AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

ANTHROPOLOGISCHE MUSIKWISSENSCHAFT

- COLLOQUIUM ZU AKTUELLEN FORSCHUNGSPROBLEMEN -

Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Universität Bonn
Oberseminar – WS 2002/03


„Die Stimmen indigener Völkern müssen gehört werden“
Im Anschluss an die Sitzung zu indigenen Musikkulturen als dringende Aufgabe der Gegenwart
beim internationalen Kongress Euro-Brasilianischer Studien „Musik, Projekte und Perspektiven“
im Índio-Saal, Itamaraty. Außenministerium Brasiliens, Rio de Janeiro 2002
Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS

30 Jahre nach der Einführung der Musikethnologie an der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo
10 Jahre des Programms zu indigenen Musikkulturen, unterstützt vom Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
Unter besonderer Berücksichtigung des Santo Dai-Me bzw. Religião do Vegetal



Musik spielt eine außerordentlich bedeutsame Rolle im Leben des Menschen aller Zeiten und Regionen, persönlich für jeden Menschen und kollektiv für das Leben in Gesellschaft. Musik ist Äußerung von Menschen und zugleich Agent, Ausdruck innerer Bewegung, die bewegt und verbindet. Von alters her wird auf die Wirkung der Musik hingewiesen, die sich eng mit ihrer Definition verbindet: Musik bewegt Affekte, weckt oder besänftig emotionale Zustände, hat Macht über den inneren Menschen. Diese Wirkung betrifft nicht nur Stimmungen, sondern auch psychisch-mentale Zustände, sie beeinflusst nicht nur das Gemüt, sondern auch Mentalitäten, prägt Denk- und Sichtweisen. Über die Jahrhunderte wurde auf diese Macht der Musik in Wort und Bild hingewiesen, sie gepriesen, aber auch davor gewarnt. Musik treibt den Menschen in Kampf und Krieg, erregt ihn sinnlich, weckt in ihm Liebesgefühle und bringt ihm Frieden. Die Musik ist von Bedeutung für die zwischenmenschlichen Beziehungen, für das Zusammenleben und so letztlich für die Ordnung des Staates, wie von antiken Philosophen erkannt wurde. Vor allem in Verbindung mit dem Wort bringt sie Botschaften, sie teilt mit, sie kommuniziert, sie kann indoktrinieren.

All diese Feststellungen, die banal und selbstverständlich erscheinen, wurden von einer großen Zahl Denker verschiedener Epochen erwähnt und gedeutet. Das Wissen um diese Macht der Musik führte auch zu deren bewusster Einsetzung, sei es beispiesweise beim Schaffen von patriotischen Gesängen oder Militärmärschen, sei es durch geistliche Musik für den Kult und für die Missionierung. Musik spielte eine außerordentlich bedeutsame Rolle bei der Begegnung zwischen den Völkern, bei derer Gewinnung und bei der Änderung ihrer Religionen, Traditionen und Lebensweisen. Sie wurde vielfach bewusst als Instrument eingesetzt, um Menschen anzuziehen und zu integrieren in ein ihnen zunächst fremdes System von Auffassungen des Welt- und Menschenbildes mit anderen historischen Referenzen, was zugleich eine Desintegration von angestammter Ordnung bedeutete.

Die Gewinnung und die Veränderung bezieht sich auf den Einzelnen und auf die Gruppe. Die Geschichte der Eroberungen bietet zahlreiche Beispiele für die Einsetzung der Musik als Waffe. Fasziniert und psychisch-geistig erobert wurden zunächst Führer und Häupter im Wissen, das von oben herab sich auch die ihnen untergeordneten Menschen ändern. Bei Änderung der Strategie wurde von unten nach oben vorgegangen, einzelne Menschen wurden angezogen und erobert, die dann die tradierte Ordnung des Ganzen zu Fall brachten. Die Musik spielt eine bedeutsame Rolle sowohl bei der Änderung von gefühlsmäßigen Bindungen der Zugehörigkeit zum Angestammten als auch mental durch Neureferenzierungen nach einem zunächst fremden historischen Bezugssystem.


Die Formulierung „anthropologische Musikwissenschaft“ ruft allerdings nach klärenden Vorüberlegungen. Sie meint selbstverständlich eine anthropologisch orientierte Musikwissenschaft. Verbreitet als Benennung eines entsprechenden bzw. naheliegenden Studienbereiches ist Musikethnologie. Die Auseinandersetzung mit dem Thema dient bereits als Einführung in wichtige Probleme der heutigen Debatten, die mit den Begriffen Ethno und Anthropos in der Wortbildung zusammenhängen: Ethnopluralismus mit seinen völkischen Implikationen einerseits, andererseits Anthropozentrik, die dem ökologischen Drama der Gegenwart zugrundeliegt.

Diese begrifflichen Auseinandersetzungen werden seit Jahrzehnten angestellt und fürhten nicht immer zu zufriedenstellenden und kongruenten Ergebnissen. Sie betreffen die Diskussion über die Benennung von Fachbereichen empirischer Forschung, was auch Differenzen hinsichtlich theoretischer Ansätze und Gewichtungen impliziert. Die Bezeichnungen Völkerkunde und Volkskunde – vor allem in romanischen Ländern Ethnographie/Ethnologoie und Folklore (Folklore-Forschung, Folklorologie) genannt – wurden wegen des Volk-Begriffs seit Jahrzehnten kritisiert und vielfach durch Ethnologie und „europäische Ethnologie“ ersetzt. In mehreren Ländern bestand parallel zur Ethnologie die Sozialanthropologie, die auch als Kulturanthropologie bezeichnet wird. Vielfach wurden und werden diese Begriffe für die Ethnologie verwendet. Alle solche Unbennungen wurden und werden mit Debatten begleitet, ließen neue Fragen aufkommen und verlangten Präsizierungen. In der Musikwissenschaft setzten sich die Begriffe Musikethnologie oder Ethnomusicology/Etnomusicologia für die musikalische Völkerkunde durch, die eigentlich verschiedene Sinngehalte haben, da sie sich jeweils auf die Ethnologie oder die Musikologie beziehen. Sie wurden vielfach als Ersatz für die altehrwürdige Vergleichende Musikwissenschaft verwendet, was abwegig ist, denn diese bezeichnet eigentlich primär eine Verfahrensweise. Die amerikanische Ethnomusicology wurde vor allem durch die weite Verbreitung des Werkes Anthropology of Music von Alain Merriam (1923-1980) vielfach undifferenziert als Musikanthropologie aufgefasst. Auch hier ist zu unterscheiden, ob die Forschung aus der Perspektive der Anthropologie oder aus der Musikwissenschaft erfolgt. Bei allen gemeinsamen Schnittstellen und interdisziplinären Interaktionen bringen die Zuordnungen verschiedene Gewichtungen und aus der Forschungsgeschichte andersgeartete Voraussetzungen mit sich. Aus diesen Erwägungen mag die Bezeichnung anthropologiosche Musikwissenschaft zu erklären sein. Gemeint ist eine anthropologisch orientierte Musikwissenschaft.


Zur Entwicklung der Studien

Das Verhältnis Musik und Mensch wurde in zahlreichen Texten von Musikgelehrten behandelt, sei es in Einleitungen für die Musikgeschichte, sei es vielfach in bereits alten Beiträgen der Vergleichenden Musikwissenschaft und der Musikethnologie. Sie sind wie oft allgemein gehalten und verallgemeinernd, vielfach literarischer Natur und von philosophischen Erwägungen gestützt.

Die Intensivierung der Erschließung von noch von Wäldern bedeckten Küstengebieten und des Landesinneren Brasiliens durch die Öffnung von Straßen in den 1960er Jahren führte zu vermehrten Kontakten mit indigenen Gruppen. Berichten von Beauftragten für die Kontaktierung und „Befriedung“  indigenen Gruppen (Sertanistas), von anthropologisch ausgebildeten oder interessierten Funktionären, Ingenieuren oder Studenten, die an der „Operação Anchieta“ u.a. Aktionen teilnahmen, sowie von Missionaren fanden weite Beachtung in der Öffentlichkeit. Die dabei entfachten sozialen und kulturellen Veränderungsprozesse mit all ihren tragischen humanitären Folgen erregten die Aufmerksamkeit von Soziologen, Sozialanthropologen und Ethnologen. Unter den vielen Aspekten der Diskussion hoben sich Fragen von Integration und Kulturveränderungen, von Assimilation oder Resilienz hervor, die damals vorwiegend unter dem Begriff Akkulturation behandelt wurden, der sich vor allem mit dem Namen Egon Schaden (1913-1991) verbindet, Verfasser einer führenden „Aculturação Indígena“. Vielfach wurde die Diskussion über die indigene Akkulturation von der Ansicht bestimmt, die Expansion der herrschenden Gesellschaft und die landwirtschaftliche Nutzung bisheriger Urwaldgebiete und damit die Kulturveränderung von Stammesgesellschaften seien unvermeidlich, sodass es nur um eine geleitete Akkulturation gehen könne, eine geführte, möglichst behutsame Integration indigener Gruppen in die herrschende Gesellschaft. Dabei sei die Musik ein wichtiges Mittel, um den Integrationsprozess – auch im Interesse der Straßenbauer und Landwirte – so problemlos wie möglich zu gestalten.

Diese Orientierung der Akkulturationsdebatte wurde grundsätzlich kritisiert im Rahmen der Bewegung zur Änderung von Denk- und Sichtweisen in Kultur- und Musikstudien. Eine aus Sicht einer Politik, die sich allein von wirtschaftlichen Entwicklungsgedanken (política desenvolvimentista) leiten ließ, widersprach ethischen Prinzipien und einer Wissenschaft, die in den indigenen Kulturen einen unschätzbaren Wert erkannte. Die Musik sollte nicht instrumentalisiert werden im Dienste der Anziehung und Gewinnung, der Desintegrtion angestammter Kontexte, des Verlustes von Traditionen, was letztlich Not, Leid und Umweltzerstörung mit sich brachte. 1971 wurde für die Beobachtung der Veränderungsprozesse durch die Öffnung von Straßen eine Forschungsreise entlang der Ostküste der Staaten Espírito Santo und Südbahia durchgeführt, die von einer neu gebauten Küstenstraße durchzogen wurde. Die Beschäftigung mit der tragischen Problematik der Aymorés, die die Geschichte und Kulturgeschichte Brasiliens über die Jahrhunderte prägt, markierte den Beginn der prozessorientierten Musikkulturforschung indigener Völker im Fachbereich Musikethnologie, der an der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts von São Paulo 1972 eingerichtet wurde.

Diese Einführung der Musikethnologie auf Hochschulebene wurde in den 1970er Jahren von theoretischen Überlegungen über Begrifflichkeit, Gegenstand der Forschung und adäquate Ansätze und Verfahrensweisen begleitet. Die aus der Universitätspraxis des USA übernommene Bezeichnung Ethnomusicology wurde von Anfang an Ziel kritischer Überlegungen. Das Verhältnis zur Volkskunde bzw. Folklore-Forschung und zur Vergleichenden Musikwissenschaft war ein stetiger Gegenstand der Diskussion. Die europäische und nordamerikanische Literatur musste aus der Perspektive Brasiliens studiert und nach der Geeignetheit ihrer theoretischen Ansätze für Forschung, Lehre und ihre Anwendung in der Musik- und Kunsterziehung überprüft werden.

Wenn auch die thematische Gewichtigung auf der urbanen Musikethnologie in der Metropole São Paulo mit ihren Bevölkerungsgruppen verschiedener Abstammung lag, richtete sich auf nationaler Ebene der Blick auf die indigenen Gruppen und auf die Veränderungen ihrer Lebensweise und Kultur durch die Prozesse, die seit der Entdeckung des Landes 1500 einsetzten. Die Debatte um Begrifflichkeit, Bezeichnung und Gegenstand der Forschung wurde durch die Zusammenarbeit mit Vertretern der Sozialanthropologie an der Universität São Paulo beeinflusst. Der Terminus Anthropologie der Musik setzte sich zunehmend durch, wozu das weit verbreitete Werk Anthropology of Music von Alain Merriam beitrug, das auch als Handbuch der Studierenden verwendet wurde. Allerdings wurde sie unter verschiedenen Aspekten unterschiedlich aufgefasst als eine anthropologisch ausgerichtete Musikforschung im weitesten Sinne. Impulse aus der Kommunikationstheorie und insbesondere der Visuellen Kommunikation und der Analyse der Zeichensprache prägten die seitdem durchgeführten Studien.

Dazu trug die Feststellung bei, dass für die praktische Tätigkeit der Musik- und Kunsterzieher, aber auch für die Forschung und die Überprüfung eigener Kulturkonditionierung der Forscher das Verstehen des Sinnes der tradierten Musikpraktiken, Tänze und Spiele notwendig war. Da auf dem amerikanischen Kontinent, vor allem in Lateinamerika – aber auch in anderen Erdteilen – Musikpraktiken, Spiele und Tänze während der Expansion Europas, der Christianisierung und der Kolonisierung übertragen worden sind, stellt das Verstehen ihrer Zeichensprache die Voraussetzung für alle Studien von Interaktionen und Wandlungen dar. Die geeignete Lektüre der Zeichensprache dieser Tänze und Spiele tradierter Festpraktiken kann den Zugang zu einem System von Auffassungen von Welt und Mensch ermöglichen, die den Musikforscher und -erzieher konditionieren und systemische Mechanismen offenbaren, die auch seine Handlungsweisen gegenüber Umwelt und indigenen Völker erklären helfen.

Diese theoretischen Ansätze erfordern eine Überprüfung von Auffassungen hinsichtlich Kulturveränderungen, was bei Kolloquien zur Akkulturation u.a. mit dem Musikethnologen Klaus Wachsmann (1907-1984) in Köln 1975 und 1976 diskutiert wurde.


Bei den von Institutionen der Europäischen Gemeinschaften veranstalteten internationalen Symposien zu wechselseitigen Einflüssen zwischen Europa und Lateinamerika in Brüssel 1983-1985 sowie bei Kolloquien im Zentrum für die Wissenschaften vom Menschen in der ehemaligen Abtei Royaumont, Frankreich, wurden die mangelhaften Kenntnisse über die in der Zeichensprache tradierten Festpraktiken vermittelten immanenten Auffassungen vom Menschen – eine intrinsische Anthropologie – als ein Hauptproblem der Kulturwissenschaft in euro-lateinamerikanischen Rahmen hervorgehoben.

Die Notwendigkeit einer eingehenderen, theoretisch reflektierten Auseinandersetzung mit diesem Verhältnis, die seit langem erkannt worden war, führte in den 1980er Jahren zu einem großangelegten Projekt des Internationalen Musikrates, das die Musik im Leben des Menschen – Music in the Life of Man – zum Thema hatte. Ein wichtiger Leitgedanke des Projekts lag darin, das Thema von Musikforschern aus den verschiedenen Regionen der Welt betrachten zu lassen. Eine Musikwissenschaft, die sich auf die Welt als Ganzes richtet und auf globale Zusammenhänge achtet – ein Erfordernis in einer Zeit, die von Globalisierung geprägt ist –, sollte sich selbstredend nicht auf Europa beschränken oder eurozentrisch vorgehen. In verschiedenen Regionen der Welt wurden Tagungen abgehalten, um die komplexe Vielfalt der theoretischen Ansätze zu diskutieren.

Die Studien und Analysen dieser tradierten Musikpraktiken, Tänze und Spiele zeigen, dass die ihnen innewohnende Welt- und Menschensicht auf Auffassungen zurückgeht, die zu Beginn der jetzigen Zeitrechnung verchristlicht worden sind und auch der biblischen Tradition zugrunde lagen. Die Vorstellungen vom Menschen, die in untrennbarer Beziehung zu Auffassungen von Kosmos und Natur standen, ließen ein System erkennen, das sich auf die nördliche Hemisphäre bezieht.

Aus dieser Erkenntnis heraus stellte sich Frage, wie diese Auffassungen der Welt- und Menschensicht, die durch die christliche Tradition trotz Veränderungen überliefert worden sind, mit denen von Völkern, die unterhalb des Äquators lebten und von den Europäern kontaktiert wurden, interagierten. Die musikanthropologischen Untersuchungen wurden auf indigene Stämme Südamerikas gerichtet, aber auch auf afrikanische Völker, australische Aborigenes und pazifische Insulaner, und stützten sich auf Feldforschungen und Studien historischer Quellen.

Dieses Anliegen wurde vor allem dadurch erschwert, da seit der Kontaktierung durch die Europäer bereits mehrere Jahrhunderte verstrichen sind, was durch die durchgreifende Missionierung zu einem erheblichem Verlust eines angestammten Ganzen von Vorstellungen geführt hat. Ein vor-christliches System der Welt- und Menschensicht ist in vielen Fällen kaum mehr erkennbar bzw. rekonstruierbar. Bei den in den 1990er Jahren durchgeführten Arbeiten richtete sich die Aufmerksamkeit auf Beziehungen der Auffassungen indigener Völker zu Himmelskonstellationen in Mythen und in der Bildersprache. Auch wurden die Probleme erwähnt, die daraus entstehen, dass dabei Konstellationen und eine Ausrichtung der Bildersprache des Himmels auf den Norden nur durch Wanderungsbewegungen zu erklären sind, die vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden vom Norden her erfolgt sein mussten.

Beim Kongress „Musik und Visionen“ zur Eröffnung wissenschaftlicher Arbeiten zum 500. Jahr der Entdeckung Brasiliens wurde die Aufmerksamkeit auf das Visuelle, das Visualisierte und die in Bildern übertragenen Vorstellungen vom Menschen in Musikpraktiken, Tänzen und Spielen gerichtet.

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Vorausgegangenes

2002. Maraca-Viola. Indigene Musikkulturen und die Erschließung Amazoniens. Debatten in Städten São Paulos

1998. Internationales Kolloquium Anthropos ludens. Universitäten Köln, Coimbra, Porto, Évora, São Paulo

1994. Kolloquien zur aktuellen Problematik indigener Kulturen im Inland Brasiliens, Mato Grosso do Sul, Mato Grosso, Rondonia, Goiás

1993. Kolloquien zur aktuellen Problematik indigener Kulturen am Amazonas. Acre, Amazonas, Roraima, Pará

1992. Kolloquium zum Stand der Forschung indigener Musikkulturen, Abteilung für Ethnologie, Nationalmuseum, Rio de Janeiro

1987. Ausstellung indigener Musikinstrumente und Debatte, I. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft, Museum der Universität São Paulo

1985. Kolloquium zu den Wissenschaften vom Menschen im Zentrum für Fundamentale Anthropologie, Royaumont

1984/85. Debatte zur intrinsischen Anthropologie in der Bildersprache von Traditionen Lateinamerikas, Europäische Gemeinschaften, Brüssel

1985. Projekt Music in the Life of Man, International Music Council/UNESCO

1983. Studien am Dept. Anthropology, Smithsonian Institutions/USA

1980. Studien am Musée de l’Homme, Paris

1975/76. Zusammenarbeit mit H. Kühne zu indigener Ethnologie am Institut für Völkerkunde der Universität Köln

1971. Forschungsprojekt: Probleme indigener Gruppen Südbahias durch den Straßenbau, Erstes großangelegtes Projekt zur Kulturveränderung

1970. Round table am Suplemento Literário, O Estado de São Paulo

1969. Debatte zur Akkulturation, Curitiba, Paraná



Zum Oberseminar in Bonn 2002/03

30 Jahre nach der Einführung der Musikethnologie auf Hochschulebene in Brasilien an der Fakultät für Musik- und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo (IMSP) und 10 Jahre nach Beginn des Projekts zur Erfassung des Wissens über die indigenen Musikkulturen wurde 2002/03 ein Oberseminar an der Universität Bonn abgehalten mit dem Ziel, Bilanz zu ziehen über Studien, Themen, Projekte und Debatten dreier Jahrzehnte. An dem Bonner Oberseminar nahmen auch Studierende der Universität Köln teil, die zuvor bei musikanthropologischen Tagungen mitwirkten, die von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft sowie vom Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes im In- und Ausland veranstaltet worden waren. Sie brachten somit Vorkenntnisse mit, die vertiefte Diskussionen ermöglichten.

Anhand ausgewählter Beispiele dieser Untersuchungen sollten beim Kolloquium an der Universität Bonn die bereits in Vorträgen vorgestellten Ergebnisse der Gespräche, Beobachtungen und Studien in den verschiedenen Staaten Brasiliens sowie die veröffentlichten Studien zu Instrumenten, Mythen und Tänzen nochmals aufgerollt, überprüft und weiter diskutiert werden. Insbesonders sollte die Aufmerksamkeit auf Fragen des Verhältnisses zwischen Musik und Mensch, zu psychisch-mentalen Vorgängen im singenden Menschen und zur beabsichtigten Wirkung des Gesanges, seiner Beziehung zur Welt- und Menschensicht, zu übernatürlichen Wesen und zu den Tieren und der lebendigen Natur gerichtet werden. Die durch die Musik und Musikinstrumente feststellbaren Beziehungen zu Geisterwesen sollten anhand der Studien über neue Kultformen Amazoniens, die bereits Einflüsse christlicher Auffassungen erkennen lassen, besprochen werden.

Dabei wurden Studien, die seit 1981 beim „Santo Dai-Me“ im Amazonas-Gebiet durchgeführt wurden, im Sinne des beim Kongress 1999 thematisierten Verhältnissen zwischen Musik und Visionen durch die Berücksichtigung der auch in Europa sich verbreitenden Praktiken halluzinogener Erfahrungen beim Ayuhasca-Konsum in der „Religion des Vegetabilen“ (Religião do Vegetal) aktualisiert.

Dieser Rückblick sollte dazu dienen, den Stand der Forschung und deren Schwierigkeiten und Probleme kennenzulernen sowie eine Auseinandersetzung mit den Tendenzen des Denkens und den theoretischen Ansätzen zu einer Musikanthropologie bzw. Anthropologie der Musik anzuregen. Durch diese Bestandsaufnahme und eine dadurch gewonnene Verortung sollte der Weg für eine bewusste und reflektierte weitere Vorgehensweise geebnet werden.

Das Colloquium war dementsprechend zukunftsorientiert. Sein Ziel war es, die laufenden Projekte unter der Perspektive der kulturwissenschaftlichen Neuorientierungen in der Fortsetzung der auf die 1960er Jahre in São Paulo zurückgehenden Erneuerungsbewegung  zu betrachten, in den bisherigen Studien die Auswirkung kulturwissenschaftlicher Forschungseinstellungen zu erkennen und sie vor allem im Licht der interpretativen und performativen Wende in der Anthropologie und Ethnologie zu diskutieren.

Texte bisheriger Forschung wurden unter der Perspektive betrachtet, inwieweit der Forscher sich auf das ihm Fremde einließ und seine Beschreibung aus dem Deutungshorizont der Protagonisten selbst erarbeitete.


Berücksichtigte Literatur zu Grundfragen

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Besprechung von Projekten, die vom Seminarleiter geleitet bzw. koordiniert wurden

Beitrag aus dem Symposium in São Paulo 1981

Andrade, J. "Musica e dança na 'miração' do Santo-Dai-Me" in A.A.Bispo et alii, Collectanea Musicae Sacrae Brasiliensis. Musices Aptatio/Liber Annuarius/Jahrbuch 1981. Roma: 1981, 299-316

Beiträge aus dem Symposium in Bonn/Köln 1989

Andrade, J. "Pajé Serafim. 'Santos' und 'Encantados' em Porto do Meio (Vigia, Pará)". Musices Aptatio/Liber Annuarius/Jahrbuch 1989/90, 249-257
------------. "Gesänge des Königs Sebastian und des Ochsentreibers/Fürsten bei Mãe Marciana aus Teresina (Piauí). ibidem 267-270

Bispo, A.A. "Zu Musik und Musikanschauung in der Umbanda und in verwandten Traditionsformen". Ibidem 271-332


Beiträge aus dem Projekt „Die Musikkulturen der Indianer Brasiliens 1994-2001“
durchgeführt mit Unterstützung durch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland. Rom: 1994/5 (I), 1996/1997 (II), 1998/99 (III), 2000/01 (IV)

Andrade, J. et alii. "Karipuna e Galibi-Morworno erzählen, wer und wie sie sind": I, 1997, 427

Bispo, A.A. "Die Musikkulturen der Indianer Brasiliens. Stand und Aufgaben der Forschung": I, 15-72; II, 7-34;  IV, 9-419
------------. (Koord.) "Desiderio Aytai. Eine Auswahl musikethnologischer Arbeiten": III, 145-270
------------. "Diskussion und Untersuchung von Klang-und Bilddokumentationen: Einige Arbeiten": IV, 467-471

Calado, M.A. "Rasohó. Das Wiegenlied des Karajá von Aruanã, Goiás": II, 191-238
------------. "Klänge des unsichtbaren Volkes": III, 289-306

Canzio, R. "Die Bororo von Mato Grosso: Ritueller Ablauf und Klangproduktion": II, 135-190

Dias Barbosa, Valber. "Krahô. Opposition als Erfordernis des Lebens in der Welt der Lebenden": II, 239-250

Duck, D. "A recording of ÄrÄruia" from the Macushi in Roraima": IV, 504-511

Fernandez, L. "Enauené-naué (Mato Grosso), 'Benediktiner des Waldes'. Einige Aspekte der rituale Yaunkwá": III, 274-278

FUNAI. Correa, O. M. E./ Campos de Almeida, T.M. "Forschung über die indigene Musik in Brasilien": I, 595-597

Gomes Gruber, J. "Musikinstrumente der Ticuna": II, 79-106

Hussak van Velthem, L. "Klänge früherer Zeiten. Instrumente und musikalische Auffassungen der Wayana": II, 121-134

Lachnitt, G. "Die Musik in der gegenwärtigen Missionsarbeit bei den Xavante": IV, 420-443

Lesslauer, C. "Kulturelle und musikalische Aspekte der Musik der Nambiquara, Mato Grosso": II, 267-438

Museu do Indio. Pereira Couto, Ione Helena. "Musikinstrumente: Vehikel für die Kommunikation zwischen Natur und mythisch-religiösem Universum der Indianer": I, 617

Nunes, M.E.B.A. "Das Tonarchiv des IGPA": II, 251-266

Pereira de Tugny, R. "Aufzeichnung und musikalisches Gedächtnis im Kontext interkultureller Beziehungen" IV, 444-466

Rios Pedroso, D. M."Die Avá-Canoeiro" III, 279-288

Rodekuhr, PO. "Zu einigen Aufnahmen von Indianer-Gesänge Acres": IV, 497-503

Rosas Fernandes, M.H. "Transkriptionen von Musikbeispielen einiger Indianer-Gruppen: Asurini, Urubu Kaapor, Waurá, Bororo, Pakaás Novas: III 397-492

Setti K. . "Die Guarani-Mbyá Brasiliens: Anmerkungen zu Geschichte, Kultur und Musiksystem": I, 114-182
-----------. "Die Klänge des Perekahek am Rio Vermelho" I, 241-270

Teixeira, A.L. "Flötenmusik indianischer Völker des Xingú-Gebietes": IV, 512-528



Beiträge aus dem Kongress "Musik, Projekte und Perspektiven“ 2002

Bispo, A.A. "30 Jahre dokumentarischer und quellenkritischer Initiativen zur Verarbeitung der Vergangenheit und zu Veränderungen von Wissenskulturen im Dienst der Zukunft". Kongreßbericht. Köln 2003, 325-331

Pereira de Tugny, R. "Zu: Memoria und Musik bei identifikatorischen Prozessen in kulturanthropologischen Experimenten eines interkulturellen Labors: Fallstudien gegenwärtiger Modelle". Ibidem 335-346

Dias, Valber. "Zu: Transkulturelle Selbsterfahrung des indigenen Werdens in von Musik geprägten Welten: Binarität und soziale Harmonie stammesbezogener Organisationsprinzipien". Ibidem 221-225

Schwenzel, E. "Dokumentarfilme als historische Quellen für Wissenschaft und Rekonstruktion indigener Geschichte und Identität". Aus dem Kolloquium 2001 der Akademie Brasil-Europa. Ibidem 226-231










Vrtreter der Xderente und Krahô beim Kongress Euro-Brasilianischer Studien, Ltg. A.A.Bispo
Xerente-Teilnahme beim Kongress 2002 in Joanópolis
 Vertretung der Xerente beim Kongress eurobrasilianischer Studien 2002
Vertretung der Krahô beim Kongress eurobrasilianischer Studien 2002
Indigene Mitwirkung in der wissenschaftlichen Diskussion
Indigene Mitwirkung in der wissenschaftlicher Arbeit
Vertretung der Krahô beim Kongress eurobrasilianischer Studien 2002