtigung finden.

Über die Frage der Periodisierung und somit der Einteilung der Vorlesungsreihe wurde eingehend reflektiert. Die Vorlesungsreihe setzte mit der Betrachtung der Zeit der Expansion Europas im ausgehenden Mittelalter ein. Bei jeder Vorlesung einer Reihe wurden die Schwierigkeiten von zeitlichen Einteilungen besprochen und Präzisierungen beim Brückenschlag vorgenommen.

Erst zum Abschluss wurden die Antike und das Mittelalter betrachtet und damit die Grundlagen und Voraussetzungen der Entwicklungen, die zur Zeit der Expansion Europas durch die Entdeckungen und Begegnungen mit außereuropäischen Völkern in Gang gesetzt wurden.

Ziel der Vorlesungsreihe war es, die Studien und Initiativen, die unter dem Motto Begegnung der Kulturen seit Jahren durchgeführt werden und Anlass zu Vorträgen, Kursen und Tagungen geben, zu erörtern und einigen von ihnen einer epistemologischen und kulturtheoretischen Überprüfung nach Ansätzen einer Neuorientierung der Kultur- und Musikwissenschaften zu unterziehen.

In diesen Vorlesungen wurden zwar musikethnologische und musikhistorische Ansätze, Perspektiven und methodische Vorgehensweisen in Beziehung miteinander gebracht, dies aber nicht in einem Nebeneinander von Annäherungen nach unterschiedlichen Ansätzen und Perspektiven, sondern wissenschaftstheoretisch reflektiert.

Für eine grundlegende Erneuerung der an Universitäten etablierten Musikethnologie – vor allem auch in Köln – wurde plädiert. Nur eine stärkere Berücksichtigung historischer Prozesse könne verhindern, dass weiterhin Hypothesen über Ursprünge und Verbreitungen von Musikpraktiken zur Untermauerung von Erkenntnissen verwendet werden, die aus der empirischen Beobachtung gewonnen werden, geschichtswissenschaftliche Kriterien aber nicht erfüllen und dennoch verabsolutierend nicht in Frage gestellt werden.

Darüberhinaus sollte die Vermischung von Vorgehensweisen – historisch in der Musikgeschichte und eher empirisch in der Musikethnologie – mit der geographisch verstandenen Einteilung in Europäisches und Außereuropäisches überwunden werden. Viele außereuropäische Regionen, die eine bereits jahrhundertalte, aus Interaktionen mit Europa entstandene Musikgeschichte aufweisen, werden dadurch der Sphäre der Musikethnologie zugeschlagen, wodurch Komponisten, Werke und ein Musikleben der jeweiligen Länder unzureichend und aus einseitigen, zuweilen entwertenden Perspektiven berücksichtigt werden. Sowohl die Etablierung einer Musikgeschichte in globalen Zusammenhängen als auch eine gründliche Erneuerung der an Universitäten etablierten Musikethnologie, deren Netzwerke und Gruppierungen sollten Ziel einer Wissenschaftswissenschaft bzw. einer Soziologie der Wissenschaft bei der Erneuerung musikwissenschaftlicher Perspektiven und Verfahrensweisen in globalen Zusammenhängen sein.

Hauptziel der Vorlesungsreihe war entsprechend dem Anliegen und dem Aufbau des Projekts des internationalen Musikrates/UNESCO, Wege aufzuzeigen, wie eurozentrische Perspektivierungen und Eingrenzungen überprüft und überwunden werden können, die sich u.a. darin äußern, dass Musikgeschichte auf die Kunstmusik Europas reduziert und Musikethnologie als zuständig für außereuropäische Kulturen ohne adäquate Berücksichtigung historischer Prozesse in globalen Zusammenhängen verstanden wird.

Bei den einleitenden Vorlesungen wurde die Problematik der historischen Quellen und ihrer Interpretation hinsichtlich Herkunft, Autoren sowie den verschiedenen räumlichen und zeitlichen Umständen erörtert. Texte über Hinweise in Reiseberichten und sonstigen Quellen in einer musikethnologischen Literatur, die diese Daten eher als Kuriositäten einer „vor-wissenschaftlichen" Phase der Musikethnologie betrachten, wurden kritisch besprochen. Auch wurden die Diskussionen um Auffassungen und Meinungen über den Begriff Kultur und dessen Pluralbildung Kulturen im Überblick behandelt. Das Risiko essentialistischer Vorstellungen bei der Verwendung von Begriffen wie Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität wurde erörtert. Dabei wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, nicht nach aktuellem Verständnis von Kultur vorzugehen, sondern kontext- und epochengerecht bei der Lektüre der Quellen frühere Auffassungen zu berücksichtigen.

Die Erhebung von Quellen, die das Studium der Gründe und Methoden für geleitete Kulturveränderungen ermöglichen, ist nur Vorbedingung für die Analyse von Interaktionen von Prozessen bei Begegnungen von Europäern und den Menschen außereuropäischer Regionen. Bei Missionierungen müssen die Geschichte, die Orientierung und die Lebensweise der beteiligten Orden sowie die Stellung, die sie der Musik in ihren Regeln und Kultpraktiken verleihen, berücksichtigt werden. Bei offiziellen Gesandtschaften müssen die politischen und diplomatischen Ziele der Fahrten erkundet werden, bei militärischen Unternehmungen die Praktiken der Militärmusik, die eingesetzten Instrumente sowie die Signale beim Heer und bei kriegerischen Handlungen. Die Quellen dokumentieren tradierte Spiele und Volksmusikinstrumente bei Seefahrten, die Matrosen aus ländlichen Gebieten mitgeführt haben. Diese tradierten Spiele, Aufzüge, Tänze und Musikpraktiken spielten ein maßgebliche Rolle bei nicht geleiteten, spontan erfolgten Interaktionen. Ihre Betrachtung setzt jedoch voraus, dass die religiösen Akte und Festanlässen, zu denen sie eingesetzt wurden, bekannt sind. Sie gehörten in ihrer Bildersprache zum System von Vorstellungen und Repräsentationen, das sich auf das Natur- und Kirchenjahr bezogen. Die Untersuchung dieser Zeichensprache und der zugrundeliegenden Auffassungen von Welt und Mensch ist somit Vorbedingung für das Verstehen der tradierten Musikpraxis der Europäer auf den Schiffen und am Festland in der Fremde.

All diese dokumentarische Arbeit mit den notwendigen begleitenden Studien zu Voraussetzungen und Kontextualisierungen stellt jedoch nur eine Vorarbeit von europäischer Seite für die Analyse die Interaktionen von Prozessen in ihrer Komplexität dar. Die Analyse ist mehr als eine historische Darlegung oder ethnographische Feststellung. Erst auf der Grundlage dieser eingehenden, aus vielen Perspektiven zu berücksichtigenden Quellenforschung setzt die tatsächliche Arbeit einer Analyse ein. Diese stützt sich auf Ansätze, die sich an den rezenten Debatten in der Kulturwissenschaft orientieren.

Bei den Vorlesungen wurde stets auf die Problematik nicht nur des Begriffs „Begegnung“, sondern auch des Kultur-Begriffs hingewiesen, da es keine anachronistische Projektion heutiger Auffassungen für die Analyse vergangener Zeiten geben darf. Kultur war von alters her terminologisch mit Kultivierung, Bebauen, Bearbeitung der Erde zum Zwecke eines guten Ertrages an Früchten verbunden. Damit bezog sich der Begriff auf jahreszeitliche Verläufe. Diese wirken innerhalb eines zyklischen Gefüges, eines Systems von innerer Dynamik. Kultur in diesem Sinn betrifft die Lebenswirklichkeit von Menschen, die nicht mehr Nomaden, sondern sesshaft sind, das Land in Besitz nehmen, abgrenzen, bearbeiten, verteidigen und nach Reichtum streben.

Der Europäer, der in dieses Gefüge eingetragen und somit von seinen systematischen Mechanismen getrieben war, traf bei der „Entdeckung“ auf Menschen, die ebenfalls meist eingeschrieben waren in ein Gefüge der Bearbeitung der Erde und vielfach in konfliktreichen Beziehungen zu ihren Nachbarn standen. Da die Gebäude von Auffassungen, Vorstellungen, Bildern und Gewohnheiten ihre Grundlagen in der Nutzung von Erde und Meer haben und somit vom Jahresverlauf abhängig sind, haben sie in südlicher Hemisphäre andere Referenzen zum Naturjahr als in der nördlichen.

Encounter of Cultures – Begegnung der Kulturen – sollte nicht unbedarft aufgefasst werden. Die Gefahr von Euphemismus, Verniedlichung, Beschönigung ist groß. Dieses Thema birgt das Risiko, nur im Sinne eines fröhlichen Zusammentreffens, einer freundlichen Kontaktaufnahme und friedlichen Gegenüberstellung, von Völkerverständigung und freudigem Austausch verstanden zu werden. Encounter of Cultures soll aber auch im Sinne von Crash of Cultures, von Konfrontation, Zusammenstoß, Kollision und Konflikt aufgefasst werden.

Keinesfalls darf Musik bei der Begegnung der Kulturen als Thema verharmlost werden: ihre Funktion war nicht immer erfreulich, sondern zuweilen auch abschreckend und hässlich. Die Gefahr des Abgleitens in Karikatur und Kitsch ist eminent. Das Bild, die Vision wird zum Comic, wie Darstellungen in Museen, Publikationen und selbst Texten zu Encounter of Cultures zeigen. Jargonverdächtige Verwendung von einem Vokabular der Kulturwissenschaften – cross cultural processes – reicht nicht aus, um dieses Risiko zu vermeiden.