Außerplanmäßige Professur gefördert als Stiftung für Musikologische Kulturanalyse/Kulturanalytische Musikologie von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS
Aus Batalha-Studien: 1973-1982-1996-1998
Andenken an Heinrich Hüschen (1915-1993) - 90 Jahre
65 Jahre: Gustav Reese, Music in the Middle Ages: With an Introduction on the Music of Ancient Times (1940)
Parallelveranstaltung zu Musik und Gnosis in der Spätantike Der kulturwissenschaftliche Ansatz in der Musikwissenschaft
Im Anschluss an Internationales Kolloquium interkultureller Studien. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS und Universitäten Köln und Bonn. São Paulo und Rio de Janeiro 2004
Die Aussagen zu Musik im Schriftum des Mittelalters gehören zu den Grundlagen der Beschäftigung mit der Geschichte der Musik. Sie werden seit jeher in Gesamtdarstellungen zumindest punktuell zur Musikgeschichte erwähnt und gehören zum Wissen, das in Konservatorien und im Musikunterricht in Schulen in Europa und in zahlreichen außereuropäischen Ländern vermittelt wird. Es gibt wohl kaum einen Absolventen von Konservatorien, der nicht zumindest den Namen des Benediktiners Guido von Arezzo (um 992-1050) kennt. Sie wissen einiges über seine Bedeutung für die Geschichte der Notation auf vier Linien, des Hexachordsystems, der guidonischen Hand und der Solmisationstechnik, für die Praxis, die Töne mit den Anfangssilben der Zeilen des Johannes-Hymnus Ut queant laxis (8. Jahrhundert) zu benennen, die noch heute weltweit gültig ist. Sie wissen, dass hierbei der Ersatz der Silbe ut von Ut queant laxis durch Do auf Giovanni Battista Doni (1593-1647) zurückgeht. Allein die Verbreitung dieser rudimentären Kenntnisse bringt ins Bewusstsein die Verwobenheit einer auch in außereuropäischen Ländern tradierten und häufig nicht hinterfragten musikschichtlichen und -theoretischen Wissenskultur mit einem Geschichtsverständnis, das von kulturgeschichtlichen Prozessen in Europa ausgeht und somit von einer Denk- und Sichtweise geschichtlicher Vorgänge, die europäisch zentriert ist. Die eingehenderen Studien der Musiktheorie des Mittelalters prägten von Anfang an die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte der Musik Europas, ihre Institutionalisierung an Hochschulstudien und Universitäten und ebenfalls die Musikwissenschaft als Lehr- und Forschungsbereich in Universitäten außereuropäischer Länder, die sich vielfach wie in Europa auf die historische Musikwissenschaft beschränken. Auch die Musikwissenschaft und ihre Forscher in diesen Ländern fügen sich in eine Strömung der Studien und des Denkens ein, die auf Entwicklungen im europäischen Mittelalter zurückführt.
Viele herausragende Vertreter der historischen Musikforschung Europas sind weltweit zu Leitgestalten in Lehrveranstaltungen und akademischen Arbeiten in Graduierungskursen an Universitäten, Doktorarbeiten und musikwissenschaftlichen Gesellschaften und Projekten geworden. Einige von ihnen verweisen auf enge Beziehungen zwischen der Erforschung des Mittelalters und der Kirchenmusikforschung, auf die gregorianischen Studien des 19. Jahrhunderts und somit auf die Leitfigur Gregorius Magnus. Einige sind selbst mit der Kirche verbunden wie der herausragende Forscher Joseph Smits van Waesberghe (1901-1986). Diese Nähe zur Kirche und zum theologischen und kirchengeschichtlichen Denken ist verständlich, da die Studien vor allem Kirchenmusik betreffen und die Mehrheit der mittelalterlichen Gelehrten Geistliche waren.
Es ist bemerkenswert, dass wichtige Studien, Publikationen und Forschungsunternehmungen nicht in Europa, sondern in den USA entstanden sind, was bezeugt, dass sich die europäische Zentrierung der Forschung und des Geschichtsbewusstseins nicht auf geographische Grenzen der Kontinente beschränkt, sondern auf einer kulturellen, mental-psychischen Ebene abläuft. Ein herausragendes Beispiel ist das Werk von Gustav Reese (1899-1977), der in New York geboren ist und in Berkeley starb, der 1940 sein „Music in the Middle Ages. With an introduction on the music of ancient times.“ (W.W. Norton & Co., New York) veröffentlichte. Er war Mitbegründer der „American Musicological Society“ (AMS), derer Vorsitzender zwischen 1950 und 1952, eine Position, die er auch in der International Musicological Society (IMS) bekleidete. Sein Werk zur Musik des Mittelalters und auch das zur Musik der Renaissance werden in Kreisen von Musikern und Forschern, die sich der alten Musik widmen, nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Ländern des amerikanischen Kontinents seit langem rezipiert. Die Beschäftigung mit der Musik des Mittelalters erfolgte somit bemerkenswerterweise vielfach über den Umweg der USA, was allerdings nicht die Zentrierung des Denkens änderte und gleichsam eine Rezeption von Rezepiertem bedeutete.
Die eingehende Beschäftigung mit der Theorie des Mittelalters beschränkt sich nicht auf spezifisch musiktheoretische Aspekte hinsichtlich der Notation, der Tonarten, des Hexachordsystems, der Anfänge der Mehrstimmigkeit u.a., sondern betrifft auch Theoretisches im Sinne von Auffassungen und Vorstellungen über die Musik, ihrer Definition, ihres Ursprungs, ihrer Einteilung, Funktion und Wirkung, ihrer Stellung im Kreis der Freien Künste, ihrer theologischen Bedeutung, was eigentlich die Hauptgewichtung in der Behandlung der Musik in den mittelalterlichen Traktaten bildet. Sich mit der Theorie des Mittelalters befassen bedeutet vornehmlich, die Denk- und Sichtweisen der mittelalterlichen Theoretiker und ihrer Netzwerke zu beachten, die Denktraditionen, in die sie sich einfügten, die bildhaften, auf die Antike zurückweisenden Überlieferungen, die sie weitertrugen, und die Anzeichen innovativer Ansätze, die sie offenbarten. Selbst bei Guido von Arezzo ist das Bild von Pythagoras an der Schmiede zu finden, und Definitionen und Vorstellungen über Ursprünge, Einteilungen und Wirkungen der Musik weisen auf antike Auffassungen und mythische Erzählungen einerseits, auf biblische Aussagen und ihre Deutung bei Kirchenvätern und gelehrten Männern der Kirche andererseits hin. Gerade das Musiktheoretische in den Traktaten verweist auf die Interaktionen der antiken Kultur der griechisch-römischen Sphäre mit der jüdischen und christlichen Schriftbezogenheit, auf eine prozesshafte Transformation, eine weitreichende Umdeutung des Systems von Auffassungen und Vorstellungen des Welt- und Menschenbildes, auf die Durchsetzung eines räumlichen Referentials und eines Geschichtsbewusstseins, die durch die biblische Historie bestimmt sind. So gesehen ist die Beschäftigung mit der Theorie der Musik des Mittelalters zugleich ein Studium der Musik in der Theorie, d.h. der Rolle der Musik in einem theoretischen Gesamtsystem von Auffassungen des Welt- und Menschenbildes.
Die Quellenforschung, die Auffindung von Schriften und ihre wissenschaftliche, kontextgerechte Untersuchung unter dem Aspekt der Musik ist eine Vorbedingung zum Studium der Musiktheorie bzw. der Musik im theoretischen Denken des Mittelalters. Die Leistung, die Forscher bei diesen mühsamen Studien erbracht haben, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Einzelne Autoren oder Traktate wurden zum Thema von Dissertationen. Da sie vor allem philologisch orientiert sind, da sie vor allem von der Philologie und ihren Fragestellungen geprägt sind, liegt in der Natur der Quellen, da diese vor allem auf Latein verfasst sind, übersetzt werden und dadurch auch Terminologisches in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Ein herausragendes rezentes Beispiel ist die Studie von Michael Witmann Vox atque sonus: Studien zur Rezeption der Aristotelischen Schrift „De anima“ und ihre Bedeutung für die Musiktheorie (Pfaffenweiler: Centaurus 1987, Musikwissenschaftliche Studien 4).
Die Erforschung des Schrifttums des Mittelalters lenkt den Blick auf das Mittelmeeer und auf die iberische Halbinsel und bringt somit ins Bewusstsein, dass bei der Forschung nicht nur die Rezeption des antiken Denkens in seiner Transformation beim Verchristlichungsprozess und die internen Konflikte im christlichen Europa beachtet werden müssen, sondern auch die Auseinandersetzung mit dem Islam, die die mittelalterliche Geschichte prägte. Die Bedeutung des Mittelmeerraums für die Weitergabe des antiken Wissens ist durch das enzyklopädische Werk Etymologiarum sive originum libri XX von Isidor von Sevilla (um 560-636) bezeugt, dessen Bedeutung für die Musikforschung von Heinrich Hüschen (1915-1993) herausgestellt wurde. Schon seit langem wurde allerdings auch die Bedeutung islamischer Gelehrter von der Musikforschung anerkannt, vor allem von al-Fārābī (Abū Nasr Muhammad al-Fārābī ca.872-ca.950) und von Avicenna (Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā, um 980-1087), deren Schriften in lateinischer Übersetzung in Europa gelesen wurden und die über komplexe Rezeptionsumwege Auffassungen griechischer Philosophie in die christliche Welt vermittelt haben. Die Interaktionen von jüdischen und islamischen Wissenskulturen zeigen sich u.a. bei dem Franziskaner aus Mallorca Ramon Llul (1232-1316).
Vorangegangenes
2004. Ästhetik und Ethik in der Musik. Seminar. Universität Bonn
2003. Rom. Exkursion des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Bonn
2002. Musik und Symbolik. Seminar. Universität Bonn
2002. Musik und Religion. Seminar. Universität Bonn
1999. Internationaler Kongress Musik und Visionen. Deutsche Welle, Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, deutsche, brasilianische und portugiesische Universitäten und Kulturinstitutionen. Köln
1999. Bildersprache tradierter Spiele des Festkalenders. Zahlensymbolik in der Bibel. II. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Maria Laach
1998. Anthropos ludens.Internationales Kolloquium. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS. São Paulo
1995. Tagung und Generalversammlung der CIMS. Abtei Montecassino
1992. II. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft. Grundlagen der Musikkultur Brasiliens. Rio de Janeiro
1992. III.Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Sitzung in der Abtei São Bento. Rio de Janeiro
1991. Akademische Sitzung in der Universität Urbaniana, Rom
1989. Internationales Symposium zu Christliche Traditionen und Synkretismus. Musikethnologische Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Maria Laach, Bonn
1989. Tagung Musik und Religion der Konrad-Adenauer Stiftung. Schwäbisch-Gmünd
1989. Vorstellung der Publikation „Grundlagen christlicher Musikkultur in der außereuropäischen Welt der Neuzeit“. Maria Laach
1985. VIII. Internationaler Kongress für Kirchenmusik. Christus in Ecclesia Cantat. Rom 1985
1985. Intrinsische christliche Anthropologie in Volkstraditionen Lateinamerikas. Symposium der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel
1984. Musikethnologisches Symposium. Pontificio Istituto di Musica Sacra. Rom
1981. I. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. São Paulo
1981. Treffen an der Katholischen Universität Petrópolis. Petrópolis
1977. Gründung der musikethnologischen Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien. Köln/Maria Laach
1975. Ikonographische Themen in der Malerei. Kunsthistorisches Institut der Universität Köln. Diözesan Museum Köln
Zum Proseminar in Köln 2005
Im Sommersemester 2005 wurde ein Proseminar zum Thema Theorie der Musik im Mittelalter an der Universität Köln angeboten, das die Möglichkeiten von Ansätzen aus den Debatten zu interkulturellen Prozessen bei deren Betrachtung erproben sollte. Die Veranstaltung schloss sich an das Internationale Kolloquium Interkulturellen Studien an, das von der Akademie für Kultur- und Wissenschafrtswissenschaft/ISMPS veranstaltet wurde und an dem Studierende der Universitäten Bonn und Köln teilnahmen. Entsprechend der Orientierung der Akademie wurde die Aufmerksamkeit auf Prozesse im Mittelalter ausgerichtet, in die sich die Theoretiker und ihre Schriften einfügten. Eine besondere Berücksichtigung wurde Hrabanus Maurus ausgehend von der in Köln vorgelegten Dissertation über ihn von Albert Richenhagen gewidmet.
Die Gegenwart, die geprägt ist von Migrationen und Globalisierung, verlangt unter verschiedenen Aspekten neue Ansätze bei der Betrachtung der Theorie der Musik im Mittelalter. Die Debatten hinsichtlich einer interkulturellen Philosophie des Dialoges sowie theoretischen Ansätzen der Kulturwissenschaft können neue Perspektiven eröffnen. Es geht nicht primär darum, Dialoge bei den mittelalterlichen Autoren und in Traktaten zu untersuchen, zumal die Disputationen von Gelehrten verschiedener Glaubensrichtungen auf die Affirmation eigener Überzeugungen und Standpunkten basierte. Eine Haltung des Dialoges, die auf Verständigung zielt, setzt das Studium und die Offenheit gegenüber anderen philosophischen Systemen und die Bereitschaft voraus, mit ihnen in Austausch zu treten. Die aktuelle Situation weltweiter Verflechtung und Kommunikation, die alle Bereiche des Lebens und des Wissens betrifft, verlangt bei der Betrachtung der Geschichte eine andere Positionierung, Geisteshaltung und andere Perspektiven bei der Analyse mittelalterlichen Schrifttums auch unter dem Aspekt der Musik.
Besprochene Autoren und Schriften Sitzungen Mai, 2. Augustinus, Ambrosius von Mailand, Isidor von Sevilla Mai, 9. Benedikt von Nursia, Gregor I, Alcuinus Mai, 23. Johannes Scotus Ereugena. Aurelianus Reomensis. Notker Balbulus Mai, 30. Regino von Prüm. Hucbald von St. Amand. Amalarius von Metz Juni, 6. Walafrid Strabo. Hubertus von Deutz. Wilhelm von Colches Juni, 13. Hugo von St. Victor. Johannes von Salisbury. Dominicus Gundisalinus Juni, 20. Anonymus. Remigius de Auxerre. Alfarrabius Juni, 27. Notker Labeo. Berno von Reichenau. Guido von Arezzo Juli, 4. Aribo Scholasticus. Wilhelm von Hirsau. Johannes von Affligen Juli, 11: Bernhard von Clervaux. Hermann von Reichneau. Hermannus Contractus Juli, 18. Jacobus Leodiensis. Philippe de Vitry. Joahhes XXII Juli. 23. Kolloquium in der Akademie für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft Besprochene Theme ausgehend von Hrabanus Maurus
Mai, 2. Definition der Musik. Klassifikation der Musik Mai, 9. URsprung der Musik. Wirkung der Musik Mai, 23. Musik im Kreise der Artes liberales Mai, 30 Die exegetische Methode. Die Musik im Alten Testamente Juni, 6. Musikinstrumente: organum bis sambuca Juni, 13. Musikinstrumente: cymbala bis calamus Juni, 20. Musik im Neuen Testament
Herausragende Seminararbeiten
Ingrid Adams. Zum geistigen Sinn der Musik im Alten Testament in der Darstellungsweise des Hrabanus Maurus
Wiebke Schumann. Die Musikwissenschaft bei Al-Farabi und wie das griechische Gedankengut ins Abendland gelangte. Ein Dialog der Kulturen