AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

MUSIK DES 20. JAHRHUNDERTS

LE GROUPE DES SIX


Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo


Universität Bonn
Seminar – WS 2002/03


Im Zentenar von Hans Heinz Stuckenschmidt 2001 (1901-1988)
& im Jahr der Ausstellung Jean Cocteau – sur le fil du siècle, Centre Pompidou, Paris

Im Anschluss an den Internationalen Kongress Musik und Visionen, Deutsche Welle, Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, Köln 1999

Als Vorbereitung zur Tagung zu Darius Milhaud (1892-1974) im Sítio Burle-Marx ISPHAN, Guaratiba/Rio de Janeiro 2004




Im 21. Jahrhundert ist das 20. zu Geschichte geworden, was durch den Millenium-Wechsel noch akzentuiert ist. Es wird in paradoxer Weise ein Jahrhundert zumVergangenen, das sich in vielen Bereichen des Wissens, von Kultur, Kunst und Musik sich durch das Abheben vom 19. Jahrhundert, vom Alten und Überholten, verstand und sich als Jahrhundert der Moderne präsentierte. Es war ein Jahrhundert vielfältiger neuer Impulse und Tendenzen zum Neuen und Zukunftsweisenden im Denken und Schaffen, der Avantgarde in verschiedenen Kunstrichtungen und der Neuen Musik. Es ist paradox und sonderbar, dass ein Jahrhundert, das unter vielen Aspekten vom Anspruch und Pathos des Neuen und Avangardistichen mit ihren Bewegungen zur Durchsetzung und Verbreitung zeitgenössischer Kunst und Musik erfüllt war, nicht mehr zeitgenössisch ist. Futuristisches wird Gestriges, Zeitgenössisches wird Ehemaliges. In seinem Ablauf wurde das 20. Jahrhundert von Studien, Überlegungen, Stellungnahmen und Manifesten begleitet, die die neuesten zeitgenössischen Entwicklungen betrafen, und die ehemals rezenten, zukunftsweisenden Texte zur Musik sind heute historische Zeugnisse, Quellen für eine Musikgeschichte eines vergangenen Jahrhunderts. Diese Literatur, die einmal zeitgenössisch war, ist nun selbst als Quelle Gegenstand historischer Betrachtung. Sie muss in ihren Kontexten, Voraussetzungen und Wirkungen, ihren Autoren und deren Netzwerke in den Prozessen, in die sie sich einfügten, gelesen werden.

Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, dass das 20. Jahrhundert einer endgültig beendeten Vergangenheit angehört. Diese Vorstellung eines abgeschlossenen Zeitraumes ist unangemessen und gar illusorisch. Die Entwicklungen, die in ihm entfacht wurden, stellen Voraussetzungen für neue dar, wirken weiter, wenn auch unter Veränderungen, (Dis-)Kontinuitäten und Brüchen. Die Betrachtung des 20. Jahrhunderts – des Vergangenen von der Gegenwart aus – verlangt die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes, auf  unter verschiedenen Aspekten Grenzen Überschreitendes, auf weltweite Zusammenhänge und Interaktionen, und ist selbst notwendigerweise sphären- und fachübergreifend inter- und transdisziplinar. Auch die Einschnitte im geschichtlichen Verlauf sind in ihrer Verwobenheit in Prozesse aus der Distanz zu analysieren.



Das 20. Jahrhundert wurde in tragischer Weise von zwei großen Weltkriegen markiert, die ein Referenzialsystem für eine Strukturierung der Betrachtung bieten. Sie bestimmten –  auch im Musikleben und -schaffen – Veränderungen von politischen Ordnungen, internationalen Beziehungen, Gewichtungen und Umorientierungen. Das Ende des 19. Jahrhunderts trat unter verschiedenen Aspekten eigentlich nicht 1900 ein, sondern mit dem Ende der alten Ordnung Europas durch den I. Weltkrieg. Der Zusammenbruch einer Welt, die saturiert und voller innerer Spannungen war, war zwar bereits in den Jahren vor 1914 vorgezeichnet, was an wichtige Marksteine setzenden Kunst- und Musikwerken abgelesen werden kann, wie dem kurz vor dem Ausbruch des Krieges im Mai 1913 in Paris uraufgeführten Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky. Die auch einen Skandal hervorrufende, kurz vor Ende des Krieges 1917 in Paris aufgeführte Parade von E. Satie, J. Cocteau, L. Massine, L. Pablo Picasso für die Balletts Russes unter Leitung von S. Djagilew stellte ein weiteres Schlüsselwerk, ein Markstein für eine neue Zeit, in der Paris in den 1920er Jahren zum weltweiten Ausstrahlungszentrum neuer Tendenzen im Denken und Schaffen wurde. Zu den führenden Gestalten, die diese Impulsen zum Neuen gaben, gehörten Jean Cocteau, Erik Satie und die Groupe des Six: Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud, Francis Poulenc, Germaine Tailleferre. Es ist bezeichnend, das bei der Erneuerung des Mozarteums in Salzburg, die seit 1917 von Bernhard von Paumgartner initiiert wurde, Darius Milhaud mit seinen „Saudades do Brasil“ zu einem Emblem der jungen Musiker wurde, die eine neue Ära des österreichischen Musiklebens nach dem verlorenen Krieg anstrebten.

Keinesfalls darf sich die Betrachtung der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts auf Europa beschränken, auch nicht auf die Extension europäischer Musikentwicklung nach Amerika und andere Erdteile, oder auf die Rezeption europäischer Tendenzen durch außereuropäischen Komponisten und Kulturtheoretiker reduzieren. Die Musikgeschichtsbetrachtung muss sich auf Prozesse in globalen Zusammenhängen richten und sich bemühen, sich eine Perspektive anzueignen, die nicht von Westeuropa ausgeht oder überhaupt eurozentrisch ist. Nicht nur die Bedeutung der russischen Tänzer, Choreographen und Musiker, sondern auch ein Werk wie „Saudades do Brasil“, das Elemente brasilianischer Volks- und Popularmusik verarbeitet, erinnern daran, dass Prozesse berücksichtigt werden sollten, die in anderen Kontexten verlaufen. Auch und vor allem der Einfluss des Jazz auf das Musikschaffen im Paris der Nachkriegszeit hebt die Bedeutung außereuropäischer Musikkontexte und -entwicklungen für die Musik Europas hervor.

Keinesfalls auch darf sich die Betrachtung der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts auf Komponisten, Werke und Musikentwicklungen beschränken, die einer Kunstmusik zugerechnet werden. Sie darf sich nicht auf neue Satztechniken und Gestaltungsprinzipien, auf musikästhetische Tendenzen der Avangarde, auf Studien der Polytonalität, der freien Tonalität, der seriellen Musik, der Dodekaphonie, der elektronischen, stochatischen Musik u.a. beschränken. Das 20. Jahrhundert war auch maßgeblich durch die Bühnen- und Filmmusik, durch die Unterhaltungs-, Tanz- und Theatermusik, durch Musicals und Shows, durch Popularmusik in ihren unterschiedlichen Formen und durch die Musik in den Medien geprägt. Nur eine Betrachtungsweise, die grenzüberschreitend Trennungslinien kategorisierter Sphären der Kunst- und Popularmusik überwindet, kann der Musikgeschichtsbetrachtung des 20. Jahrhunderts angemessen sein. Dafür muss sie kulturwissenschaftlich orientiert und aus dem Blickwinkel reflektierter theoretischer Ansätze geführt werden. Wenn aus pragmatischen Gründen Einschränkungen des Blickfeldes vorgenommen werden, soll dies stets im Bewusstsein ihrer Unzulänglichkeit geschehen.



Zur Entwicklung der Studien

Die Überlegungen knüpften an Debatten an, die im Museum Zeitgenössischer Kunst der Universität São Paulo und im Rahmen der Bewegung zur Erneuerung von Denk- und Sichtweisen sowie des Musikrepertoires erfolgten, die sich Mitte der 1960er Jahre in São Paulo entwickelte und 1968 zur Gründung der Gesellschaft Neue Diffusion mit einem Zentrum zur Erforschung der Musikforschung führte. Sie erfolgten in enger Zusammenarbeit mit Paulo Affonso de Moura Ferreira, der Zentren zeitgenössischer Musik wie die Ferienkurse in Darmstadt und die Donaueschinger Musiktage besuchte und sich für die Verbreitung der Neuen Musik in zahlreichen Konzerten mit der Neuen Diffusion einsetzte. Als Vorsitzender der nationalen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Zeitgenössische Musik und in seinem Wirken an der Universität Brasília verfolgte er über die Jahrzehnte die internationalen Entwicklungen der Musik des 20. Jahrhunderts. An die enge Beziehung Brasiliens zur Musikentwicklung Frankreichs der 1920er Jahren wurde stets erinnert. Mehrere brasilianische Musiker und Komponisten lebten in Paris und unterhielten Beziehungen zu Mitgliedern der Groupe des Six. Dabei wurden u.a. die Gymnopedies von Erik Satie und die Ballet réaliste Parade von Jean Cocteau sowie „Saudades do Brasil“ gleichsam emblematisch aufgeführt und analysiert. 1970 wurde erstmalig ein Kurs „Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“ im Konservatorium des Forschungszentrums ND offiziell anerkannt. Zahlreiche Komponisten des In- und Auslandes trugen zu den Studien bei, vor allem auch die Komponisten der „Grupo de Compositores da Bahia“, die dem vom Hans J. Koellreutter gegründeten Seminar angehörten. Zugleich wurde der erste Kurs auf Postgraduierten-Ebene für Zeitgenössische Musik an der Fakultät für Musik- und Kunsterziehung des Musikinstituts S. Paulo veranstaltet.

Die Studien zur Musik des 20. Jahrhunderts wurden im Rahmen des Programms zur theoretischen Erneuerung von Kultur- und Musikstudien in internationaler Kooperation ab 1975 an der Musikhochschule Kölns bei Johannes Fritsch fortgesetzt. 1976 folgten Gespräche mit Pierre Boulez und Patrice Chereau in Bayreuth. Beim kulturwissenschaftlich orientierten Internationalen Symposium in São Paulo 1981 wurde ein Tag der zeitgenössischen Produktion geistlicher Musik gewidmet. Beim I. Brasilianischen Kongress für Musikwissenschaft im Villa-Lobos-Jahr 1987 wurde das Musikschaffen des 20. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Zeitgenössische Musik diskutiert. Beim II. Kongress in Rio de Janeiro 1992 wurden zeitgenössische Werke uraufgeführt, wie auch beim Internationalen Kongres „Musik und Visionen“ 1999 in der Deutschen Welle in Köln.




Vorausgegangenes

2001/02. Musik Portugals. Im Andenken an Jorge Peixinho. Zum 60.Jahr Emmanuel Nunes. Universität Köln

2001. Brasil 2001. Kolloquium. Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS, Köln

2000. 20. Jahrhundert. Musik in der Begegnung der Kulturen. Vorlesungsreihe Universität Köln

1997. Prinzip des Schaffens junger Komponisten des Mozarteums um 1920. Vorlesung. Universität Köln

1992. Uraufführung von Werken zeitgenössischer Komponisten beim II. Brasilianischen Kongress für Musikwissenschaft. Zum 500. Jahr der Entdeckung Amerikas. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. ISMPS. Bundesuniversität Rio de Janeiro, u.a. Rio de Janeiro

1987. Die Brasilianische Gesellschaft für Zeitgenössische Musik beim I. Brasilianischen Kongress für Musikwissenschaft. Kultursekretariat São Paulos. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft. ISMPS. UNESP, Universitäten São Paulo, Rio de Janeiro, Goiás, Brasília, Rio Grande do Sul u.a.

1983. Zeitgenössische Musik und Jazz. Mit Chuck Cornish. Deutsch-amerikanisches Musikforum mit Musikschulwoche. US-Botschaft, Amerikanische Schule Bonn, Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, Musikschule der Stadt Leichlingen

1981. Zeitgenössische Musik aus Brasilien. Deutsch-brasilianisches Musikforum mit Musikschulwoche. Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft, Brasilianische Botschaft. Musikschule der Stadt Leichlingen

1981. Geistliche Musik des 20. Jahrhunderts. Konzerte und Debatten. I. Internationales Symposium Kirchenmusik und Brasilianische Kultur. Kultursekretariat des Staates São Paulo. Musikethnologische Abteilung des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien, Universitäten, Forschungsinstituten, Museen u.a.

1977. Zeitgenössische Musik brasilianischer Komponisten in der Rheinischen Musikschule. Köln

1976. Dialoge mit Pierre Boulez und Patrice Chereau. 100. Jahr des Festspielhauses Bayreuth. Bayreuth

1975. Dialoge und Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Stockhausen und Johannes Fritzsch. Musikhochschule Köln

1972. Kolloquien am Seminar für Musik in Salvador, Bahia. Lindenbergue Cardoso, Walter Smetak u.a.

1971-1973. Zeitgenössische Musik als Postgraduierung an der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo

1971. Zeitgenössische Musik und Ästhetik. P.A. Moura Ferreira, Yulo Brandão. Universität Brasilia

1971. Vortrag von Gilberto Mendes und Debatte am Zentrum für Forschungen für musikwissenschaftliche Forschungen/ND. São Paulo

1971-1973. Werke deutscher Komponisten des 20. Jahrhunderts. Konzerte und Vorträge. Konservatorium J. America. Zentrum für Forschungen in Musikforschung ND. São Paulo

1970. Zeitgenössische Musik für Klavier an der Stiftung für Kunst von S. Caetano do Sul

1970. Herbstfestival der Nova Difusão. Kulturamt der Stadt São Paulo. Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen ND, u.a.

1969-70. Zusammenarbeit mit Michael Beroff, Ernst Widmer, Ernst Mahle, Pierre Klose, Walter Smetak, Jamary de Oliveira , Jorge Peixinho u.a. Internationale Kurse von Curitiba, Musikfestival von Paraná

1969. Zusammenarbeit mit P.A. Moura Ferreira. Musik der Avantgarde/Neue Musik in Konzerten und Debatten. Musikhochschule St. Marcelina, Theater Anchieta, Gesellschaft Nova Difusão. São Paulo

1968. Gründung des Zentrums für musikwissenschaftliche Forschungen/ND. São Paulo

1967. Zusammenarbeit mit P.A. Moura Ferreira. Zeitgenössische Musik Polens. Warschauer Herbst. Museum Zeitgenössischer Kunst der Universität São Paulo



Zum Seminar in Bonn 2003

2002/03 wurde an der Universität Bonn ein Grundseminar zur Einführung in die Musik des 20. Jahrhunderts durchgeführt, in dem Jean Cocteau, Erik Satie und die Groupe des Six in ihrer Ausstrahlung in die Welt besonders berücksichtigt wurden. Die Studierenden sollten sich mit der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts aus der Sicht einer Musikforschung auseinandersetzen, die auf globale Prozesse in internationalen Zusammenhängen abzielt und interdisziplinär verfährt. Dementsprechend wurde der geschichtliche Verlauf des Musikschaffens und des Musiklebens in seinen Beziehungen zu politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen nicht nur in Europa, sondern im weltumfassenden Rahmen betrachtet. Aus der Literatur zur Musik des 20. Jahrhunderts wurden ausgewählte Publikationen zum besonderen Studium und zur Vorbereitung von Referaten ausgewählt. Dabei wurden einleitend die wichtigsten Begriffe bei Bezeichnung von Stilen und Strömungen erörtert und die Probleme von Kategorisierungen, Einteilungen und Definitionen in einer Betrachtungsweise, die sich auf Prozesse richtet, herausgearbeitet. Vor allem die Visionen, die die Entwicklung der Musik des 20. Jahrhunderts leiteten, sollten im Mittelpunkt stehen. Vorausgegangen war der Internationale Kongress „Musik und Visionen“ in der Deutschen Welle in Köln, der 1999 von der Akademie für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft/ISMPS veranstaltet wurde.

Von den Mitgliedern der Gruppe der Sechs wurde vor allem Darius Milhaud (1892-1974) berücksichtigt, der vor Beendigung des 1. Weltkriegs in Brasilien wirkte und dessen Kompositionen Anregungen aus der brasilianischer Popularmusik bezeugen. Bei der eingehenden Beschäftigung mit Milhaud wurden Teilnehmer des Seminars darauf vorbereitet, bei einer ihm gewidmeten internationalen Tagung in Rio de Janeiro 2004 mitzuwirken. Die Bedeutung Darius Milhauds in Entwicklungen in Mitteleuropa, die dem Wunsch nach Wiederaufnahme neuer Beziehungen zum Westen nach dem verlorenem Krieg und dem Zusammenbruch der alten Ordnung Europas entsprachen, wurde anhand historischer Quellen erörtert. Ausgehend von „Saudades do Brasil“ wurde seine Kompositionstechnik analysiert und deren Einfluss auf die Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts dargelegt. Dabei wurde aufgezeigt, dass die Bi- bzw. Polytonalität in der Musikanalyse eine besondere Aufmerksamkeit verlangt, da ihr im Schaffensprozess Milhauds nach französischer musiktheoretischer Tradition ein anderes Strukturierungsprinzip zugrunde liegt.

Anlass für die Veranstaltung war das Zentenar von Hans Heinz Stuckenschmidt 2001, einem der bedeutendsten Musikwissenschaftler und Musikkritiker des 20. Jahrhunderts, der sich mit der Musik seiner Zeit beschäftigte. Seit seinem Aufruf an die jungen Komponisten vom Ende der 1920er Jahren spielte er eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Studien und Überlegungen, auch in Brasilien. Zugleich wurde das Jahr 2003 durch die Vorbereitung und die Veranstaltung der Ausstellung Jean Cocteau – sur le fil du siècle am Museum Pompidou in Paris als ein bedeutenden Ereignis von internationalem Rang geprägt, was die Aktualität einer eingehenden Befassung mit der Gestalt Cocteaus und mit ihm der Groupe des Six hervorhob.

Das zu Ende gegangene 20. Jahrhundert förderte das Bedürfnis nach Rückblicken. Dieses Anliegen bedeutete, einen Überblick über das Vergangene, eine Bilanz und eine Analyse in Hinblick auf Gegenwart und Zukunft zu gewinnen. Vergangenes, Vergehendes und Kommendes wurden in ihren Bezogenheiten auf die Gegenwart erinnert. Diese Vorgehensweise bei der Auseinandersetzung mit einem zeitlichen Prozess ähnelt dem Hören von Musik, bei dem sich der Hörer im gegenwärtigen Wahrnehmen an bereits Verflossenes erinnert und sich dem Kommenden hingibt. Gibt es aber eine Musik des 20. Jahrhunderts? War das Jahrhundert nur eine Kakophonie? Ist zwischen all dem Rauschen, den hässlichen und gehässigen Tönen und Lauten, bei allen Bombardements und Zerstörungen irgend etwas mit Musik metaphorisch Vergleichbares zu vernehmen?

Die Ausstellung zu Jean Cocteau im Centre Pompidou sollte den imultidisziplinären Ansatz seines Denkes und seiner Aktionen – poetry –, seine queren Visionen, die sein Schaffen in vielen Wissensgebieten prägten, sowie seine Bedeutung als Beweger, Kritiker und Kulturschaffender ins Bewusstsein rufen. Dabei wurden die internationalen Wechselbeziehungen besonders beachtet, denn nur dadurch lässt sich die globale Dynamik der Entwicklungen hinlänglich genau erschließen.



Analysierte Werke


Arthur Honneger. Le Dit des Jeux du monde: Les Hommes et la Terre

Igor Stravinsky. Le Sacre du Printemps – Action rituelle

Francis Poulenc. Les Animaux modèles – Le Petit jour

Darius Milhaud. Suite pour violon, clarinette et piano

Erik Satie. Ragtime aus der Parade (Szene und Argument v. Cocteau)

Germaine Tailleferre. Allegro de la Sonatine pour violon et piano

Louis Durey. Le Bestiaire: les Sirènes

Georges Auric. Filet à papillon (Dichtung: Radiguet)

Kurt Weil. Es regnet (Dichtung von Cocteau)

Igor Stravinsky. Petrouchka



Besprochene Publikationen


Beck, G. Darius Milhaud. Paris: Heugel 1949

Bispo, A.A. Martin Braunwieser. Nova Objetividade, humanismo clássico e as tradições musicais do Oriente e do Ocidente na Pedagogia e na criação artística. (…) Köln: Luthe 1991

Bätschi, W. (Hg.). Erik Satie. Seltsame und ausgewählte Schriften. Übers. E. Pillen. Zürich: Atlantis 1998

Brackert, H. u. Wefelmeyer, F. Kultur: Bestimmungen im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1990

Calmel, H. (Hg.). Arthur Honegger. Écrits. Paris-Genf: Slatkine 1992

Cocteau, J.. Le Rappel à l'ordre. Paris: Stock 1948
-------------.  Hahn und Harlekin. Aphorismen und Notate. Mit zehn Strichzeichnungen des Autors. Übers. B. Thieme. Bonn: Kiepenhauer 1991 (Paris: Stock 1979)

Collaer, P..  La musique moderne. Préface de Claude Rostand. 3a. ed.. Paris-Brüssel 1963
-------------. Darius Milhaud. Nouvelle édition Genf-Paris: Slatkine, 1989

Danuser, H. (Hg.). Die klassizistische Moderne in der Musik des 20. Jahrhunderts. Internationales Symposion der Paul Sacher Stiftung Basel 1996. Mainz: Schott 1998

Internationales Symposion der Paul Sacher Stiftung Basel 1996

Delannoy, M. Arthur Honegger. Paris-Genf: Champion-Slatkine 1987

Drake, J. (Hg.). Darius Milhaud. Notes sur la musique. Essais et chroniques. Paris: Flammarion 1982

Goléa, A. Georges Auric. Paris 1958

Halbreich, H. Arthur Honegger. Paris: Fayard-Sacem 1992

Hell, H.. Francis Poulenc. Paris: Fayard 1978

Hisbrunner, T..Die Musik in Frankreich im 20. Jahrhundert. Lauber

Hurard-Viltard, E. Le Groupe des Six ou le matin d'un jour de fête. Paris: Méridiens Klinksieck, 1987

Kelkel, M. La Musique de ballet en France de la Belle Époque aux Années folles. Paris: Vrin 1992

------------. Le Mythe de la fatalité dans Le Pauvre Matelot de Jean Cocteau et Darius Milhaud. Paris: J. Vrin 1985

Landowsky, M. Arthur Honegger. Paris: Le Seuil 1958

Malcomess, H. Die opéras minute von Darius Milhaud. Bonn: Verlag für systematische Musikwissenschaft, 1993 (Orpheus Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 71)

Milhaud, D. Études. Paris: Claude Aveline 1927
-------------. Correspondance Paul Claudel-Darius Milhaud. Paris: Gallimard 1961 (Cahiers Paul Claudel 3)
-------------. Ma vie heureuse. Paris: Belfond 1974
-------------. Entretiens avec Claude Ronstand. Paris: Belfond 1992
-------------. Jean Cocteau-Darius Milhaud, correspondance. Montpellier: Université P.-Valéry 1992

Möller, D. Jean Cocteau und Igor Strawinsky: Untersuchungen zur Ästhetik und zu "Oedipus rex", Band 1,Teile 1-2. Hamburg: K..D. Wagner 1981 (Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft 24)

Noller, J. Kleine Philosophie der musikalischen Moderne: Musik und Ästhetik im 20. Jahrhundert. St. Ingbert, Röhrig 2003

Poulenc, F. Moi et mes amis. Paris: La Palatine 1963

Roy, J.. Francis Poulenc. Paris: Seghers 1964
-------------. Darius Milhaud. Paris: Seghers 1968
-------------. Le Groupe des Six: Poulenc, Milhaud, Honegger, Auric, Tailleferre, Durey. Paris: Seuil 1994 (Solfèges)

Samuel, C. Panorama de l'Art Musical Contemporain. Paris: Gallimard, 1962 (Le Pont du jour, dir. R. Bertelé)

Steegmuller, F. Cocteau. Paris: Buchet-Chastel 1973

Stuckenschmidt, H.H. Musik des 20. Jahrhunderts. München:  Kindler 1969

Volta, O. (Hg.). Erike Satie. Écrits. Paris: Champ libre, 1981
-------------. Satierik. Erik Satie. Haburg: Rogner & Bernhard 1984
-------------. L'Album des Six. Catalogue de l'exposition 'Le Groupe des Six et ses amis, 70° anniversaire”. Paris: Fondation Erik Satie 1990
-------------. Satie/Cocteau, les malentendus d'une entente. Paris: Le Castor astral 1993

Wehmeyer, G. Erik Satie. Regensburg: Bosse 1985

v.der Weid. J.-N. Die Musik des 20. Jahrhunderts: Von Claude Debussy bis Wolfgang Rihm. Berlin: Insel 2001



Herausragende Seminararbeiten


Carina Brenig. Zur Originalität der frühen Werke Erik Saties am Beispiel der „Trois Gymnopédies“ - Ein Musikstück, aus drei Blickwinkeln komponiert

Alexander Kabisch. Die ästhetische Auseinandersetzung um „Parade“. Vorgeschichte, Realisation, Rezeption und Folgezeit

Christine Kossel. Musique d’ameublement - Ambient music. Versuch einer Gegenüberstellung zweier Musikphänomene des 20. Jahrhunderts

Simon Uhlhaas. Anmerkungen zu Einflüssen auf Darius Milhauds frühe Klavierkompositionen











































Rede an junge Komponisten von H.H. Stuckenschmidt, Archiv ISMPS
Eifel-Turm aus dem Marsfeld. Foto A.A.Bispo
Wandplastik am Palais Chaillog, Musée de l'Homme, Paris. Foto A.A.Bispo
Palais Chaillot, Musée de l'Homme, Paris. Foto A.A.Bispo
Centre Pompidou. Ausstellung Jean Cocteau, sur le fil du siècle, Paris